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5.3 Erziehungspraxis im Kindergarten

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Selbst in eher traditionellen Kindergärten ohne geschlechtsneutrales Erziehungsprogramm ist das Vorgehen von Erziehern keineswegs so konsequent rollenkonform, wie man fordern müsste, wenn die Geschlechtsunterschiede ausschließlich auf Verstärkung beruhen sollten. Ein 1985 erschienener Artikel von Fagot – er trägt den bezeichnenden Titel »Beyond the reinforcement principle: Another step toward understanding sex role development« – kommt zu dem Schluss, dass man nach weiteren Erklärungsansätzen suchen müsse (Fagot, 1985). In dieser und einer vorangehenden Untersuchung (Fagot & Patterson, 1969) haben die Autorinnen sich bemüht, die Verstärkungspraktiken von Erziehern etwas genauer zu beleuchten. In der ersten Untersuchung hatten sie Dreijährige beiderlei Geschlechts ein Jahr lang im Kindergarten beobachtet. Bei der zweiten Untersuchung waren die Kinder erst zwischen 21 bis 25 Monate alt.

Als Erstes fiel auf, dass sich geschlechtstypische Verhaltenspräferenzen bereits in diesen frühen Altersabschnitten manifestierten: Die Jungen rauften lieber, transportierten größere Baumaterialen und bauten mit diesen, die Mädchen bevorzugten Puppen, verkleideten sich gern und malten und bastelten viel. Da solche zum gängigen Stereotyp passenden Vorlieben bei den kleinen Mädchen bereits etwas eindeutiger ausgebildet waren als bei den Jungen, nahmen die Autorinnen zunächst an, Mädchen würden intensiver für geschlechtsadäquates Verhalten belohnt. Es stellte sich dann aber heraus, dass sowohl männliche als auch weibliche Erzieher in der Häufigkeit verstärkender Interventionen keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern machten.

Interessant ist aber, dass auch noch in einer anderen Hinsicht Gleichbehandlung zu konstatieren war, nämlich darin, wofür die Kinder gelobt wurden. Dies war bei beiden Geschlechtern ein eher dem femininen Stereotyp entsprechendes oder allenfalls geschlechtsneutrales Verhalten. Ruhiges Spiel wurde gleichermaßen von männlichen wie weiblichen Erziehern bevorzugt, wohl weil es ihnen das Leben erleichterte, während die als typisch jungenhaft geltenden Verhaltensmerkmale wie Aggressivität, wildes Spiel und Freude am Raufen nicht eigens verstärkt wurden. Das hielt die Jungen aber keineswegs davon ab, Präferenzen gerade für diese Aktivitäten auszubilden. Inzwischen ist es so, dass – wohl auch aus ideologischen Gründen – die Hälfte der Erzieher das jungentypische spielerische Raufen mehrmals die Woche oder gar täglich ausdrücklich unterbindet (Logue & Harvey, 2010).

Kein eindeutiges Bild zeichnet auch eine kürzlich erschienene Studie zur geschlechtsspezifischen Erziehung, die die Reaktionen der Erzieher auf kindliches Spielverhalten untersuchte. Im Zentrum der Beobachtung standen dabei Hilfsangebote oder Anregungen zum weiteren Spiel der Kinder. Dabei gilt allerdings zu berücksichtigen, dass wildes Spiel, Raufen und Aggressivität als jungentypische Aktivitäten und das Spiel mit Puppen als mädchentypische Aktivität gar nicht erst berücksichtigt wurden und diese Studie damit nur bedingt vergleichbar zur Studie von Fagot ist. Als jungentypisch übrig blieben etwa das Spiel mit Bauklötzen, Fahrrädern, Lastwagen, Computern oder Bällen. Mädchentypisch waren den Autoren zufolge die Themenbereiche künstlerische Aktivität, Verkleiden und Küche. Dabei zeigte sich nun, dass das Unterstützungsangebot der Erzieher sehr wohl geschlechtsspezifisch war: Jungen wurden eher bei jungentypischem, Mädchen eher bei mädchentypischem Spiel unterstützt – Ersteres sogar häufiger als Letzeres. Die Autoren schließen mit der Hoffnung, dass sich das Spielverhalten angleichen könne, böten die Erzieher keine geschlechtsspezifische Unterstützung mehr an (Granger et al., 2017). Dabei wird freilich nicht bedacht, dass dieses selektive Unterstützungsangebot auch eine Reaktion der Erzieher auf unterschiedliche Vorlieben der Mädchen und Jungen sein könnte und nicht die Ursache für den Geschlechtsunterschied. Möglicherweise reagierten die Erzieher darauf, dass sich die Kinder besser in das Spiel vertieften, wenn ihren etwas unterschiedlichen Interessen Rechnung getragen wurde, wobei diese Haltung nicht ausschloss, dass sie Mädchen und Jungen mit eher geschlechtsuntypischen Interessen sehr wohl auch unterstützten. Für diese Interpretation spricht auch, dass das geschlechtsspezifische Unterstützungsangebot nicht mit den Geschlechtsstereotypen der Erzieher zusammenhing, die separat in einem Fragebogen erfasst wurden (Granger, 2014).

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