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6.9 Geschlechtskonstanz und geschlechtstypisches Verhalten

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Kohlberg zufolge wäre geschlechtstypisches Verhalten nun die Folge einer etablierten Geschlechtskonstanz. Dieses Verhalten ergäbe sich aus der Einsicht des Kindes, einem der beiden Geschlechter unwiderruflich anzugehören, diesem Geschlecht positive Eigenschaften zuzuschreiben und dem Wunsch, sich geschlechtsadäquat zu verhalten. Nun blieb es den Lerntheoretikern nicht verborgen, dass sich Geschlechtskonstanz offenbar erst später als geschlechtstypisches Verhalten einstellt. In einigen Bereichen, wie etwa der Spielzeugwahl, waren die frühen Geschlechtsunterschiede bereits damals bekannt (Maccoby & Jacklin, 1974). Die Bewährungsprobe für Kohlbergs Theorie bestand nun in einer Studie von Bussey und Bandura, in der sowohl die Geschlechtskonstanz der Vorschulkinder getestet wurde als auch deren Bereitschaft, gleichgeschlechtliche und gegengeschlechtliche Modelle nachzuahmen. Es stellte sich heraus, dass selbst die Zwei- und Dreijährigen, die noch nicht über Geschlechtskonstanz verfügten, bei der Nachahmung eine Präferenz für das gleichgeschlechtliche Modell besaßen (Bussey & Bandura, 1984). Auch in einer Folgestudie mit drei- bis fünfjährigen Kindern zeigte sich, dass die Kinder altersunabhängig das gleichgeschlechtliche Modell häufiger imitierten als das gegengeschlechtliche (Maccoby, 1990).

Maccoby ließ diese Kritik an Kohlbergs Theorie allerdings nicht gelten. Sie wandte ein, dass die Kinder in Tests zur Geschlechtskonstanz schlechter abschnitten, als es ihrem Wissensstand entspräche. Ihr zufolge könne ein Grund sein, dass die Kinder dem Versuchsleiter die Antwort gäben, von der sie glaubten, sie sei von ihnen erwartet. Selbst jüngere Kinder verfügten demnach über Geschlechtskonstanz, obwohl sie bei der entsprechenden Aufgabe durchfielen. Ein Indiz dafür sah sie im Wissen der Kinder über die zahlreichen Merkmale, die mit den jeweiligen Geschlechtern assoziiert sind. Darüber hinaus besäßen bereits Vierjährige Geschlechtsstereotype. Zusammengenommen verweise dies doch letztlich auf Geschlechtskonstanz bei Vierjährigen, was wiederum die Möglichkeit eröffne, dass auch deren Geschlechtsunterschiede durch die von Kohlberg angenommene geschlechtliche Selbstsozialisation entstanden sein könnten (Haugh et al., 1980). Auch Kohlberg wies übrigens bereits auf die Geschlechtsstereotype hin, er setzte sie aber eben nicht mit Geschlechtskonstanz gleich ( Tab. 6.1). Auch wenn es für Erwachsene schwer vorstellbar ist, müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, dass jüngere Kinder das Geschlecht für veränderbar halten und trotzdem schon über Wissen über die beiden Geschlechter verfügen und Stereotypegebildet haben können. Kohlbergs Annahme, geschlechtstypisches Verhalten entstünde durch das Einsetzen der Geschlechtskonstanz, lässt sich empirisch also zwar nicht halten. Jedoch haben seine damals revolutionären Ideen zu einer regen Forschungsaktivität geführt, mit deren Ergebnissen wir uns in den nächsten Kapiteln näher beschäftigen werden, denn sie erlauben, den Entwicklungsfortgang genauer zu bestimmen.

Tatsächlich überschätzt der Test zur Geschlechtskonstanz den Entwicklungsstand eher, als dass er ihn unterschätzt, denn die Begründungen der jüngeren Kinder, die vereinzelt richtig antworten, können häufig als »pseudokonstant« beschrieben werden (z. B. Emmerich et al., 1977). Beispielsweise verweisen die jüngeren Kinder darauf, dass der Junge, der ein Kleid trägt, immer noch ein Jungengesicht habe, und nicht darauf, dass ein Geschlechtswechsel prinzipiell unmöglich sei. In eigenen Untersuchungen fiel auch auf, dass die jüngeren Vorschulkinder teils mit Unbehagen reagierten, wenn sie gefragt wurden, ob sie selbst das Geschlecht wechseln könnten, wenn sie die Kleidung des anderen Geschlechts anziehen würden. Ein beinahe Vierjähriger kanzelte beispielsweise den Studienleiter mit der Bemerkung ab, dass er schließlich ein Junge und kein Mädchen sein möchte und sich damit doch diese Fragen erübrigt hätten. Ein Wechsel des Geschlechts wurde also durchaus als möglich angesehen, allein die Willenskraft verhinderte vermeintlich Schlimmeres (s. auch Ruble et al., 2007).

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