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5.5 Zwischenbilanz
ОглавлениеZusammenfassend ist festzuhalten, dass geschlechtsdifferenzierendes Erziehungsverhalten nicht nur durch das Geschlecht der Kinder, sondern auch durch das der Sozialisationsagenten beeinflusst wird. Hinzukommt, dass die Verstärkungspraxis auch von der Situation abzuhängen scheint, wie sich daran zeigt, dass Jungen im Kindergarten sogar von männlichen Betreuern für Verhaltensweisen gelobt werden, die eigentlich dem gegengeschlechtlichen Stereotyp zuzurechnen sind.
Bei Jungen zeichnet sich das Bild ab, dass Mütter und Erzieher eher neutrales und mädchenhaftes Verhalten fördern, während Väter eher Nachdruck auf Geschlechtsrollenkonformität legen. Bei Mädchen sind Väter dagegen toleranter gegenüber Abweichungen, und hierin stimmen sie weitgehend mit der Haltung der Mütter und anderer kleiner Mädchen überein. Besonders interessant ist das Verhalten kleiner Jungen: Sie scheinen neben den Vätern noch am ehesten Geschlechtsrollenverstärkung auszuüben – und das, obwohl sie ihrerseits eigentlich widersprüchliche Botschaften erhalten. Da sie im fraglichen Alter auch kaum über explizite Kenntnisse zur Geschlechtlichkeit verfügen, stellt sich die interessante Frage, wie sie so frühzeitig dazu kommen, Maßstäbe für geschlechtsrollenkonformes Verhalten zu entwickeln. Dieses Thema müssen wir allerdings auf ein späteres Kapitel verschieben.
Als Bilanz bleibt, dass der Druck der Erziehungsagenten nicht so eindeutig und nachhaltig auf rollenkonformes Verhalten ausgerichtet ist, wie landläufig angenommen wird. Daran hat sich in den letzten 70 Jahren nichts geändert, auch Eltern in den 1950er Jahren differenzierten nicht ausgeprägter zwischen den Geschlechtern als die »aufgeklärten« jüngeren Generationen (Lytton & Romney, 1991; Endendijk et al., 2016). Obwohl es sicher überspitzt wäre, daraus abzuleiten, dass Verstärkungvöllig ohne Bedeutung sei, kann man doch davor warnen, ihre Wirkung zu überschätzen. Dabei ist vor allem auch zu berücksichtigen, dass eine Reihe von Verhaltensbereichen, wie beispielsweise Besonderheiten des Denkstils, gar nicht das Thema einer geschlechtsdifferenzierenden Sozialisation darstellen, teils weil die Eltern nicht über entsprechende Fähigkeiten für eine spezifische Förderung verfügen, teils weil sie dem keine Bedeutung zumessen.