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6.4 Geschlechtspermanenz

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Mit der richtigen Zuordnung des Geschlechts ist zwar ein erster wichtiger Schritt zum Verständnis der Geschlechtsidentität getan, die Entwicklung ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Noch versteht das Kind nicht, dass die Geschlechtsidentität ein Merkmal ist, das eine zeitüberdauernde Charakteristik hat, sich also durch Permanenz auszeichnet. In der Literatur wird dieser Aspekt des Identitätsverständnisses unter Bezugnahme auf Slaby und Frey auch als Geschlechtsstabilität bezeichnet (Slaby & Frey, 1975).

Folgendes Beispiel von Kohlberg illustriert anschaulich, was darunter zu verstehen ist. Johnny (4;6) und Jimmy (4;0) führen folgenden Dialog:

Johnny: Wenn ich groß bin, werde ich Flugzeugbauer.

Jimmy: Wenn ich groß bin, werde ich eine Mama.

Johnny: Du kannst keine Mama sein, du musst ein Papa werden.

Jimmy: Doch, ich werde eine Mama.

Johnny: Nein, du bist kein Mädchen, du kannst keine Mama sein.

Jimmy: Doch, ich kann!

Im Gegensatz zu Johnny versteht Jimmy noch nicht, dass er immer seinem Geschlecht angehören wird, auch als Erwachsener. Und er begreift, wie einschlägige Befunde zeigen, auch noch nicht, dass er in der Vergangenheit immer schon ein Junge war. In Untersuchungen wird dieses Verständnis üblicherweise geprüft, indem man den Kindern Fragen der folgenden Art stellt:

Wenn du groß bist, wirst du dann eine Mama oder ein Papa?

Könntest du auch (das Gegenteil) ein Papa/eine Mama werden?

Als Baby, warst du da ein Junge/Mädchen?

Nun wissen Dreijährige, wie wir gesehen haben, schon ziemlich genau, ob sie ein Junge oder ein Mädchen sind. Sie nehmen aber dennoch an, dies für ihr Erwachsensein ändern zu können, wenn sie nur wollen, und nennen häufig auch das andere Geschlecht in Bezug auf ihre Babyvergangenheit.

Um diese Fehlleistung richtig einzuordnen, muss man berücksichtigen, dass sich die Vorstellung von Zeiträumen und zeitlichen Dauern erst zwischen dreieinhalb und vier Jahren entwickelt (Bischof-Köhler, 1998, 2000). Jüngere Kinder leben ohne Zeitbezug in der Gegenwart. Wie sie die Frage verstehen, was sie »als Babys« oder »als Erwachsene« waren oder sein würden, wissen wir nicht; hier und jetzt sind sie eben keines von beiden. Vermutlich spricht die Frage einfach nur jene vage Sphäre der Imagination an, in der auch das kindliche Als-Ob-Spiel zuhause ist. Erst im Laufe des vierten Lebensjahres entsteht die Fähigkeit, sich sich selbst in Situationen vorzustellen, die in der Zukunft oder in der Vergangenheit liegen, also gleichsam in der Fantasie auf Zeitreise zu gehen und die Verbindlichkeit des aktuellen Ichgefühls auf diese Reise mitzunehmen (Bischof-Köhler, 2000). Im Unterschied zu Slaby und Frey die diese Fähigkeit als Stabilität bezeichnen, haben wir sie in unserer eigenen Forschung »Permanenz« genannt.

Tatsächlich entwickeln sich im Vorschulalter bei Kindern einige Fähigkeiten, die alle mit der Vergegenwärtigung von Zeiträumen in Verbindung gebracht werden können. In einer eigenen Studie zu diesem Thema wurden Kinder zwischen 3 und 5 Jahren auf verschiedene Fähigkeiten hin getestet (Zmyj & Bischof-Köhler, 2015). In einer Aufgabe zum Zeitverständnis sollten sie bei drei Sanduhren mit unterschiedlicher Füllhöhe beispielsweise angeben, welche als erstes und welche als letztes fertig sei, nachdem man sie umgedreht hatte. Kinder, die bei dieser Aufgabe gut abschnitten, waren auch häufiger zur Geschlechtspermanenz in der Lage. Eine Interpretation dieses Zusammenhangs besteht darin, dass sowohl das Sanduhrverständnis als auch die Geschlechtspermanenz auf ein und dieselbe Fähigkeit zurückgreift, sich Zeiträume vorstellen zu können.

Von Natur aus anders

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