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6.5 Geschlechtskonsistenz

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Nun hat das Verständnis der Geschlechtsidentität bei Kindern dieses Alters aber noch eine weitere Dimension. Auch hierauf hat Kohlberg erstmals aufmerksam gemacht; allerdings ordnet er diese Dimension gemeinsam mit der eben beschriebenen Permanenz unter einem einzigen Begriff ein, er spricht von »Geschlechtskonstanz«. Dieser zweite Aspekt hat aber genau genommen mit der Permanenz nichts gemein: Kinder im Vorschulalter gehen von der Annahme aus, das Geschlecht verändern zu können, indem sie die äußere Erscheinung ändern. Es fehlt ihnen also nicht nur am Verständnis für die zeitüberbrückende Charakteristik der Identität, sondern sie machen diese irrtümlicherweise auch an der äußeren Erscheinung fest. Da dieser zweite Aspekt zeitlich nicht mit dem ersten korreliert – Kinder können paradoxerweise schon die Geschlechtspermanenz erreicht haben und dennoch eine Veränderung aufgrund äußerer Merkmale noch für möglich halten – wollen wir diesen Aspekt als Geschlechtskonsistenz bezeichnen. Der Junge, der plötzlich meinte, ein Tiger zu sein, ist ein drastisches Beispiel für einen Mangel an Konsistenz.

Tatsächlich glauben Kinder bis zum Alter von durchschnittlich fünf Jahren, zum Teil aber auch noch ältere, dass ein Junge, um zu einem Mädchen zu werden, nur einen Rock anzuziehen brauche und sich die Haare lang wachsen lassen müsse. Wenn er dann gar noch mit einer Puppe spielt, also eine gegengeschlechtliche Tätigkeit ausübt, dann erscheint ihnen der Wechsel perfekt, und ganz entsprechend nehmen sie an, dass sich auch ein Mädchen durch geeignete Veränderung der äußeren Attribute in einen Jungen verwandeln könnte. Wir haben das anhand zweier Videofilme bei Kindern dieser Altersgruppe genauer belegen können (Zmyj & Bischof-Köhler, 2015). Die Filme zeigten einen Jungen, respektive ein Mädchen, die sich allmählich durch Umkleiden in das andere Geschlecht verwandelten und sich dann auch mit einem, jeweils für dieses Geschlecht typischen Spielzeug (Lastwagen, Puppe) beschäftigten. Jüngere Kinder waren regelmäßig überzeugt, dass die Akteure ihr Geschlecht gewandelt hatten.

Für jüngere Kinder genügt sogar der bloße Wunsch; wenn man nur wollte, könnte man ein Kind des anderen Geschlechts werden. Manchmal behaupten Kinder in diesem Altersabschnitt fest, dem anderen Geschlecht anzugehören, Im Allgemeinen ist dies kein Grund zur Beunruhigung und wird sich nach kurzer Zeit wieder ändern. Die Kinder verstehen in diesem Alter einfach noch nicht, dass die Geschlechtszugehörigkeit ein Merkmal ist, das absolut festliegt und nicht beliebig gewechselt werden kann wie ein Kleidungsstück.

Wenn man nach den Gründen dieses Fehlschlusses sucht, dann stellt sich natürlich zunächst die Frage, an welchen Kriterien die Geschlechtszuweisung überhaupt festgemacht wird. Haartracht und Kleidung spielen dabei eine zentrale Rolle (Golombok & Fivush, 1994), aber wahrscheinlich auch die Bewegungsweise, in der sich die Jungen und Mädchen schon im Kleinkindalter deutlich unterscheiden ( Kap. 8.9), ferner die Stimme und der Körperbau, wobei der Einfluss der zuletzt genannten Merkmale in Tests aber schwer zu erfassen ist.

Nun stellt sich in diesem Zusammenhang natürlich die Überlegung ein, die Unsicherheit der Kinder könnte daher rühren, dass sie die eigentlich wirklich relevanten Kriterien für die Geschlechtszugehörigkeit nicht kennen, nämlich die Genitalien. So meinte etwa Freud, Kinder hätten deshalb Probleme, die Geschlechtlichkeit zu verstehen, weil ihnen die Eltern das entscheidende anatomische Detailwissen vorenthielten. Kohlberg widerspricht dieser Annahme aufgrund eigener Untersuchungen, bei denen er seine Versuchskinder unter anderem gefragt hatte, ob man Jungen und Mädchen unterscheiden könne, wenn sie ausgezogen seien. Bereits in den 1960er Jahren, als er die Befragung vornahm, bekundeten die Kinder durchweg, dass sie den Unterschied der Genitalien kannten. Mittlerweile wird man davon ausgehen können, dass dies die Regel ist.

Sandra Bem postuliert einen förderlichen Einfluss dieses Wissens auf die Ausbildung der Geschlechtskonsistenz. In ihrer Studie wurde die Genitalienkenntnis anhand von Fotos unbekleideter Kinder geprüft, die dann im Test zur Geschlechtskonsistenz in bekleidetem Zustand abgebildet waren. Dreiviertel der Versuchskinder mit Kenntnis der Genitalien erwiesen sich als geschlechtskonsistent. Bei den Unwissenden waren es nur 11 % (Bem, S., 1989). Trautner konnte hingegen einen solchen Zusammenhang nicht finden; zu einem ähnlich negativen Ergebnis kamen wir auch in unseren eigenen Studien (Trautner et al., 2003).

Vor allem ändert dieses Wissen allein nicht notwendig etwas daran, dass manche Kinder einen Geschlechtswechsel nach den oben angeführten Kriterien gleichwohl für möglich halten. So meinte eines unserer fünfeinhalbjährigen Versuchskinder, nachdem es alle denkbaren Änderungen bereits vorgeschlagen hatte, um aus einem Mädchen einen Jungen zu machen, dass dieser jetzt allerdings immer noch ein »Schlitzli« (schweizerdeutsch für weibliche Genitale) hätte. Als der Versuchsleiter nachfragte, was man denn da machen könnte, kam der treuherzige Vorschlag: »s’Schlitzli abschniede und es Pipeli annechläbe« (abschneiden und ankleben). Angesichts solcher Nonchalance muss man doch wirklich ernsthaft in Frage stellen, ob die von Freud postulierten Kastrationsängste bei der kognitiven Verfassung in diesem Entwicklungsabschnitt überhaupt eine ernst zu nehmende Basis haben.

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