Читать книгу Gesunde Ernährung heute und morgen - Dr. med. Jörn Klasen - Страница 25
GLYKÄMISCHER INDEX UND GLYKÄMISCHE LAST
ОглавлениеUm den Gesundheitswert eines Lebensmittels einschätzen und vergleichen zu können, ist es wichtig zu wissen, wie schnell die enthaltenen Kohlenhydrate den Blutzuckerspiegel ansteigen lassen. Genau dies beschreibt der glykämische Index. Der britische Professor David Jenkins hat das Maß 1981 zur Beurteilung der Qualität von Kohlenhydraten eingeführt.58 Der glykämische Index misst, wie stark der Verzehr von 50 Gramm Kohlenhydraten eines Lebensmittels den Blutzucker ansteigen lässt. Der Wert von Glukose ist dabei auf 100 Prozent festgelegt. So lassen zum Beispiel Linsen den Blutzucker viel weniger ansteigen als Kartoffeln oder Weißbrot.59
Der glykämische Index berücksichtigt jedoch nicht, wie hoch der Anteil von Kohlenhydraten in einem Lebensmittel ist. Das führt zu Verzerrungen. Zum Beispiel haben Möhren und Baguette den gleichen Wert. Da aber der Kohlenhydratanteil in Möhren sehr viel geringer ist als in Baguette, müsste man sehr viel mehr Möhren essen, um auf den gleichen Wert zu kommen wie bei einem Stück Baguette. Ein unfairer Vergleich also – und irgendwie ahnen wir ja auch bereits, dass Möhren gesünder sind als Weißbrot.
Daher ist das Maß glykämische Last, das den Anteil der Kohlenhydrate eines Lebensmittels berücksichtigt, aussagekräftiger. Die glykämische Last von Baguette ist demnach auch sieben Mal höher als die von Möhren. Berechnet wird die glykämische Last mittels folgender Formel:
Als grobe Orientierung lassen sich Werte von unter 10 als niedrig und von über 20 als hohe glykämische Last einteilen. So punkten Blaubeeren oder Nüsse mit besonders niedrigen Werten, wohingegen Natur-Basmatireis eine glykämische Last von 32 aufweist. Falls Sie noch nie von glykämischen Werten gehört haben, geht es Ihnen wie vielen. Die Werte haben sich wohl auch deswegen nicht in der Breite durchgesetzt, weil sie von zahlreichen Faktoren wie zum Beispiel dem Anbaugebiet, dem Reifegrad, der Sorte, dem Zerkleinerungsgrad und der Garzeit eines Lebensmittels abhängen60 und dadurch für die einzelnen Lebensmittel stark schwanken. Es gibt aber durchaus umfangreiche Tabellen und immer mehr Apps, mit deren Hilfe sich die glykämischen Werte von Lebensmitteln bestimmen lassen. Wer viel Gemüse, Obst, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte sowie wenig Softdrinks, Fruchtsäfte, Süßigkeiten, Weißmehlprodukte und Fertiggerichte zu sich nimmt, braucht keine Tabellen für glykämische Last und muss sich um den Anteil von Kohlenhydraten in seiner Ernährung keine Gedanken machen.
Größere Mengen raffinierte Kohlenhydrate aus industriell verarbeiteten Lebensmitteln, zum Beispiel Haushaltszucker oder Stärke, sind „schlechte“ Kohlenhydrate. Diese „leicht verdaulichen“ Kohlenhydrate etwa in Brötchen, Pizza, Pommes, Süßigkeiten, Fertiggerichten und vor allem auch Softdrinks und Fruchtsäften werden sofort von den Darmzellen absorbiert und gelangen sehr schnell in die Blutbahn. Der Blutzuckerspiegel steigt rapide in die Höhe, woraufhin viel Insulin ausgeschüttet wird, das den Zuckermolekülen den Weg in die Zellen öffnet. Dadurch fällt der Zuckergehalt im Blut rasch wieder ab, oft unter das Ausgangsniveau. Dieser sehr niedrige Blutzuckerspiegel löst ein Hungergefühl aus. Um den Hunger zu stillen, greifen wir oft erneut zu leicht verdaulichen Kohlenhydraten, zum Beispiel zu Brezeln, Brötchen oder Keksen. Und diese treiben den Blutzucker wieder rapide in die Höhe. Ein Teufelskreis beginnt, der sich durch schnelle und hohe Schwankungen im Blutzuckerspiegel auszeichnet und langfristig gesehen oft in Übergewicht und Diabetes endet. Leider besteht ein großer Teil der heutigen Ernährung aus minderwertigen Kohlenhydraten. So ist der Zuckerkonsum in den letzten 200 Jahren um satte 1600 Prozent gestiegen.61 Allein der Haushaltszucker (Saccharose) macht mehr als ein Drittel unserer Kohlenhydratzufuhr aus.62 Backwaren, Nudeln und Pizza sind fast immer aus schnell verdaulichem Weißmehl hergestellt, das kaum noch Ballast- und Nährstoffe enthält, und viele greifen zu Säften, Softdrinks und Smoothies.
„Gute“ Kohlenhydrate (auch komplexe Kohlenhydrate oder Slow Carbs) hingegen werden deutlich langsamer ins Blut aufgenommen. Reich an komplexen Kohlenhydraten sind unverarbeitete Lebensmittel wie Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte (Linsen, Bohnen, Erbsen), Vollkornprodukte (Brot, Nudeln), Vollkornreis, Quinoa und Nüsse. Diese Lebensmittel enthalten viele Ballaststoffe und die Zucker sind in Strukturen gebunden, die während der Verdauung erst langsam zerlegt werden müssen. Sie haben dadurch eine längere Verweildauer in Magen und Darm. Es kommt also nicht nur auf die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels an, sondern auch auf die Konsistenz, in der die Inhaltsstoffe vorliegen. Wenn die Glukose zum Beispiel in einem Korn verbaut ist, müssen die harten Fasern während der Verdauung erst langsam aufgeschlossen werden, während die gleichen Inhaltsstoffe aus einem fein ausgemahlenen Mehl viel schneller aufgenommen werden können.
Das gleiche Prinzip gilt für die intakten Strukturen von Obst. Der Zucker aus Apfelsaft gelangt fast direkt ins Blut, während bei Apfelmus immerhin einige Strukturen verdaut werden müssen. Beim ganzen Apfel (insbesondere wenn wir ihn mit Schale essen) sind die Zucker dagegen in deutlich festeren Strukturen verbaut, die während der Verdauung langsam zerlegt werden müssen. Daher ist aus gesundheitlicher Sicht immer das ganze Obst dem Saft vorzuziehen. Auch Obst-Smoothies sollten wir deswegen nur in Maßen konsumieren.
Slow Carbs führen also zu einem geringeren und langsameren Blutzuckeranstieg, sie machen uns länger satt und Heißhungerattacken sind seltener. Bevorzugen Sie am besten immer die Vollkornvariante bei Brot, Pizza und Nudeln und genießen Sie Obst im Ganzen. Studien weisen nach, dass Slow Carbs für die Gesundheit förderlich sind und vor chronischen Zivilisationskrankheiten schützen.63 (► Mehr dazu erfahren Sie in den jeweiligen Abschnitten zu Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Nüssen und Vollkornprodukten.)
KOHLENHYDRATGEHALT VERSCHIEDENER LEBENSMITTEL | ||
Lebensmittel | Kohlenhydratgehaltin g/100 g | davon Zucker |
Honig | 75 | 75 |
Rosinen | 68 | 68 |
Haferflocken | 59 | 1 |
Roggenvollkornbrot | 39 | 2 |
Vollkornnudeln, gegart | 26 | – |
Tomatenketchup | 24 | 24 |
Bananen | 20 | 17 |
Reis, gegart | 19 | – |
Süßkartoffeln, gegart | 18 | 6 |
Kartoffeln, gegart | 15 | 1 |
Honigmelone | 12 | 12 |
Apfel | 11 | 10 |
Walnüsse | 11 | – |
Linsen, gegart | 11 | – |
Möhren, gegart | 3 | 3 |
Brokkoli, gegart | 2 | 2 |