Читать книгу Gesunde Ernährung heute und morgen - Dr. med. Jörn Klasen - Страница 27
Atkins und die Low-Carb-Bewegung
ОглавлениеÜbergewicht, Diabetes und vorschnelle Alterung: Bei vielen Menschen haben Kohlenhydrate einen schlechten Ruf. Bereits im Jahr 1972 begründete der dadurch berühmt gewordene amerikanische Arzt Robert Atkins eine Ernährungsrevolution: die Atkins-Diät oder Low-Carb-Bewegung. Die einfache Regel lautet: mehr Fett, weniger Kohlenhydrate.
Diättreibende auf der ganzen Welt verzichten nach den Low-Carb-Regeln weitestgehend auf Kohlenhydrate, dürfen aber fett- und eiweißhaltige Speisen ohne Einschränkung essen. In der Praxis bedeutet das: kaum Kartoffeln, Nudeln und Brot sowie wenig Zucker und Obst. Dafür aber viel Fleisch, Fisch, Käse, Eier, Wurst und Butter. Gemüse ist weitestgehend erlaubt.
Tatsächlich zeigt sich auch in Studien, dass eine kohlenhydratarme Ernährung beim Abnehmen helfen kann.64 Aber dabei wird oft vergessen, dass die langfristigen gesundheitlichen Folgen einer solchen Ernährung auch heute immer noch nicht ausreichend untersucht sind und eine fleisch- und fettreiche Diät beziehungsweise Ernährung mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden ist (► Seite 136). So wundert es nicht, dass ausgerechnet Robert Atkins im Alter von 72 Jahren an Herzschwäche und Fettleibigkeit verstarb. Ein Umstand, den seine Anhänger lieber verschwiegen hätten.68
Es gibt aber auch immer wieder Einzelberichte und Studien, die von positiven Effekten einer stark kohlenhydratreduzierten Diät berichten. Das trifft in den letzten Jahren besonders für die ketogene Ernährung zu, einer extremen Variante der Low-Carb-Diät, auf die weltweit viele Gesundheitsbewusste schwören. Die Kohlenhydratzufuhr wird dabei sehr stark reduziert und dafür die Fettzufuhr erhöht. Die zugeführte Kohlenhydratmenge beträgt meist weniger als 50 Gramm pro Tag beziehungsweise weniger als 10 Prozent des täglichen Energiebedarfs.
Da Glukose im Körper aus Eiweiß und Fett hergestellt werden kann, könnte ein Mensch auch ohne Kohlenhydrate überleben. Durch die Kohlenhydratreduktion verändert sich der Stoffwechsel und gerät in die sogenannte Ketose. Die Leber beginnt, aus Fettsäuren Ketonkörper zu bilden. Gehirn und Körperzellen nutzen nun nicht mehr Glukose, sondern diese Ketone als Energielieferanten. Um einen normalen Fettstoffwechsel zu gewährleisten und Proteinabbau zu vermeiden, sollte jedoch der Wert von mindestens 10 Prozent des täglichen Energiebedarfs aus Kohlenhydraten nicht unterschritten werden.47
Aus welchen Nahrungsmitteln besteht eine ketogene Ernährung? Auf den Teller kommen Fleisch, Wurst, Fisch, Milchprodukte, Eier, Nüsse, Samen, kohlenhydratarmes Gemüse wie Spinat und Tomaten sowie pflanzliche Öle wie Oliven- und Kokosöl. Zucker, Kuchen und Süßigkeiten sind absolut tabu, aber auch Getreideprodukte, Hülsenfrüchte, Knollen- und Wurzelgemüse sowie Obst werden vom Speiseplan gestrichen.
Es gibt viele Einzelberichte von Menschen, die sich mit einer ketogenen Ernährung wohler und leistungsfähiger fühlen. In Studien zeigten sich eine Verbesserung der Gedächtnisleistung und sogar eine lebensverlängernde Wirkung – bisher allerdings nur im Mausmodell.69 Auch Gewicht lässt sich mit einer ketogenen Ernährung nachweislich reduzieren.70 Erfolge konnten zudem bei Menschen mit Epilepsie und Alzheimer erzielt werden.71 Auch wenn in Einzelberichten erstaunliche Steigerungen des Wohlbefindens berichtet werden und eine von der Norm abweichende Ernährungsform unser Interesse weckt, wollen wir ganz eindeutig darauf hinweisen, dass es über die Langzeitwirkungen der ketogenen Ernährung noch zu wenig Wissen gibt. Wir raten deswegen nicht zu einer Umstellung. Falls Sie dennoch eine ketogene Ernährung in Erwägung ziehen, sollten Sie dies immer in Rücksprache mit einem Ernährungsmediziner tun.
►►► AUF EINEN BLICK KOHLENHYDRATE
Die Qualität der Kohlenhydrate ist für unsere Gesundheit entscheidend. Lebensmittel mit leicht verdaulichen („schnellen“) Kohlenhydraten sollten Sie möglichst meiden, komplexe Kohlenhydrate sollten hingegen ruhig auf Ihrem Speiseplan stehen.
►Essen Sie Vollkornprodukte. Egal ob Nudeln, Brot oder Reis – die Vollkornvariante ist immer die gesündere. Stark ausgemahlenes Mehl und weißer Reis enthalten fast nur noch leicht verdauliche Zucker und sind daher nicht gesundheitsfördernd.
►Essen Sie möglichst wenig Fertiggerichte wie Pizza, Pommes, Teilchen vom Bäcker usw. und meiden Sie Softdrinks. Sie enthalten viele „schlechte“ Kohlenhydrate, zum Beispiel in Form von raffinierter Stärke oder zugesetztem (Frucht-)Zucker.
►Essen Sie viele ballaststoffreiche Lebensmittel wie Gemüse, Obst und Hülsenfrüchte. Sie geben den Zucker langsamer ins Blut ab.
►Verwenden Sie wenig Haushaltszucker und andere süßende Substanzen wie Honig. Auch Süßigkeiten und Schokolade mit niedrigem Kakaoanteil sollten nur selten genascht werden.
►Legen Sie Phasen des Nichtessens ein. Durch das dauernde Essen gerät unsere Blutzuckerregulation aus dem Gleichgewicht. Insulinresistenz und Diabetes sind die langfristigen Folgen. Dehnen Sie zum Beispiel das Nachtfasten aus und essen Sie 14 oder 16 Stunden pro Tag nichts (Intervallfasten). Essen Sie kleinere Portionen, indem Sie zum Beispiel kleinere Teller verwenden. Viele Studien zeigen, dass unsere Gesundheit von weniger Nahrung enorm profitiert (► Seite 207).