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Monarchisch-aristokratische Organisationsformen

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Der Feudalismusbegriff ist ein neuzeitlicher Terminus, der unterschiedlich gebraucht wird. Feudalismus geht zurück auf das mittellateinische feudum, das im Hochmittelalter die Bedeutung von „Lehen“ im Sinne einer Übergabe von Land an einen Vasallen erhält. Der Begriff „Lehnswesen“ ist in seinem Kern abgeleitet von dem althochdeutschen lîhan in der Bedeutung von „verleihen“ [↗ Feudalrechte]. Das Objekt des Vertrages zwischen dem Lehnsherrn und dem Vasallen, das im Hochmittelalter in der Regel aus Grundbesitz besteht, wird in den deutschsprachigen Quellen als lêhan bezeichnet. In den lateinisch geschriebenen Texten heißt das Lehen vor allem beneficium, da die Landvergabe an einen Vasallen als eine vom Herrn gewährte Wohltat gewertet wurde. Es muß bedacht werden, daß die Worte lîhen und beneficium in den Quellen ein relativ weites Bedeutungsspektrum hatten und nicht nur vasallitische Lehen, sondern auch Rechtsbeziehungen im grundherrlich-bäuerlichen Bereich bezeichnen konnten.

In der Geschichtswissenschaft wird der Feudalismusbegriff in einem engeren und einem weiteren Sinne verwandt, was häufig zu Ungenauigkeiten und zur Sprachverwirrung beigetragen hat. „Feudalismus“ im engeren rechtlichen Sinne meint das Lehns- oder Benefizialwesen und beinhaltet das durch das Lehnrecht geregelte Verhältnis zwischen dem Lehnsherrn (dominus) und dem Vasallen (homo, Lehnsmann). Es handelt sich hier in seinem Kern allein um ein Rechtsverhältnis, das aber im Mittelalter vielfältige Auswirkungen auf die Staatsgewalt, das Heerwesen, die Wirtschafts- und Sozialverhältnisse sowie auf das Kulturleben hatte. Das Lehnswesen entfaltete sich im 8. Jahrhundert im Frankenreich, erlebte seine Blütezeit in den Hauptländern Europas vom 10. bis 13. Jahrhundert und hatte seine Auslaufphase im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit.

Unter „Feudalismus“ im weiteren Sinne wird eine durch verschiedene Merkmale bestimmte Gesellschaftsform, die „Feudalgesellschaft“, verstanden, die M. Bloch „Société féodale“ nannte. Feudalismus in diesem Sinne charakterisiert die hochmittelalterliche Gesellschaft als ein Gesamtsystem, in dem das Lehnswesen des Adels [↗ Adel] eng mit der Grundherrschaft des bäuerlichen Bereichs [↗ Bauern] verbunden ist. Soziologen und Kulturhistoriker wie M. Weber und O. Hintze entwickelten aus der Rechts- und Sozialordnung des europäischen Hochmittelalters den Idealtyp der feudalen Gesellschaftsordnung und verglichen ihn mit ähnlichen Feudalstrukturen in Japan, Rußland und anderen Ländern. Dieser weitere Feudalismusbegriff wird vor allem in der marxistischen Geschichtswissenschaft verwandt, in der die feudale Gesellschaftsordnung als eine zwischen der antiken Sklavenhaltergesellschaft und dem modernen Kapitalismus liegende Gesellschaftsformation einen festen Platz im Ablauf der Weltgeschichte einnimmt. O. Brunner hat dezidiert auf die Mehrschichtigkeit des Feudalismusbegriffs hingewiesen und gefordert, daß in historischen Studien der jeweils verwendete Feudalismusbegriff klar präzisiert werden sollte; bei vergleichenden Untersuchungen gehe es ohne mehr oder weniger generalisierte Typenbegriffe nicht ab. Im Folgenden werden Lehnswesen und Grundherrschaft mit ihren wesentlichen Strukturelementen aus praktischen Gründen zwar getrennt analysiert, sollten aber im Kontext der mittelalterlichen Gesellschaft in einem Gesamtzusammenhang gesehen werden.

In diesem Rahmen der Feudalgesellschaft müssen die monarchisch-aristokratischen Organisationsformen von Königsherrschaft und Landesherrschaft gesehen werden, die jahrhundertelang wirksam waren. Gründer und Träger der Reiche waren zuerst die Könige, die freilich nicht in jenem Sinne souverän waren, wie dies in der Frühen Neuzeit verstanden worden ist. Denn das Recht war damals sakral fundierte Ordnung, an die auch der Monarch gebunden war [↗ Recht]. In diesen sakralen Grundlagen wurzelte das Königtum, dessen Thronfolge weitgehend durch das Geblütsrecht bestimmt wurde. Der Übertritt zum Christentum verschaffte dem König zwar eine Herrschaftsposition von Gottes Gnaden (Dei gratia), aber der Herrscher blieb weiterhin an das allgemeine Recht gebunden. Dem Herrscher stand das Volk gegenüber, aber nicht als willenlose Masse von Untertanen, sondern als Gesamtheit der jeweils politisch Berechtigten, wozu vor allem der Adel gehörte. Der König bildete dabei die Spitze der Lehnshierarchie und vergab seine Lehen an die Fürsten, die in ihren Territorien die landesherrliche Gewalt ausbauten. Schutz von Frieden und Recht gab dem Landesherrn die Möglichkeit, in das Verhältnis von lokaler Herrschaft und Untertanen einzugreifen, wenn offenkundiges Unrecht geschah. Hier lagen die Ansätze zu einer Verstärkung der landesherrlichen Rechte, die von vielen Landesherren zur Ausweitung ihrer Herrschaftsbereiche genutzt wurden. In den Territorien des Spätmittelalters entstanden auf der unteren Verwaltungsebene Ämter, an deren Spitze Vögte und Amtsleute standen. Starke Landesherren bauten in ihren Territorien manchmal eine lokale Amtsorganisation auf, die fast das ganze Land umspannte, so daß den kleinen Herrschaften und Städten nur noch ein geringer Spielraum verblieb. In territorial zersplitterten Gebieten gab es jedoch auch Territorien, in denen sich der Adel dem landesherrlichen Zugriff entziehen konnte und eine weitgehende Selbständigkeit behauptete.

WERNER RÖSENER

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