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Genossenschaftliche Organisationsformen

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Soziologisch bezeichnet der Begriff „Genossenschaft“ zweierlei je nachdem, ob er im Zusammenhang mit Herrschafts- oder Organisationsformen erörtert wird.

Seit M. Weber wird „Herrschaft“ durch seine Auswirkung als „die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“, beschrieben [↗ Herrschaft]. Damit identifierte Weber die Herrschaft als ein Gruppenphänomen insofern, als sie 1. anders als die Macht innerhalb einer Gruppe entsteht und 2. die Akzeptanz durch die Beherrschten voraussetzt. Während viele Gruppen durch Herrschaft konstituiert werden (Anstalten), sind andere wiederum Voraussetzung für Herrschaft (Vereine). In Webers herrschaftssoziologischer Perspektive weisen allerdings sowohl Vereine als auch Anstalten eine genossenschaftliche Dimension auf.

Wird die Aufmerksamkeit, wie bei F. Oppenheimer, in Anlehnung an O. von Gierke and klarer Abgrenzung von M. Weber, nun auf die Organisationsformen und nicht mehr auf die Herrschaft gelenkt, wird also nicht der Gehorsam einer Gruppe berücksichtigt, sondern deren Gefolgschaft, nicht die Akzeptanz von Herrschaft, sondern der Entschluß, sich der Herrschaft zu unterwerfen, so bezeichnet Genossenschaft „die zum Handeln verbündete Gemeinschaft oder noch besser […] die Gemeinschaft, insofern sie handelt“. Die Genossenschaft ist hier „ihrem Begriff nach ein Verbund von Gleichen, von ‚Personen gleicher Würde‘“.

Die im Folgenden erwähnten Organisationsformen sind Genossenschaften im Sinne Oppenheimers und setzen daher die Parität ihrer Mitglieder voraus. Sie verkörpern, um Gierkes hegelianische Auslegung der Verfassungsgeschichte aufzugreifen, den Freiheitsgedanken gegenüber dem Einheitsgedanken der Herrschaft. Dabei bezeichnet Freiheit die „positive Freiheit“ gemäß I. Berlins berühmter Unterscheidung, d.h. jene Form der Freiheit, die eine freie Gemeinschaft voraussetzt, und nicht die „negative Freiheit“, den Bereich also, „in dem sich ein Mensch ungehindert durch andere betätigen kann“. Die Erlangung individueller Freiheitsrechte und das Streben nach politischer Selbstbestimmung sollten daher nicht getrennt betrachtet werden.

Wichtiger für das Verständnis von Genossenschaften als die Unterscheidung zwischen einer „neo-klassischen“ und einer „liberalen“ Auffassung von Freiheit (Q. Skinner) ist indes der Hinweis, daß der Genossenschaftsgedanke kaum mit der Vorstellung einer übergeordneten „Vergesellschaftung“ vereinbar ist. Dadurch werden zwei gängige Fehlinterpretationen vermieden: einerseits das organistisch-holistische Bild der mittelalterlichen Gesellschaft als ein Ganzes, das von der Kirche als Einheit dominiert wurde, aber ebenso andererseits die liberal-nationalstaatliche Auffassung, wonach die Stadtkommunen des Mittelalters der Ursprung der modernen bürgerlichen Gesellschaft darstellten. Bekanntlich wurde letztere Auffassung, wenn auch mit kritischem Unterton, auch von marxistischen Historikern übernommen. Genossenschaften lenken vielmehr den Blick auf ein zutiefst demokratisches oder – besser noch – republikanisches Ideal von Organisationsformen, das fest in der europäischen Tradition verankert ist.

Dieses Ideal wurde im Mittelalter in der Sprache des Rechts formuliert und umgesetzt [↗ Recht]. Wie K. Pennington gezeigt hat, wurde die Frage der Souveränität im Mittelalter durch das Medium der individuellen Rechte erörtert. Dabei floß insbesondere die Erfahrung der Stadtkommunen in die Überlegung, worauf M. Weber durch die Hervorhebung der subjektiven Dimension des kommunalen Rechts in seiner Rechtssoziologie hingewiesen hat. Zugleich haben aber die individuellen Rechte, die in der zeitgenössischen Rechtstheorie zur Begrenzung der Herrschermacht im allgemeinen und der Kaisermacht im besonderen angeführt wurden, einen wesentlichen Beitrag zur politischen Reflexion über die Partizipation des einzelnen an der Herrschaft geleistet, den Q. Skinner als eine der wichtigsten Entwicklungen der politischen Theorie des Mittelalters ansieht.

MARTIAL STAUB

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