Читать книгу Enzyklopädie des Mittelalters - Группа авторов - Страница 44

Religiosentum – Klöster und Orden

Оглавление

Der Kirchenvater Ambrosius († 397) war einer der ersten, die auf eine wesentliche Zweiteilung unter den Christen hinwiesen: Auf der einen Seite stünden diejenigen, die nur die Vorschriften (praecepta) des Evangeliums befolgten, also die Laien und die Kleriker, und auf der anderen Seite diejenigen, die gemäß eines Gelübdes auch den Räten (specialia consilia) des Evangeliums nachkämen, um in Keuschheit, Gehorsam und Armut zu leben, also die Religiosen. Hochmittelalterliche Ordensregeln (z.B. der Grandmontenser und Franziskaner), vor allem aber die Dekretalistik des 13. Jahrhunderts sahen dann in der Befolgung dieser „Evangelischen Räte“ die unverzichtbaren substantialia des Religiosentums, welches sich von daher auch definieren ließ.

Verhaltensnormen, die zur Verwirklichung eines Lebens gemäß dieser consilia führten, gründeten auf der Abwendung von allen irdischen Gütern sowie auf der freiwilligen Annahme eines gemeinschaftlichen und strikt geregelten, religiösen Lebens, das die Seele des einzelnen in der Suche nach Gott perfektionieren sollte: Conversio totalis ad Deum cordis nostri est alienatio a saeculo („Die totale Hinwendung unseres Herzens zu Gott ist die Entfremdung von der Welt“; Anonymus, 12. Jahrhundert). Conversio war ein Schritt, der die Grenze zwischen Welt und religiöser Gemeinschaft scharf schnitt und verlangte, die Identität eines neuen Menschen anzunehmen. Dieser hatte sich in seiner individuellen Ganzheit einer Organisation zu unterwerfen, welche das Leben in allen affektiven, emotiven, intellektuellen, körperlichen und wirtschaftlichen Bereichen, im Tagesablauf, in den Wohnverhältnissen, in der Nahrung und Kleidung präzis, detailliert und vor allem unter dem Gebot absoluten Gehorsams unabdingbar regelte [↗ Klösterlicher Raum].

Klöster (im einzelnen wie auch in Aggregationen zu Verbänden oder ab dem 12. Jahrhundert zu Orden) waren Systeme, die eine radikal zwingende Kohärenz zwischen ihren jeweiligen Elementen – also zwischen dem Komplex der jeweiligen spirituell verankerten Leitideen (proposita), dem Normengefüge der Verhaltensstrukturen der Mitglieder und der Ausgestaltung der Organisation – aufwiesen. Der Aufrechterhaltung der Stabilität dieser Kohärenz dienten vielfältige „Instanzen“. Es handelte sich dabei ebenso um den unausweichlichen Zwang des individuellen Gewissens (das in den Klöstern des 12. Jahrhunderts gleichsam neu entdeckt wurde), um die Wirkkraft von paränetischem Schrifttum oder um durch didaktische Exempla-Sammlungen vermittelte Verhaltensmuster wie auch um (charismatische) Persönlichkeiten, die einst ein propositum formuliert und exemplarische Lebensprofile vorgegeben hatten bzw. die als „lebende Regel“ je gegenwärtige Leitbilder darstellten. Es handelte sich aber auch um das Korsett eines organisatorischen Gefüges, welches einerseits mittels mündlich tradierter Gebräuche (consuetudines), andererseits mittels schriftlicher Rechtssatzungen (Statuten, constitutiones etc.), obrigkeitlicher Verfügungen (päpstlicher Dekretalien, Synodalstatuten etc.) sowie vielfältiger Rechtsentscheide und Verwaltungsmaßnahmen (Definitionen, Visitationsprotokolle, Besitzerhebungen, Registerführungen etc.) lebenspraktische Ordnungen strukturierte, Verfahrensabläufe bestimmte sowie Devianzen vorzubeugen suchte und Sanktionen ermöglichte [↗ Religiosenrecht].

Mittelalterliche Klöster verstanden sich als Einrichtungen zwischen Himmel und Erde; doch sie vermochten den Himmel nur zu öffnen, weil sie dem irdischen Leben diejenige Gestalt verliehen, die den Himmel erschloß. Trainiert als „Virtuosen“ (M. Weber) des Glaubens bildeten Frauen und Männer, die im Streben nach Selbstheiligung die Welt verließen und sich in eine klösterliche Gemeinschaft begaben, eine Elite auch im Umgang mit den pragmatischen Dingen des Lebens, da diese die grundlegende Voraussetzung für die spirituelle Perfektionierung waren – und sei es im „Virtuosentum“ des Verzichts. In Gestalt klösterlichen Lebens konnten sich somit wesentliche Bedürfnisse der mittelalterlichen Gesellschaft kristallisieren: Bei Investitionen ebenso der Frömmigkeit wie des weltlichen Betriebes von Wirtschaft und Politik gewährleisteten Klöster eine sichere Anlageform.

Organisationsbezogene Normen monastischer Kommunitäten waren zwar an jener alienatio a saeculo orientiert, sie regelten dennoch die irdische, die materielle, die menschlich noch unvollkommene Seite der spirituellen Perfektionierung. „Le monastère est en même temps la cellule d’une cité terrestre“, pointierte M.-D. Chenu. Eine Verwebung dieser „cité terrestre“ in die jeweiligen historischen Strukturen des gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und mentalen Umfelds ergab sich zwangsläufig. Das vielschichtige Spektrum monastischer Organisationsformen zeigte hierbei im Laufe der Geschichte gewollte und ungewollte Anpassungen ebenso wie bewußte Distanzierungen. Überaus breit war deshalb auch die entsprechende Flexibilität der vita religiosa: Einzelabteien oder Klosterverband, monarchische Position eines Hauptes oder kollegiale Mitbestimmung, genossenschaftliche Führung durch alle Mitglieder oder repräsentative Vertretung durch bestimmte Amtsträger, Rekrutierung durch Beschränkung auf bestimmte Stände, Rekrutierung durch Aufnahme auch von Kindern („Oblaten“) oder nur von Erwachsenen, von Männern und Frauen oder lediglich von Angehörigen eines Geschlechts, Laienmönchtum oder Klerikalisierung, stabilitas loci oder Wandermönchtum, Wirtschaftsführung durch Lohnarbeiter oder Konversen, Eigenbesitz des Klosters oder freiwillige Armut der Gemeinschaft, Filiationssystem oder Ordnung nach Provinzen, Integration in den Diözesanverband oder Exemtion, adeliges Eigenkloster oder Unterstellung unter Königsbzw. Papstschutz.

Doch nicht nur Differenzierung oder Spezialisierung prägte die Geschichte der vita religiosa, ebenso kennzeichnend war die Diversifizierung bestimmter Elemente unter den einzelnen Gruppierungen. Es sei nur beispielhaft hingewiesen auf die zahlreichen Mischregeln im frühen Mittelalter, auf die vielfachen consuetudines-Exporte der Cluniazenser, deren Textbestände durch die Abnehmer umgeformt, selektiert oder ergänzt wurden, auf die Annahme der Augustinusregel durch so unterschiedliche Verbände oder Orden wie zum Beispiel die Regularkanoniker im 12. Jahrhundert bzw. die Trinitarier, Dominikaner und Augustiner-Eremiten im 13. Jahrhundert, oder auf den Verteilungsfächer benediktinischer Reformprogramme während des ausgehenden Mittelalters.

Das Religiosentum stellte trotz aller Stabilitätsbehauptungen und tatsächlicher Kontinuitäten sowohl von spirituellen Observanzen wie auch von pragmatischen Ordnungsstrukturen keine erratische Größe dar, es bedeutete immer auch eine hochkomplexe Reaktion auf gewandelte religiöse, soziale und materiale Verhältnisse und Bedürfnisse. Eine vergleichende Analyse der Organisationsformen ist deshalb nur mittels eines historischen Durchgangs zu leisten, der im Folgenden unter Konzentration auf die wichtigsten Entwicklungslinien versucht werden soll.

Es gehörte zum Kontinuum der identitätssuchenden Selbstversicherung mittelalterlicher Religiösen, in der Urkirche, der ecclesia primitiva der Jerusalemitaner Apostelgemeinschaft, den Ursprung der vita religiosa zu behaupten. Die durch die Apostelgeschichte überlieferte dortige Brüderlichkeit (cor unum et anima una; „ein Herz und eine Seele“; Apg 4,32) und Besitzteilung bei persönlicher Armut konnten als Modell und konkreter historischer Ausgangspunkt der eigenen Lebensform zugleich erscheinen – unabhängig davon, ob es sich zum Beispiel um Benediktiner (siehe etwa die Chronik des Klosters Petershausen), Regularkanoniker (siehe etwa Lietbert von St. Ruf) oder Franziskaner (überliefert von Jakob von Vitry) handelte. Tatsächlich lagen in einem innergemeindlich verbreiteten asketischen Lebensstil schon seit den ersten Jahrhunderten des Christentums – und in dieser Zeit noch vielfach verwoben mit gnostischen Glaubensformen – die eigentlichen Wurzeln der vita religiosa, welche allerdings noch der sichtbaren Trennung von der Gemeinde und damit ihrer eigentlichen Konstitutierung als Sonderwelt bedurfte. Dies geschah im 3. Jahrhundert durch den – während des Mittelalters immer wieder als hoch symbolisch rezipierten – Rückzug („Anachorese“) in die Wüste Ägyptens und nachfolgend auch Syriens sowie durch die dortige Gründung von jeweils um einen besonders erfahrenen Asketen herumgescharten Eremitenkolonien. Das „Wort“ (später als sogenannte „Apophthegmata“ gesammelt) eines solchen charismatischen „(Wüsten-)Vaters“ (die berühmtesten waren wohl Paulus von Theben und Antonius der Große) galt spirituell wie lebenspraktisch und schuf gleichsam Asketenfamilien, die gemeinsam durch Handarbeit auch für ihren Lebensunterhalt sorgten.

Neben dieser vita eremitica, die sich hier als eine der bleibenden Formen des Religiosentums herausgebildet hatte, trat früh schon das Zönobitentum. Seine Schöpfung ist mit dem Namen des Ägypters Pachomius († 346) verbunden, der in der Thebais erstmals ein Kloster gründete und eine Regel für das Gemeinschaftsleben in engster Anbindung an das Evangelium schrieb. Sein Motiv war, denjenigen eine Heimstatt zu geben, die zu schwach für ein Eremitentum waren, aber dennoch als Asketen leben wollten. Schon hier war im Keim alles angelegt, was im Mittelalter zu den Prinzipien der klösterlichen Organisation zählte: strikte Klausur, einheitliche Lebensweise, Arbeit, persönliche Armut, gemeinsamer Gottesdienst und vor allem die unanfechtbare Autorität des Klostervorstehers.

Stammvater aber des östlichen Zönobitentums wurde Basilius der Große (†379), Metropolit von Caesarea. Klöster galten ihm als die Zentren des wahren Christentums, für die er zwei Regeltexte schrieb. Zugleich aber verstand er es, das Mönchtum in die kirchlichen Amtsstrukturen seines Metropolitanbezirks einzuweben. Damit trug er entscheidend zur Klärung der bislang offengehaltenen Dichotomie zwischen Amts- und Asketenkirche bei, die dann auf dem Konzil von Chalcedon (451) eine rechtliche, freilich nie die Grundspannung endgültig bereinigende Lösung insofern fand, als jedes Kloster der Aufsicht des jeweiligen Ortsbischofs unterstellt wurde.

In Nordafrika entstand neben den mittlerweile existierenden Formen des Eremitentums und des (Laien-)Mönchtums die dritte bleibende Figurierung der vita religiosa: Augustinus (†430) verband als Bischof von Hippo das Leben seines Klerus mit der Lebensform der Mönche, das heißt mit einem Leben in Gemeinschaft unter einem väterlichen Haupte. Er schrieb dafür eine Regel (Praeceptum, dessen Text auch für weibliche Gemeinschaften umgeschrieben wurde), welche nach Jahrhunderten des Vergessens ab dem Hochmittelalter eine außerordentliche Karriere als normativer Leittext für unterschiedlichste Verbände und Orden machen sollte.

Eine tatsächlich monastische Askese war im Bereich der lateinischen Kirche erst ab der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts anzutreffen. Es handelte sich zunächst um ein im besonderen von aristokratischen Frauen vorangebrachtes, auf Familiensitzen gelebtes und durch die Viten ägyptischer Wüstenväter angeleitetes Asketentum, über dessen römische Variante Hieronymus als einer der großen Förderer dieses frühen monastischen Denkens in den Jahren 382/84 anschaulich berichtete. Weitere monastische Schwerpunkte bildeten sich insbesondere in Gallien beispielsweise mit Martin von Tours († 397) und seinem noch stark eremitisch geprägten Kloster Marmoutiers oder mit den Klöstern im unteren Rhônetal, in Marseille (Kassian, †430/35) und auf der Insel Lérins (gegründet 405/10) heraus. Eine andere Konzentration erwuchs in Irland (in Anschluß an den Waliser Missionar und Klöstergründer Patrick, † vermutlich 463/ 493) unter Einfluß des gallischen Mönchtums, aber dennoch mit sehr eigenständigen Organisationsformen, die bei einem stark anachoretischen Lebensstil vor allem die asketische Leistung der Heimatlosigkeit in der peregrinatio pro Christo forderten. Der wohl wirkungsvollste Vertreter eines solchen Mönchtums war Columban († 615), der zunächst im Frankenreich mit Unterstützung des Königtums und des Adels drei Klöster (darunter Luxeuil) gründete, für die er eine eigene Regel schrieb, und nachfolgend im langobardischen Bobbio noch eine weitere mönchische Gemeinschaft einrichtete, welche – ähnlich wie schon zuvor das kalabrische Gelehrtenkloster Vivarium des Cassiodor (gegründet nach 554) – zu einem Zentrum abendländischer Bildung werden sollte [↗ Monastik].

Gemäß der unitären Überlieferung Papst Gregors I. (Dialogi II 1) schrieb Benedikt von Nursia († vermutlich 560) nach in Subiaco gesammelten eremitischen Erfahrungen in Monte Cassino auf Grundlage vor allem der sehr stark disziplinar ausgerichteten sogenannten „Magisterregel“ eine zönobitäre Klosterregel, die neben jener des Augustinus zur wichtigsten des abendländischen Religiosentums werden sollte. Erfüllt von Gedanken der Humanität, der distributiven Gerechtigkeit, der gegenseitigen Liebe (caritas), der Demut (humilitas) ebenso wie der Fähigkeit zur Entscheidung (discretio), der Ortsfestigkeit (stabilitas loci) und des Gehorsams (oboedientia), ordnet sie detailliert die Position des von der Gemeinschaft zu wählenden Abtes, der sich als väterlich wirkender Stellvertreter Christi zu verstehen habe, sowie den Fächer der Ämter, den zirkularen Tagesablauf, die geistlichen Übungen (vor allem die Lesung des Psalters), die materielle, vom Gedanken der Autarkie durch eigene Arbeitsleistung getragene Versorgung, die Novizenausbildung, die Formen der Bestrafung und der Buße. Als folgenreich erwies sich die Einführung des Priestermönches bzw. die Aufnahme von Klerikern, die somit auch die geistliche Versorgung des Klosters in Eigenregie vornehmen konnten. Hier war der Anfang gesetzt zu einer späteren Klerikalisierung des Mönchtums, welche allerdings prinzipiell außerklösterliche pastorale Aktivitäten ausschloß [↗ Klerus].

Es folgte eine durchaus lebendige Phase des lateinischen Mönchtums, die geprägt war von sogenannten „Mischregeln“ – Ergebnissen selektiver Zugriffe auf verschiedene Texttraditionen, bei denen die Columbans- und Benediktsregel (letztere vor allem auf angelsächsischem Gebiet) eine herausragende Rolle spielten – wie aber auch von bedeutenden Missionsanstrengungen, die ihren Ausgang in der ursprünglich irischen, jetzt gleichfalls angelsächsischen peregrinatio-Idee hatten und bei denen beachtenswert stark auch das weibliche Element (in Form von Frauenkommunitäten oder von schon seit Columban geförderten Doppelklöstern unter Leitung einer Äbtissin) vertreten war. In den fränkischen Grenzräumen wirkten vor allem der nachmalig als „Apostel der Deutschen“ bezeichnete Bonifaz (aus Exeter stammend; † 754) durch bedeutende Klostergründungen wie Ohrdruf und Fritzlar gemeinsam mit seinem Familien- und Schülerkreis (z.B. Sturmius in Fulda, Lioba in Tauberbischofsheim, Wunibald, Willibald und Walburga in Heidenheim und Eichstätt).

Der Durchbruch der Benediktsregel aber geschah erst unter Benedikt von Aniane († 821), welcher gemäß dem Motto una regula et una consuetudo („eine Regel und eine Gewohnheit“) recht erfolgreich versuchte, mit Hilfe von Kaiser Ludwig dem Frommen eine Vereinheitlichung der vita monastica im Frankenreich des frühen 9. Jahrhunderts durchzuführen. Verordnet durch drei Synoden (Aachen, 816–819) deckte sich hinfort mönchisches Leben nach und nach mit der ausschließlichen Befolgung der Benediktsregel, zu deren praktischer Umsetzung Benedikt von Aniane eigene consuetudines gleichsam als „Ausführungsbestimmungen“ verfaßt hatte. Gleichzeitig und ebenso von der politischen Reichseinheitsidee [↗ Karolinger] angestoßen, erfolgte 816 auch die Reform der Kanoniker (zum gemeinschaftlichen Leben verpflichteter, jedoch mit Eigenbesitz ausgestatteter Kleriker, oftmals an einem Bischofssitz) und Kanonissen (in regularer und liturgischer Form gemeinschaftlich lebender, jedoch mit eigenem Besitz und eigenen Wohnräumen ausgestatteter Frauen), die – aufbauend auf einer vorausgegangenen Regelung durch Bischof Chrodegang von Metz († 766) – in den sogenannten Institutiones Aquisgranenses verbindlich festgeschrieben wurde.

Die Einbettung in die Politik veränderte das mönchische Leben nachhaltig. Längst waren zahlreiche Klöster auf dem Lande zu markanten Wirtschaftsfaktoren herangewachsen. Auch Karl der Große schon hatte es verstanden, diese für unterschiedliche (darunter auch bildungspolitische) Reichsaufgaben heranzuziehen; viele von ihnen erfuhren Immunität und Königsschutz, wurden königliche Eigenklöster. An einem Idealplan des Klosters St. Gallen (vermutlich zwischen 820 und 830 gezeichnet) läßt sich das neue, nun auch planimetrisch faßbare, in der Benediktsregel noch fehlende räumliche Organisationsschema solcher Großabteien deutlich ablesen.

Daß Abhängigkeit von weltlichen Machtinteressen äußerst nachteilige Folgen für das Religiosentum haben konnte, zeigte sich spätestens beim Zusammenbruch des Frankenreichs. Denn nicht allein die äußeren Bedrohungen durch Normannen, Ungarn und Sarazenen [↗ Bedrohungen] schädigten nunmehr ein regulares Klosterleben, vielmehr war es die Schwächung der königlichen Zentralgewalt, die insbesondere im Westfrankenreich (während im Ostfrankenreich die ottonische Reichskirche als institutionelle Rahmenstruktur stabilisierend wirkte) verbreitet zum besitzrechtlichen Übergang von Reichsklöstern in die Hände des Adels bis hin zur Übernahme des Abtsamtes durch Laien und damit oftmals zur Zerstörung mönchischer Disziplin, zur Ausbeutung und häufigen Ruinierung der klösterlichen Wirtschaftskraft führte. Auch die erneute Aufsplitterung der monastischen Lebensweise in eine Vielzahl von consuetudines war eine gravierende Folge der allgemeinen politischen Verhältnisse. Als besonders nachteilig erwies sich in jenem Zeitalter des noch ungebrochenen Eigenkirchenwesens zudem die für den Schutz und die Verteidigung der Klosterrechte an sich notwendige Vogtei, da sie ein offenes Einfalltor für adelige Interessen war [↗ Vogtei].

Das Benediktinertum von Cluny (gegründet 910) war dann allerdings durch seinen adeligen Stifter Wilhelm von Aquitanien von diesen Verstrickungen freigesetzt worden und konnte sich zum entscheidenden mönchischen Reformzentrum der nächsten zwei Jahrhunderte entwickeln. Unter den Schutz des Papsttums gestellt, im Genuß der Freiheit von jeglicher weltlichen Herrschaft und herausgelöst (Exemtion) aus der bischöflichen Kontroll- und Jurisdiktionsgewalt [↗ Bistümer] vermochte Cluny ihm übergebene oder selbst gegründete Häuser in einen Verband (mit Zugehörigkeiten auf der Iberischen Halbinsel, in Frankreich, England, Italien und in den westlichen Grenzregionen des deutschen Reiches) von Abteien und Prioraten bzw. Filiationsgruppen von Prioraten zusammenzuschließen, welcher unter der monarchischen Leitung des Abtes von Cluny stand und gleichsam als ein „dislozierter Großkonvent“ verstanden werden konnte. Cluny band zudem den Adel in eine faktische Schützer- und Schenkerrolle bei gleichzeitigem Angebot eines umfassenden Gebetsgedächtnisses [↗ Memoria] ein und brachte unter Zurückdrängung der körperlichen Arbeit eine weit über die Regel hinausgehende Steigerung und Prachtentfaltung der Liturgie sowie des Chorgebets zur Preisung Gottes hervor, die dann einhergingen mit einer Monumentalität des Kirchenbaus [↗ Bautechnik]. Somit konnte sich Cluny während seiner Hochblüte an der Wende zum 12. Jahrhundert (unter Abt Hugo dem Großen, 1049–1109) als eine überaus selbstbewußte „Mönchskirche“ (Cluniacensis ecclesia) innerhalb der Universalkirche verstehen, die ein unabhängiges Mönchtum vorlebte und damit auf die gesamte monastische Welt ausstrahlte.

Neben Cluny und zu einem großen Teil von diesem beeinflußt gab es weitere Verbandsbildungen oder zumindest Reformstrukturen von überregionaler Bedeutung und mit unterschiedlichen Ausformungen von consuetudines – zum Beispiel St. Bénigne in Dijon unter Wilhelm von Volpiano (ab 989), Fruttuaria im Piemont (1003 von jenem Wilhelm gegründet), Gorze in Lothringen, welches zwischen 1012 und 1017 (wiederum durch jenen Wilhelm angestoßen) unter den Einfluß cluniazensischer Gebräuche kam, St. Blasien im Schwarzwald und Siegburg bei Köln, beide von den Gewohnheiten Fruttuarias geprägt und letzteres die „bischöfliche Klosterreform schlechthin“ (J. Semmler) repräsentierend, oder das ursprünglich den neuen adeligen Interessen an Grablegen und memoria-Stiftung im dynastischen Hauskloster [↗ Adel] entsprechende Hirsau, welches dann aber in den 70er/80er Jahren des 11. Jahrhunderts die cluniazensischen Gebräuche größtenteils übernahm und mit seinen Reformanliegen der Unterstellung unter den Heiligen Stuhl sowie der freien (hier allerdings in der Gründerdynastie bleibenden) Vogtswahl auf über 120 Klöster im Reich ausstrahlte.

Doch das 11. Jahrhundert hatte zugleich einen jähen Aufbruch des Religiosentums gebracht, der den alten Formen der vita eremitica und der vita canonica neue Ordnungsstrukturen verlieh, welche vorrangig auf vertieften spirituellen Inhalten fußten und nicht speziell auf die traditionelle Durchsetzung von besonderen Rechtsformen zielten. Die herkömmliche vita monastica sah sich dadurch mehr und mehr in eine beträchtliche Krise geführt.

Die auf sich gestellte, einsame Suche nach Gott, die seit den Wüstenvätern als die höchste, gleichwohl nur von wenigen erreichbare Stufe religiöser Selbstvervollkommnung galt und die in den herkömmlichen Abteien immer schon eine Verwirklichung durch einzelne (z.B. durch Rückzug in eine Klause: „Inklusentum“) gefunden hatte, gewann in jener Zeit ungeahnten Aufschwung durch neue Ausgestaltungen, welche Anachoretentum mit monastischem Gemeinschaftsleben verbanden. Es seien nur das von Romuald († 1027) gegründete Camaldoli oder das von Johannes Gualbertus 1037 gegründete Vallombrosa als frühe Beispiele genannt. Beide standen noch unter dem Einfluß der Benediktsregel, wohingegen dann schon zum Beispiel die Kartause Brunos von Köln bei Grenoble (seit 1084) oder die Eremitensiedlung Stephans von Thiers († 1124) in Muret, aus welcher später der Orden von Grandmont hervorgehen sollte, auf eine Regelübernahme verzichteten und eigene (später verschriftlichte) Regulativa vorgaben – bei letzterem sogar symptomatisch in explizitem Rückgriff auf das Evangelium als „Regel der Regeln“ (regula regularum).

Der eremitische Rückzug in die Abgeschiedenheit der Waldwüste wurde zur Devise einer religiösen Bewegung, deren Vertreter Rechtsgut, Besitz und Zehnten, wie ihn die herkömmlichen Abteien nutzten, ablehnten und zudem vielfach unter Beteiligung aller sozialer Schichten und beiderlei Geschlechts „in Erfüllung der evangelischen Weisungen, in Nachahmung der Apostel, unter Verzicht auf allen Besitz durch das Land [zogen] und […] zu Buße und Frieden [mahnten]“ (H. Grundmann). Robert von Arbrissel, der 1098 in Fontevrault ein Doppelkloster unter weiblicher Führung gründete, Bernhard von Tiron († 1117), Vitalis von Savigny († 1122) waren beispielhafte Vertreter dieses eremitischen Wanderpredigertums, das schon viel vorwegnahm, was dann im 13. Jahrhundert bei den Mendikanten wieder gesucht sein würde.

Einen ebenso großen Aufbruch bedeutete es, wenn zugleich – angestoßen durch Konzepte der Kirchenreform und besonders gefördert durch Papst Urban II. – die Leitidee einer über die Aachener Bestimmungen von 816 hinausgehenden Regulierung des Klerikerstandes (vita canonica) zu zönobitären Zusammenschlüssen und dabei auch vielfach zu breiten Verbandsbildungen führte (verwiesen sei beispielsweise auf St. Ruf bei Avignon, St. Frediano in Lucca, St. Maria Portuensis in Ravenna, Springiersbach an der Mosel oder Rottenbuch in Schwaben), welche unter dem Gebot der persönlichen Armut und des Gehorsams analog zum Mönchtum standen. Diese nunmehr als canonici regulares („Regularkanoniker“) bezeichneten Religiosen beriefen sich auf die wiederentdeckte Regel des heiligen Augustinus (oder was man dafür hielt: neben dem authentischen Praeceptum auch den sogenannten Ordo monasterii). Sie betonten nach anfänglich teilweisen Rückzügen in das Eremitentum überwiegend die Seelsorgspflichten, reformierten neben der Gründung eigener Stifte auf dem Lande auch zahlreiche Domkapitel und wuchsen dann im 12. Jahrhundert zu beträchtlichen Konkurrenten des Mönchtums heran, obgleich gemäß der modellhaften Dichotomie von Maria und Martha von Bethanien (Joh 12,2) in Form der vita contemplativa einerseits und der vita activa andererseits bei den Disputen jener Zeit eine Scheidung zwischen Mönchen und Regularkanonikern behauptet werden konnte.

Zu Beginn des 12. Jahrhunderts bahnte sich jedoch bereits eine entscheidende Wende in der Geschichte der Religiosen an und sie sollte dem Problem der Organisation in bislang nicht geahntem Maße eine funktionale Bedeutung geben: Mit den Zisterziensern, die ursprünglich der neuen eremitischen Bewegung entstammten, aber auf einem strikten, wörtlichen Festhalten der Benediktsregel bestanden, erwuchs zu Beginn des 12. Jahrhunderts eine völlig neue Gestalt des Religiosentums (1098 Gründung von Cîteaux als programmatisches novum monasterium). Ein weiter gefaßtes Verständnis von ordo überschritt die bisherige begriffliche Beschränkung auf einen gemeinschaftlichen Lebensstil und verband Observanz nunmehr untrennbar mit korporationsrechtlicher Kohärenz. Dies öffnete den Weg zu einer eigenständigen und sich von den anderen religiösen Vereinigungen jeweils strikt abgrenzenden Institutionalisierung des religiösen Lebens, die mit dem Begriff „Orden“ im rechtlichen und bis heute gültigen Sinne zu bezeichnen ist. Anders als bei früheren Klösterverbänden, die (wie z.B. bei den Cluniazensern) unter der Leitung eines einzigen, durch „Amtscharisma“ legitimierten oder besitzrechtlich ausgewiesenen Vorstehers standen und deren Häuser in Brauch und Abhängigkeitsgrad große Unterschiede aufweisen konnten, galt nun ebenso genossenschaftliches Zusammenwirken aller Abteien, die gerade nicht in unmittelbarer Abhängigkeit vom Mutterkloster standen, wie strikte Einheitlichkeit in Rechtsständen, Gewohnheiten, Liturgie etc. Gewährleistung dafür bot neben einer konsequent durchgeführten (auch Cîteaux einschließenden) Visitationspraxis in Eigenregie entlang der Filiationsketten von Cîteaux und seinen vier Primarabteien (La Ferte, Pontigny, Clairvaux und Morimond) das jährlich stattfindende „Generalkapitel“, welches das Vertretungsorgan aller Abteien (mit Anwesenheitspflicht der Äbte) darstellte und sowohl als Instanz zentraler Kontrolle wie auch als Organ gemeinsamer Willensbildung mit der Aufgabe zur kontinuierlichen Reform fungierte. Zugleich hielt man die Grundbedingungen und Regulative dieses neuen Systems schriftlich in Form von prospektiv orientierten Verfassungsdokumenten fest – allen voran in der Charta caritatis (1119 in erster Fassung von Papst Calixt II. gebilligt). Die Organisierung des Ordens war allerdings nicht mit Akten einer einzigen statutarischen Grundlegung abgeschlossen, sondern bedeutete für die Generalkapitel fortwährende Korrekturen in Form von judikativen, legislativen oder administrativen Definitionen bzw. statuta annalia, die man dann ab dem 13. Jahrhundert im Generationenabstand selektiv in sogenannten Libelli definitionum sammeln sollte (wobei der jeweils vorausgegangene ungültig wurde), um den Kern dessen, was man für wesentlich ansah, zu verwirklichen und zu erhalten.

Kaum war das zisterziensische Organisationsmodell geschaffen, das sich nicht minder Freiräume nach außen durch Ablehnung einer Vogtei und durch Restriktionen bischöflicher Eingriffe (Exemtion) zu gewinnen verstand, wurde es auch schon zum qualifizierenden Element religiöser Lebensform. Rasch übernahmen andere religiöse Gruppierungen die Grundprinzipien der zisterziensischen Ordensstrukturen. An erster Stelle sind die Prämonstratenser zu nennen. Diese unter der charismatischen Leitung Norberts von Xanten (anfänglich eines Vertreters des erwähnten Wanderpredigertums und des Gründers von Prémontré [1120]) sowie nach dem Augustinus fälschlich zugeschriebenen strengen Ordo monasterii in mehreren Klöstern lebenden regulierten Kanoniker (also in einer Verbandsbildung alten Stils unter der Rechtsform von Eigenklöstern Norberts) sahen sich nach Weggang ihres Gründers auf den Erzbistumsstuhl von Magdeburg (1124) dazu gezwungen, sich gemäß transpersonal gültiger Texte, Instanzen und Organe zu organisieren, um ihre Fortdauer zu sichern. Das Modell der Zisterzienser stand Pate und führte zur Entstehung des ersten Kanonikerordens, der dann im wesentlichen auch analoge Strukturen aufwies. Einer der gewichtigsten Unterschiede war allerdings eine flächenhaft eingeteilte Visitationsstruktur, welche Provinzen (hier „Zirkarien“ genannt) entstehen ließ und modellhaft bei späteren Ordensbildungen wirkte (so z.B. bei den im 13. Jahrhundert reformierten Cluniazensern, bei den Bettelorden etc.).

Ähnlich zügig übernahmen beispielsweise die Kongregationen der Kanoniker von Arrouaise oder von St. Viktor in Paris, die Kartäuser und andere die zisterziensischen Einrichtungen unter Anpassung an die eigenen Bedürfnisse (so hatten z.B. die Kartäuser eine kumulative Rechtsfortschreibung, die den älteren Definitionensammlungen ungebrochene Geltung beließ). Im weiteren Verlauf des 12. und 13. Jahrhunderts wurden die signifikantesten Elemente der zisterziensischen Ordensverfassung – die Satzung, das Generalkapitel und die Visitation – sowie deren Ablehnung von Vögten üblicher Bestandteil sonstiger alter wie neuer Verbände. Das 4. Laterankonzil (1215) hatte aus einer solchen Praxis eine allgemeine Rechtsnorm entwickelt, die sogar in den Liber extra (X 3.35.7) eingegangen ist, und auch den nicht in Kongregationen gebundenen Klöstern und Kanonien ein regionales Kapitel aller Prälaten juxta morem Cisterciensis ordinis vorgeschrieben. Unter Honorius III. folgte dann ein analoges Gebot der gegenseitigen Visitation (X 3.35.8) [↗ Religiosenrecht].

Die Ausbildung zu Orden war in jener Zeit einer gänzlich neuartigen Form des Religiosentums von vornherein in die Wiege gelegt: den geistlichen Ritterorden und den Hospitalorden. Erstere – entstanden im Heiligen Land und auf der Iberischen Halbinsel im Zusammenhang mit den Kreuzzügen [↗ Kreuzzüge] bzw. der Reconquista [↗ Iberischer Raum] – verbanden mönchisch reguliertes Leben mit Pilgerschutz und Heidenkampf, eine Kombination, der vor allem der Zisterzienser Bernhard von Clairvaux († 1153) die legitimierende Grundlage gegeben hatte. Lazariter (um 1110), die als Leprosen sich auch der Pflege ihrer Leidensgenossen hingaben, Templer (1120/29), Johanniter (nach 1135) und Deutscher Orden (1198) zählten unter den prominenteren Vereinigungen zu den ältesten. Die im Gedanken der christlichen caritas zum Dienst an Kranken und Armen verpflichteten Hospitalorden waren zumeist hochspezialisiert – so zum Beispiel die im letzten Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts aus einer Laienbruderschaft im Viennois hervorgegangenen Antoniter, die sich neben der Pilgerbetreuung vor allem der Pflege der vom Antoniusfeuer Befallenen widmeten.

Die varietas religionum, die Aufsplitterung des Religiosentums, die im Verlauf des 12. Jahrhunderts nun immer deutlicher wurde und die nur sehr grob noch in eine dreifache Typologie von vita monastica, vita canonica sowie vita eremitica einzuteilen war, konnte der Prämonstratenser Anselm von Havelberg († 1158) gegen die Befürchtungen vieler Zeitgenossen noch als das Wirken des einen Heiligen Geistes erklären, der vielfältig sei in der Verteilung seiner Gaben. Jenes 4. Laterankonzil suchte dann schon weiterer Confusio vorzubeugen und verbot neue religiöse Gemeinschaftsbildungen, die sich nicht einer der bereits bestehenden Regeln unterwarfen.

Gleichwohl entstand anschließend eine regulare Form, die der religiösen Lebensweise den bislang größten Erfolg bringen sollte: das Mendikantentum, die Bettelorden mit ihren hunderten von Häusern und tausenden von Mitgliedern. Bezogen auf einen der wichtigsten dieser Orden – auf die Franziskaner – sah sich ein kundiger Beobachter wie Kardinal Jakob von Vitry († 1240) sogar veranlaßt, von der quarta institutio der seit der Urkirche dem Religiosentum eingelegten quadratura fundamenti zu sprechen, die jetzt zutage getreten sei.

Wie er hatten auch seine Zeitgenossen – insbesondere Papst Innozenz III., der seitens des Heiligen Stuhls die entscheidenden Weichen zur Förderung stellte – erkannt, daß neue religiöse Bedürfnisse insbesondere der städtischen, handwerklich und kaufmännisch geprägten Gesellschaft [↗ Städtischer Raum], die nicht zuletzt auch in anwachsenden häretischen Bewegungen ihren Ausdruck fanden [↗ Dogmen und Ketzerei], nunmehr veränderte Formen der Glaubensvermittlung und der Frömmigkeitsgestaltung erforderten. Die norditalienische Laienbewegung der Humiliaten, die zunächst noch von Papst Lucius III. (um 1184) als ketzerisch verfolgt wurde, dann aber zu weiten Teilen von Innozenz III. um 1198/99 wieder in die Kirche zurückgeholt und zu einem eigenen Orden mit einer vom Papst gegebenen Regel ausgeformt wurde, besitzt beispielhafte Signifikanz für diese Verhältnisse. Sie gestaltete sich dabei dreifach aus: in eine Gemeinschaft von Priestern, in eine von Nonnen sowie in eine von sogenannten „Semireligiosen“, die nicht in klösterlicher Bindung, sondern als Laien in ihren Familien lebten. Insbesondere letztere Lebensform sollte auch im Zusammenhang mit den künftigen Bettelorden als „Dritter Orden“ bzw. als Tertiaren einen neuen Typ der vita religiosa darstellen. Um ähnliche Ausformungen eines gänzlich frömmigkeitsgeleiteten Lebens von Laien handelte es sich bei den seit Beginn des 13. Jahrhunderts mehr und mehr in großer Zahl auftretenden Beginen (mulieres devotae), die ohne bleibend verbindliches Gelübde und approbierte Regel zumeist unter der Leitung einer magistra in Gemeinschaft (in sogenannten Beginenhöfen) ein geistliches Leben mit Gebet, caritas, Kontemplation und Unterhalt durch Handarbeit führten.

Von den sich nunmehr neu herausbildenden Zweigen des Religiosentums im engeren Sinne aber war vor allem – wollten sie überzeugend wirken – einerseits die Aufgabe der klaustralen Weltabgewandtheit, der stabilitas loci sowie des individuellen und gemeinsamen Besitzes verlangt wie andererseits auch eine ausgeprägte professionelle Funktionalisierung ihrer Lebensformen speziell für pastorale Pflichten. Für diese Ziele konnten zwar bereits einige eingelebte Traditionen aufgegriffen werden; doch überwiegend mußten erst eigene und voneinander recht verschiedene Wege (proposita) gesucht werden:

Aus dem pastoral gegen die Katharer orientierten Regularkanonikertum und Wanderpredigertum des Dominikus von Guzmán († 1221) erwuchs – ausgehend von Toulouse (1215) – der Predigerorden, der nach eigenem Verständnis „speziell wegen der Predigt [↗ Predigt] und dem Heil der Seelen“ (specialiter ob praedicationem et animarum salutem) innovativ für den Gesamtraum der Kirche eingerichtet und in diesem Sinne von Papst Honorius III. 1217 auch bestätigt wurde. Die berufsmäßigen und entsprechend durch ein theologisches Studium bestens vorbereiteten, in pragmatisch fundierter Bettelarmut lebenden Prediger (praedicatores) und später auch sehr erfolgreichen Inquisitoren [↗ Inquisition] sollten der Augustinusregel folgen, gaben sich aber ab 1220 zusätzlich eigene constitutiones (1239/41 durch Raymond de Peñafort, den 3. Ordensgeneral und großen Kanonisten, in eine bleibende Ordnung gebracht), welche nicht nur den – hinsichtlich Rationalität und Flexibilität – seinerzeit modernsten Rechtstext darstellten, sondern die auch ein ausgeklügeltes Verfassungsleben mit neuartigen Repräsentationsformen ermöglichten und den Kern der Ordensidentität symbolisierten. Kennzeichen war eine ausbalancierte Beschränkung institutioneller Macht, indem einer „deszendenten“ Befehlsstruktur eine „aszendente“ Kontrollstruktur gegenüberstand. An der Spitze fungierte der mehrheitlich gewählte „Generalmagister“, dem alle Mitglieder die Profeß abzulegen hatten, mit dem Generalkapitel. Hierarchisch folgten die „Provinzialmagister“ als Vorsteher der Provinzen mit eigenen Provinzialkapiteln und schließlich die Prioren der Häuser. Auf allen Ebenen bestand ein breites Mitspracherecht der einfachen Brüder bis hin zur eigenen Durchführung von zwei jährlich folgenden, durch Delegierte besetzten Generalkapiteln, die im dritten Jahr dann durch eines der Provinzialmagister abgelöst wurden. Dies machte eine auf dem Constitutiones-Text basierende Rechtsfortschreibung erforderlich, die jeweils erst nach drei Lesungen Geltung gewann, sofern nicht Ad-hoc-Verordnungen in Form von rechtsverbindlichen, aber durch ein nächstes Generalkapitel sofort widerrufbare sogenannte admoniciones getroffen worden waren, um die Anpassungsfähigkeit an unvermutete Anforderungen zu erhalten. Zwei weitere Einrichtungen, die die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Brüder förderten, waren zum einen äußerst umfangreiche Dispenspraktiken, die der vollen Konzentrationsmöglichkeit auf das Studium und das Predigeramt dienten, zum anderen die Trennung von Schuld und Strafe, das heißt das „Prinzip des reinen Strafrechtes“ (G. G. Meersseman), welches einen Verstoß gegen die Constitutiones nicht als Sünde ansah und somit ein Ordensmitglied von unnötigen Gewissensskrupeln freihielt. Alle Strukturelemente dieser formal ausgewogenen Organisation verliehen dem Orden eine außergewöhnliche Festigkeit über Jahrhunderte hinweg.

Eine solche Stabilität zeigte sich bei dem anderen großen Bettelorden, bei den Minoriten, von vornherein als wesentlich problematischer, da bei ihnen eine charismatisch alles überragende Person – Franziskus von Assisi († 1226) – im symbolischen Mittelpunkt der Eigenidentität stand. Aus einer Gruppe von Laien, die sich als viri poenitentiales um Franziskus zwischen 1206 und 1208 geschart und 1209 von Innozenz III. die mündliche Approbation ihres strikten Lebens nach dem Evangelium in völliger Armut, Brüderlichkeit und Bußpredigt erhalten hatte, war schon nach wenigen Jahren eine Bewegung von tausenden Brüdern erwachsen, die in die Welt hinausgeschickt werden sollten und einer eigenen Regel bedurften. Diese wurde ihnen von Franziskus dann – nach immer wieder umgeschriebenen Vorläufern – auch 1221 vornehmlich als Sammlung von Zitaten aus dem Neuen Testament in einer noch nicht päpstlich approbierten Form gegeben. Nach Rücktritt von der Leitung des Ordens, der sich mittlerweile als direkt dem Heiligen Stuhl unterstellt und von einem „Kardinalprotektor“ (Hugolin, dem späteren Papst Gregor IX., der die Verfassungsentwicklung wesentlich mitbestimmte) begleitet etabliert hatte, schrieb Franziskus 1223 unter Berufung auf die direkte Inspiration durch Christus, welche keine Kommentierung und Veränderung erlaubte, dennoch eine weitere, wesentlich organisationsbezogenere Arbeit und Bettel sowie Predigt und Gebetspraxis festschreibende Version der Regel, die dann von Honorius III. im gleichen Jahr anerkannt wurde. Der letzte normative Text des Franziskus war sein Testament, das noch einmal die bedingungslose vita evangelica unterstrich, das aber schon 1230 von Papst Gregor IX. für nicht verbindlich erklärt wurde, da es Unsicherheit unter den Brüdern stiftete.

Der Orden hatte sich schon zu Lebzeiten des Franziskus durch seine europaweite und mehr und mehr auf eine gute Organisation angewiesene Ausbreitung verändert – formalisiert, verrechtlicht und auf immer wieder scheiternde Weise in gewissem Maße auch „entcharismatisiert“ (wobei die zahlreichen Viten und Legenden des Franziskus eine wichtige normative Funktion einnahmen). In den 30er Jahren des 13. Jahrhunderts setzte eine Klerikalisierung der bislang vorrangigen Laienbewegung ein, die den Orden mit Wirkungskreis in der gesamten Kirche sowie in der Mission (die bis China führte) [↗ Entdeckungen] und Inquisition [↗ Inquisition] zu einer Vereinigung professionell ausgebildeter Prediger und Seelsorger machte und ihn strukturell in die Nähe der Dominikaner brachte. 1245 übertrug Innozenz IV. die inzwischen stark angewachsenen mobilen und immobilen Besitzungen der Minoriten auf den Heiligen Stuhl, so daß der Orden diese nur zu nutzen vorgeben konnte und er sich formal in gänzlicher Armut befand.

Die Leitung des Gesamtordens lag in der Hand eines von den Provinzialoberen gewählten „Generalministers“, hierarchisch abgestuft folgten die „Provinzialminister“, die „Kustoden“ (für einen Bezirk innerhalb einer Provinz zuständig) und die „Guardiane“ als Vorsteher der einzelnen Häuser. Ein Generalkapitel wurde bei legislatorischem Bedarf durch den Generalminister einberufen.

Auch diese Organisationsstruktur war im Prinzip flexibel, sofern sie von Franziskus’ primordialen Ideen der Brüderlichkeit und Nachfolge Christi erfüllt war. Aber eben diese bedurften der Interpretation, über die man sich noch im Laufe des 13. Jahrhunderts gänzlich zerstritt, so daß es zur Abspaltung der sogenannten „Spiritualen“ kam, welche Franziskus’ Vermächtnis über die Armut getreulich einhalten wollten. Sie wurden zwar vom Konzil von Vienne (1311) offiziell anerkannt, dann aber ab 1317 unter Papst Johannes XXII., der die Behauptung, Christus und die Apostel seien besitzlos gewesen, als ketzerisch betrachtete, durch die Inquisition bis zum Feuertod verfolgt.

Ein bleibendes Erbe des Franziskus aber war der von ihm angestoßene Orden der heiligen Clara († 1253), die mit ihrer Kommunität in St. Damiano bei Assisi ein evangelisches Leben in vollkommener Armut und kontemplativer Abgeschiedenheit führte und eine eigens dafür geschriebene Regel auch gegen Vorbehalte des Papsttums durchsetzte. Sie stellte eine wesentliche Wegbereiterin für ein spezifisch weibliches Religiosentum des Spätmittelalters dar [↗ Frauen – ihre kulturellen Praktiken]. Neben diesem Orden der Clarissen (oder der „Armen Frauen von San Damiano“) wuchs in jener Zeit ein zweiter genuin weiblicher Orden heran: der der Mag-dalenerinnen oder „Reuerinnen“, welcher – gegründet 1224 durch den Priester Rudolf von Worms – sich die Verwahrung bußfertiger Dirnen, ab der Mitte des 13. Jahrhunderts auch die spirituelle und materielle Versorgung unverheirateter Angehöriger bürgerlicher Familien zum Ziel setzte und im wesentlichen nach der Augustinusregel lebte.

Ansonsten war die Angleichung älterer religiöser Vereinigungen an das neue Modell der Bettelorden bzw. Neugründungen mit analoger Ausrichtung vornehmlich unter der Regie des Papsttums das bestimmende Element der nächsten Entwicklungsschritte. Zu nennen sind zum Beispiel der Trinitarier- und der Mercedarierorden, die beide sich dem Gefangenenloskauf widmeten, oder die Karmeliten, die seit dem späten 12. Jahrhundert als Eremitengemeinschaft am Berg Carmel in Palästina lebten und sich dann gezwungen sahen, nach Europa auszuweichen, wo sie die recht erfolgreiche Metamorphose zum Bettelorden mit seelsorgerlichen Aufgaben durchmachten. Einen ähnlichen Weg gingen die 1233 zur besonderen Marienverehrung von Florentiner Patriziern gegründeten, zunächst in Einsamkeit lebenden Serviten. Ebenfalls aus bereits bestehenden Eremitengruppen (u.a. Johannboniten, Brettiner, Pauperes catholici und den Wilhelmiten, welche allerdings später wieder ausschieden) setzte sich der von Alexander IV. und dem Kardinal Riccardo Annibaldis 1256 geschaffene Bettelorden der sogenannten Augustiner-Eremiten zusammen, der es europaweit zu Niederlassungen brachte und dann unter anderem als ein Gelehrtenorden hervorstach.

Die gestalterisch innovative Kraft des Religiosentums scheint mit dieser Epoche jedoch verbraucht gewesen zu sein. Ein Zisterzienser auf dem Papststuhl, Benedikt XII. († 1342), versuchte zwar durch ein breitangelegtes Reformprogramm mit Sonderkonstitutionen für die einzelnen Orden neue Impulse zur Organisation, zu Kult, zum Studium und zur vita communis von oben zu geben, erzielte aber nur teilweise – nicht zuletzt wegen der Verweigerung von Orden wie der Dominikaner – nachhaltige Erfolge. Auch erwuchsen in den nachfolgenden beiden Jahrhunderten des Mittelalters nur noch wenige neue Ordensformen von bleibender Bedeutung. Hervorzuheben sind allerdings die weiß gekleideten Benediktiner von Monte Oliveto (südwestlich von Siena gegründet von Bernardo Tolomei [† 1348], päpstlich approbiert im Jahre 1319), die es rasch zu einer blühenden Kongregation brachten, sowie der Birgittenorden, welcher von Birgitta von Schweden († 1373) als ein lockerer Verband von Doppelklöstern, in denen die Äbtissin neben einem männlichen „Generalkonfessor“ die Leitung innehatte, gegründet und mit einer eigenen, stark von zisterziensischen Leitideen beeinflußten und von Urban VI. 1378 bestätigten Regel ausgestattet wurde. Zu seiner Blütezeit um 1500 zählte dieser kontemplativ ausgerichtete, in den Konventen die Urgemeinde mit Nachfolgerschaft Christi [↗ Nachfolge Christi] und Mariens [↗ Maria] versinnbildlichende Orden europaweit 27 Häuser.

Enzyklopädie des Mittelalters

Подняться наверх