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Adel

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Der mittelalterliche Adel ist ein europäisches Phänomen, das sich durch eine große Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit an veränderte historische Bedingungen auszeichnet. Das macht seine Definition so schwierig: Denn zu verschiedenen Zeiten sind mit dem Stichwort „Adel“ jeweils unterschiedlich strukturierte Gruppen angesprochen. Konstant blieb lediglich, daß sich Adel niemals auf eine Einzelperson, sondern stets auf Familien und Geschlechter bezog. Historiker unserer Tage bemühen sich darum, Adel mithilfe eines Kriterienbündels zu definieren. Hauptkriterien sind die Faktoren „Herkunft“ und „Grundbesitz“, woraus Privilegien und Herrschaftsrechte über andere Menschen abgeleitet wurden. Überdurchschnittlicher Besitz und/oder ein herausgehobenes Amt schufen einen zunächst nur gesellschaftlichen, dann vererbten und schließlich verrechtlichten Vorrang. Die Hervorhebung einer besonderen Abstammung legitimierte eine privilegierte Stellung, begünstigte Kontinuität und förderte Traditionsbewußtsein. Das wiederum konnte sich auf das Sozialverhalten und den sozialen Status auswirken: erhöhtes Ansehen, exklusive Lebensweise, besondere Mentalität. Gerade letzteres Stichwort deutet an, warum Adel heute vor allem, aber durchaus nicht unumstritten als eine mentale Konstruktion und als eine Frage der Selbst- oder wichtiger noch der Fremdwahrnehmung begriffen wird, was wiederum eine gute Erklärung dafür zu liefern vermag, weswegen „der Adel“ so oft erhebliche Veränderungen und Umformungen erlebte, ohne eigentlich in seiner gesellschaftlichen Position erschüttert zu werden.

Die mittelalterlichen Zeitgenossen gaben Adel mit den steigerungsfähigen Termini nobilis bzw. edel wieder und meinten damit einen gesellschaftlichen und insbesondere durch Herkunft begründeten Vorrang. Sie glaubten gewissermaßen, bestimmte, positiv verstandene Eigenschaften würden geblütsmäßig vererbt, die ihrerseits ein bestimmtes Verhalten erforderlich machten, durch einen bestimmten Lebensstil demonstriert würden und die hervorgehobene Position in der Gesellschaft rechtfertigten. Diese Vorstellungen wurzelten bereits in der Spätantike. Doch war Adel als soziale Kategorie bis zum Hochmittelalter nicht statisch fixiert, sondern durchaus durchlässig. Erst im 12. und 13. Jahrhundert erfolgte eine genauere Bestimmung des rechtlichen Status. Ein adeliges Bewußtsein in Abgrenzung vom Nicht-Adel hingegen entstand anscheinend erst im Spätmittelalter, als neue soziale und politische Entwicklungen wie die Entfaltung des Städtewesens eine solche, in ihrer Grundtendenz als defensiv zu beurteilende Abgrenzung erforderlich machten. Freilich kann eine wirklich exakte Grenze zwischen Adel und Nicht-Adel erst in der Frühen Neuzeit gezogen werden.

Die Genese des mittelalterlichen Adels war also, wie gerade angedeutet, ein langwieriger Prozeß, der sich in drei größere Abschnitte einteilen läßt. Den Ansatz für das erste Entwicklungsstadium bildete die Vermischung von spätantik-römischem Senatorenadel und dem fränkischen Adel in der Merowingerzeit. Charakterisiert durch reichen Grundbesitz, Ausübung von Herrschaft und Teilhabe an der staatlichen Gewalt, hob sich der Adel als eine aus zahlreichen Familien bestehende „Reichsaristokratie“ auch nach dem von den Karolingern ausgelösten Umformungsprozeß mit der Betonung einer gleichrangigen Geburt und der Stilisierung spezifischer Lebensformen und Ideale von den rechtlich prinzipiell gleichgestellten Freien ab. Mit dem Stichwort „Umformungsprozeß“ ist die damalige Abschaffung der Herzogtümer angesprochen, wodurch nur noch Grafen als weltliche politische und soziale Führungsschicht direkt nach dem König folgen sollten [↗ Ämterwesen]. Im Verlauf des 9. Jahrhunderts bildeten sich wegen der innerfränkischen Auseinandersetzungen und der äußeren Bedrohung des Reichs mit Herzögen, Markgrafen oder Pfalzgrafen allerdings erneut Zwischengewalten zwischen König und Grafen. Sie ragten durch die Einverleibung von Grafund Herrschaften machtmäßig über die Grafen hinaus, bildeten sozial gesehen mit ihnen aber eine generell als nobiles oder principes bezeichnete Einheit. Die Abstufungen und Differenzierungen konnten indes durch Steigerungsformen wie nobiliores oder nobilissimi zum Ausdruck gebracht werden. Die politische oder auch verwandtschaftliche Nähe zum König und die noch in der gesamten Ottonen- und Salierzeit als Amt verstandene Funktion als Herzog, Markgraf oder Graf bestimmten den Rang einer Familie. Am Ende der adeligen Rangleiter standen die nobiles oder domini ohne Amt. Zusätzlich zu den so ersichtlichen Abstufungen innerhalb der adeligen Oberschicht gibt sich in sogenannten Fürstenspiegeln der damaligen Zeit ein Leitbild für den Adel zu erkennen: Es war geprägt von Vorstellungen, die aus der Spätantike übernommen waren und die die Notwendigkeit eines Tugendadels unterstrichen. Eine edle Abstammung verlangte ein edles Verhalten.

Die zweite Entwicklungsphase setzte im 12. Jahrhundert ein. Einmal erfolgten damals innerhalb des „alten“ Adels vier zentrale Strukturveränderungen, die sich schon seit langem angebahnt hatten. Zum einen (1) waren die Lehen erblich geworden, was zu einer Stabilisierung der Adelsherrschaften und zur sogenannten Patrimonialisierung der Ämter führte: Bislang waren die Titel „Herzog“ oder „Graf“ nur auf den betreffenden Amtsinhaber beschränkt gewesen. Nun wurden die Bezeichnungen auf die gesamte Familie übertragen. So wurden aus Amtstiteln jetzt Standestitel. Mit dem Verblassen des Amtscharakters wurden andererseits (2) Herzogtümer und Grafschaften trotz beibehaltener bzw. jetzt erst endgültig ausgeformter Lehnsabhängigkeit gemeinsam mit dem Allod mehr und mehr zur disponiblen Erbmasse. Barbarossa verbot 1158 zwar die Teilung von Herzogtümern und Grafschaften, doch vermochte er die Entwicklung damit nicht aufzuhalten. Außerdem kam es (3) durch die Verfestigung der Adelsherrschaften und die Ausbildung stabiler Herrschaftskerne im eigentlichen Sinne zur Dynastiebildung im Adel. Für das Frühmittelalter sprechen wir von „Sippen“ und meinen damit auf Blutsverwandtschaft (cognatio) beruhende zeitlich wenig stabile, horizontale Gruppen. Ein Vorrang agnatischer Verwandtschaftsbeziehungen ist nicht erkennbar. Demgegenüber nahm nun die Bedeutung der Vater-Sohn-Folge zu, da sie im Normalfall den Erbgang bestimmte. Zeitgleich erlebte der im Westen des Reichs schon im 9. Jahrhundert einsetzende Burgenbau seinen Höhepunkt, der bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts andauerte. Wurden die einzelnen Adeligen vorher nur mit dem Vornamen bezeichnet, legten sie sich nun einen bleibenden Herkunftsnamen zu, wobei sie diesen zumeist von einer Burg, der „Stammburg“ der Dynastie, herleiteten [↗ Gesellschaft]. Zeitlich ging damit ungefähr die Einführung von Siegeln und Wappen [↗ Siegel; ↗ Wappen] einher, die anfangs lediglich die Einzelperson, bald aber das adelige Geschlecht insgesamt repräsentierten. Insgesamt begegnen so im 12. Jahrhundert „neue“ Grafengeschlechter, von denen wir oft nicht mit Sicherheit sagen können, ob sie genealogisch mit den „alten“ Grafen zusammenhingen oder nicht. Eine weitere damalige Strukturveränderung (4) stellt die Verfestigung der ursprünglich nur rangmäßigen Unterschiede zwischen Herzögen, Markgrafen, Pfalzgrafen, Landgrafen und Grafen zu Standesunterschieden dar. Wurde der Titel princeps im 11. Jahrhundert noch unspezifisch gebraucht, grenzte sich seine Verwendung im 12. Jahrhundert auf die Herzöge, Mark-, Pfalz- und Landgrafen, nicht aber auf die Grafen ein [↗ Fürstentum]. Damit läßt sich erst ab dieser Zeit von einem fürstlichen im Unterschied zu einem nichtfürstlichen Hochadel sprechen. Hintergrund dieser Entwicklung bildete eine Veränderung der Reichsverfassung, die von der zunehmend wichtiger werdenden Heerschildordnung und der Sonderrolle der Fürsten als membra imperii begünstigt wurde. Die direkte Belehnung durch den König und die Freiheit von Lehnsbindungen an einen anderen weltlichen Lehnsherrn galten fortan idealiter als wichtigste Kriterien für die Zugehörigkeit zum Reichsfürstenstand [↗ Lehnswesen]. Dazu kam noch die landrechtliche Erfordernis, daß ein Reichsfürst ein qualifiziertes Fürstentum innehaben sollte, also die Gebietsherrschaft über ein Land und, damit verbunden, eine übergeordnete Gerichtsgewalt über Grafen und Edelherren. Aus sozialen Schichtenlinien waren „verfassungsmäßige“ Rangstufen geworden. Nur durch eine förmliche Erhebung seitens des Königs konnte man ab Ende des 12. Jahrhunderts in den Kreis der Reichsfürsten gelangen, die nunmehr an der Spitze der Adelshierarchie standen. Auf sie folgten die Grafen und die mit dem Titel dominus als Inhaber von Herrenrechten qualifizierten Edelfreien, die zwar mit den Fürsten den edelfreien Geburtsstand gemeinsam hatten, ihnen aber verfassungsmäßig nachgeordnet waren. Danach kam der aus Rittern und Edelknechten gebildete Niederadel, dessen geburtsständisches Merkmal der Ritterbürtigkeit eine Abgrenzung nach unten und oben zugleich darstellte. Die Zweigliederung in Hoch- und Nieder- oder Ritteradel ist neben den vier genannten Veränderungen innerhalb des „alten“ Adels eine weitere ganz zentrale Neuerung in dieser Phase der Adelsgenese. Sie läßt sich in weiten Teilen Europas beobachten. Den ursprünglich unfreien Ministerialen – sie werden noch unter Konrad II. servi und unter Heinrich III. servientes genannt – war im Verlauf des 11. und 12. Jahrhunderts der Anschluß an den Adel gelungen. Ihr Aufstieg zeigt, wie durchlässig damals noch die „Standesgrenzen“ waren. Die Ministerialen wurden in militärische und administrative Funktionen miteinbezogen, die zuvor dem Adel vorbehalten waren, und in das Rittertum integriert, jenes komplexe soziale und kulturelle Phänomen, das sich im Hochmittelalter unter dem Dach einer gemeinsamen Lebensweise und Ethik aus einem Berufs- zu einem Geburtsstand, einem genus militare entwickelte. Auf die Idee des Rittertums gehen zentrale Begriffe wie staete (Beständigkeit), mâze (Mäßigung) und hövescheit (Höfischkeit) zurück, die für das sich entfaltende höfische Leben des Adels prägend werden sollten. Im Rahmen des Hoflebens [↗ Höfischer Raum] wurden ein besonderes Verhalten und eine besondere Lebensform demonstriert, die vom Nichtadel abgrenzten. Dies war generell in Gespräch, Gestik, Kleidung, Symbolen etc. ebenso möglich wie bei besonderen Anlässen, etwa Turnieren, Jagden, Festen etc. Gerade die Annahme einer adeligen Lebensform bildete jedenfalls einen zentralen Bestandteil des sozialen Aufstiegs der Ministerialität. Zahlreiche sozial abgesunkene Edelfreie gingen gleichfalls in dem sich formierenden Ritteradel auf. Nach dem Vorbild des alten Adels schloß sich der Niederadel nun freilich mit der geburtsständischen Zulassungsvoraussetzung einer ritterlichen Abkunft von Aufsteigern weitgehend ab. Der Hochadel grenzte sich mit der Betonung seiner freien Geburt seinerseits vom Ritteradel ab, akzeptierte aber auch einige Reichsministerialen in seinem Kreis.

Im dritten von etwa der Mitte des 13. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts reichenden Entwicklungsabschnitt blieb es bei dieser Grobgliederung des Adels, doch ergaben sich gewichtige Veränderungen in der Binnenstruktur. Die Kurfürsten hoben sich seit 1257 innerhalb des Reichsfürstenstandes heraus. Ihre Siebenzahl wurde durch die „Goldene Bulle“ von 1356 rechtlich fixiert. Die Fürsten bauten ihre im 13. Jahrhundert noch nicht präzise formulierten Privilegien aus und monopolisierten sie so stark, daß nunmehr der Abstand zum nichtfürstlichen Hochadel betont wurde. Die sogenannten Fürstengesetze Friedrichs II. von 1231/32 sollte man dabei in ihrer Bedeutung nicht überschätzen. Sie sanktionierten wohl eher den schon bestehenden Status quo. Ständisch verfestigt erscheinen auch die Grenzen zwischen Grafen und Edelherren. Zumindest deuten die am Ende des 14. Jahrhunderts einsetzenden königlichen Standeserhebungen von Edelherren zu Grafen eine vorher wohl nicht so stark empfundene Trennlinie an. Das Bemühen der Edelherren um den Grafentitel war auf das Nachdrängen aufsteigender Ritteradeliger zurückzuführen, die sich auf königliche Erhebungen in den Stand der Freiherren stützen konnten. Ebenso löste sich gegen Ende des 13. Jahrhunderts die Ministerialität auf, allein erkennbar daran, daß der Begriff ministerialis aus den Quellen verschwand. Die Masse der ritterlich lebenden Ministerialen entwickelte sich, wie schon gesagt, zum niederen Adel. Aber auch das Phänomen des sozialen Abstiegs ist feststellbar, wenngleich man bislang über eine genaue Größenordnung keine Vorstellung hat. Setzt man im übrigen das Selbstverständnis der Zeitgenossen als Definitionskriterium fest, so kann man eigentlich jetzt erst vom Adel als sozialer Kategorie sprechen. Im übrigen ist Adel aber nicht nur eine Sache der Selbstwahrnehmung. Wichtiger als der eigene Glaube, selbst von Adel zu sein, war vielmehr, ob man von „außen“ als Adeliger akzeptiert wurde oder nicht. Dies wird bei den Inhabern von Adelsbriefen erkennbar, die anfänglich nicht unbedingt als adelig begriffen wurden und erst allmählich über Besitz, Konnubium und Lebensweise in den Adel „hineinwuchsen“.

Bereits in die Neuzeit verweist schließlich eine vierte Entwicklungsphase. Sie wird allerdings schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts sichtbar. Am Hof von König und Fürsten wurde der Adel „domestiziert“, indem er dort wichtige administrative oder ehrenamtliche Funktionen übernahm. Ausdruck dessen war die Gründung von hierarchisch aufgebauten Hoforden, die – im Unterschied zu den seit der Mitte des 14. Jahrhunderts bis etwa 1500 florierenden genossenschaftlich organisierten Adelsgesellschaften – auf den Fürsten ausgerichtet waren. Die genannten Adelsgesellschaften dienten neben der friedlichen Konfliktregelung vor allem der Demonstration adeliger Lebensweise. Die Verdichtung der Reichsverfassung und die wachsende Übermacht der fürstlichen Landesherren, denen es teilweise gelang, den nichtfürstlichen Hochadel und die Ritterschaft in ihren Untertanenverband einzugliedern, führte zur Trennung in einen reichsunmittelbaren und einen landsässigen bzw. mediatisierten Adel. Um dem Druck der Fürsten standhalten zu können, schlossen die Grafen und Herren ständische Einungen und verstärkten den Bezug zu Kaiser und Reich. Der Niederadel folgte ihnen darin, soweit es ihm möglich war, und formierte sich im 16. Jahrhundert in Franken und Schwaben sowie im Rheingebiet zur sogenannten Reichsritterschaft. Der landsässige Adel schloß sich seinerseits auf territorialer Ebene zum Landstand bzw. zur Landschaft zusammen.

Im Spätmittelalter geriet der Adel mehr und mehr in die Kritik. Er wurde noch deutlicher als zuvor als eine qualitas begriffen, die nicht mehr nur durch Geburt bestimmt, sondern auch erworben oder verliehen werden konnte. Deutlich machte dies die Qualifikation des Universitätsstudiums, die Nichtadelige in einigen Bereichen Adeligen gleichstellte. Pauschal, wie es zuweilen geschieht, von einer Krise des spätmittelalterlichen Adels zu sprechen, geht wohl an der historischen Realität vorbei. Veränderungen auf politischem, gesellschaflichem, wirtschaftlichem und militärischem Gebiet übten zwar einen großen Modernisierungs- und Anpassungsdruck auf den Adel aus, was seinerseits zu Umschichtungsprozessen und einer breiteren Verunsicherung vor allem im Niederadel führte. Doch blieb der Adel insgesamt bis weit in die Neuzeit hinein die gesellschaftliche Führungsschicht.

OLIVER AUGE/KARL-HEINZ SPIESS

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