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Bauern

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Kaum ein Thema der Mediävistik scheint legitimer als das der „Bauern“, bilden sie doch eine überwältigende soziale Mehrheit, deren Mühsal, Können und Beharrungskraft die Grundlage für die Subsistenz aller ihrer Mitmenschen gebildet und, überblickt man das mittelalterliche Jahrtausend insgesamt, einen immensen Zugewinn an Überlebensmitteln, ja eine kaum zu überschätzende Akkumulation agrarischer und gewerblicher Güter und damit eine enorme soziale Ausdifferenzierung und räumliche Ausweitung der katholischen Christenheit erbracht hat: eine unüberschätzbare Grundlegung für die Geschichte Europas vor seiner Entstehung. Der Gegenstand hat aber seine Schwierigkeiten.

Heute gibt es kaum noch ernsthafte bauerngeschichtliche Argumente dafür, die Jahrhunderte der Frühen Neuzeit (16.–18. Jh.) von denen des späteren Mittelalters (13.–15. Jh.) der Sache nach abzutrennen. Man sollte dementsprechend von einem langen „alteuropäischen“ Jahrtausend (5.–18. Jh.) ausgehen – und das heißt hier: Die Beschränkung auf das Mittelalter ist ein aus Konvention geborener Kompromiß. Zudem ist in der Forschung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Gewißheit einer Zweiteiligkeit dieses „langen“ Jahrtausends gewachsen. Es haben sich Erkenntnisse über Wandlungen vom 10. zum 13. Jahrhundert zu der Hypothese verdichtet, daß erst in dieser Zeit die sozialen Beziehungen und Strukturen entstanden sind, die uns gestatten, von „Bauern“ und „Dörfern“ zu sprechen. Im früheren Mittelalter trug die ländliche Welt deutlich andere Züge [↗ Ländliche Räume]. Verglichen allerdings mit den ländlichen Wirtschafts- und Herrschaftsformen in der Antike und Moderne bilden beide Teilepochen eine Einheit.

Ein weitere Komplikation: Das historische Bild von den mittelalterlichen Bauern war stets geprägt von den beiden sich widerstreitenden Grundattitüden der Moderne dem Mittelalter gegenüber: der aufklärerischen Kritik an der feudalen Untertänigkeit und der bornierten Bodenständigeit der Bauern zum einen, der romantischen Verklärung des vorindustriellen Soziallebens zur Land- und Heimatidylle zum anderen. Alle sozialpolitischen Auseinandersetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts haben sich in diesem ambivalenten Rahmen bewegt. Gerade die deutsche Entwicklung war dafür typisch: Ob patriotisch-liberale Republikaner, preußischwilhelminische Großagrarier, mittelständische „Nährstands“-Ideologen, faschistische „Blut und Boden“-Fanatiker, sozialistische Bürokraten des „Arbeiter- und Bauernstaats“ oder Wortführer von Bauernverbänden und -lobbys – sie alle haben beharrlich falschen Kontinuitäten und Identitäten eines „eigentlich“ Bäuerlichen das Wort geredet und mythisierende Bauern-Bilder kolportiert, gegen die die wissenschaftliche Bauernund Agrarhistorie, oft selber in derlei Vor- und Werturteile involviert, schlecht gerüstet war und blieb (J. Demade). Heute gilt: Die historischen Bauern-Imaginationen des 19. und 20. Jahrhunderts haben mit dem Mittelalter nur wenig zu tun. Sie sind vielmehr Bestandteil der Erinnerungspolitik und Geschichtsideologien der Moderne selbst. Mediävistische Bauernforschung dagegen begreift ihren Gegenstand als schwer zugängliche alteritäre Welt.

Auch der Gang der neueren Forschung hat die Sache nicht leichter gemacht. Mit dem definitiven Schwund nahezu aller Reste alteuropäischer Agrarstrukturen und der Ausweitung der Kenntnisse über die Zerstörung der großen Vielfalt von Bauerngesellschaften („peasant societies“) weltweit in den vergangenen 60 Jahren hat auch die Agrargeschichte und mit ihr die Bauern-Mediävistik zur gebotenen Distanz und Ernüchterung gefunden und zentral wichtige neue Erkenntnisse gewonnen über Haushalt und Familie, Hof und Dorf, Pfarrei und Gemeinde, Rodung und Wüstung, Knechtschaft und Herrschaft, Widerstand und Aufstand (P. Blickle, W. Rösener, H. Wunder). Im Zuge ihrer enormen dimensionalen, regionalen, nationalen und epochalen Verzweigungen und Spezialisierungen hat sie aber auch deutlich an Orientierungsgewißheit verloren. Klassische Ordnungs- bzw. Strukturkonzepte der Sozialökonomie („Klasse“), der Soziologie („Schicht“), der Rechtsgeschichte und Volkskunde („Stand“) haben an Erklärungswert eingebüßt. Zudem hat die Verkleinerung des Untersuchungsmaßstabs (mikrohistorische Ortsstudien) einerseits zu erstaunlichen Konkretisierungen der ländlichen Lebensverhältnisse, andererseits aber zu harten Diskussionen über das Verhältnis zwischen Eigenart und Allgemeinheit geführt. Ob dies in agnostische Bahnen eines entgrenzten Fachaktivismus mündet oder zur komparatistischen Bündelung in Verbindung mit einer Konzentration auf entscheidende Sachfragen findet, steht dahin.

Hinzu kommen schließlich Schärfungen des methodisch versierten Umgangs mit den enorm vermehrten Schrift-, Bild- und Sachdokumenten sowie mit der wachsenden Anzahl von klassischen Nachbar- und neuen Naturwissenschaften. Die einschlägigen Schriftguttypen [↗ Schriftlichkeit und Mündlichkeit] – verschiedene Urkunden und Briefe, Beschlüsse und Bekanntmachungen kirchlicher und weltlicher Herrscher, Habenund Sollregister, Einnahme- und Ausgaberechnungen, lokale und regionale Rechtsgewohnheiten, chronikalische bzw. fiktive Erzählungen, gelehrte Traktate und Moralschriften etc. – werden viel genauer auf ihre kommunikativen Voraussetzungen, ihre internen Sinnhorizonte, ihr sprachliches Profil, ihre (widersprüchlichen) Milieubezüge und ihre Gebrauchsentwicklung hin befragt (S. Teuscher).

Gleiches gilt für bildliche und figürliche Dokumente und Monumente. Man ist vorsichtiger bei der Synthese verschiedener Gattungen zu homogenen Sach- und Sinnzusammenhängen geworden. Zugleich sind die Möglichkeiten und Gebote zur reziproken Bereicherung und Ergänzung zwischen verschiedenen Teildisziplinen gewachsen. Bei Projekten der Haus-, Dorf- und Siedlungsforschung etwa arbeiten heutzutage historische Geographie, Ökologie, (Personen-, Orts- und Flur-)Namenskunde, verschiedene Zweige der Archäologie und Bauforschung mit der schriftquellengestützten Landesgeschichte zusammen (E. Gringmuth-Dallmer). Semantische Untersuchungen des Wortschatzes und Wortgebrauchs nutzen zunehmend linguistische Methoden. Bei der statistischen Nutzung von Dokumenten, die sich seriell und numerisch aufbereiten lassen (Siedlungszu- und -abnahme, Bevölkerungsdichte, Migration; Preise, Löhne), ist man viel vorsichtiger mit Verallgemeinerungen hin zu großen „Konjunkturen und Krisen“ geworden.

Wenn man nun trotzdem einen umfassenden Aufriß des Kenntnis- und Problemstandes über die Bauern im Mittelalter geben will, dann bieten sich verschiedene Lösungen an. Es wurde hier ein deduktives Verfahren mit folgenden drei Schritten gewählt: Auf die abstrakte Kennzeichnung der sozioökonomischen Basisqualität des agrikolen Einzelhaushalts und des sozialen Existenzrahmens der mittelalterlichen Bauern soll ein Überblick über die beiden großen Teilepochen folgen, der dann noch durch Hinweise auf die folgenden Wandlungsindizien und regionalen Ausprägungen zu ergänzen ist.

1. Agrikole Kleinwirtschaften ohne sie dominierende kirchliche und weltliche Herrenfraktionen denken zu wollen, wäre widersinnig, würde die Grundbeziehungen unterschlagen, gemäß derer sie ihr Dasein und Fortkommen einrichten mußten und modulieren konnten. Alle Verstehensvorgaben, die sich nach anderen Grundkriterien richten – sei es die Pole von „Freiheit“ und „Unfreiheit“ oder Ergänzungspaare wie „Bauer“ und „Bürger“ bzw. „Land“ und „Stadt“ verfehlen diesen Zentralnerv mittelalterlicher Vergesellschaftung. Herrenfreie Bauern sind nahezu ein Widerspruch in sich.

Bevor hierzu weiteres entwickelt wird, sollten jedoch einige Komponenten der ländlichen Kleinbetriebe vorgestellt werden (L. Kuchenbuch). Wie waren die Durchschnittsbetriebe sachlich ausgestattet? Ihr Grundmerkmal [↗ Landwirtchaft] ist die interne Integration von extensivem Regenfeldbau verschiedener (und regelhaft kombinierter) Winter- und Sommergetreidesorten (Roggen und Weizen, Hafer und Gerste) mit einer vielgliedrig gestaffelten Viehzucht. Sie reichte vom Pferd und Ochsen bzw. (Maul-)Esel als Zug-, Reit- und Transportkraft – man denke an Pflug, Egge, Karre – über Rind, Schwein, Schaf und Ziege bis zum Geflügel. Sie alle lieferten Dung, diverse Grundstoffe für Zeug und Werkzeug (Fell, Leder, Bein, Horn, Sehnen, Wolle, Federn), vor allem aber ergänzende Nahrungsmittel zum Brotgetreide (und Bier bzw. Wein). Hinzu kam weiter der intensive Gartenbau (diverse Gemüse und Obst, Gewerbepflanzen) und eine exhaustive Wiesen-, Weide-, Wald- und Wassernutzung: Gras, Laub, Bau- und Brennholz, Beeren, Pilze, Fisch etc. Alle diese Komponenten waren dem Einzelbetrieb zu variierenden Anteilen eingegliedert bzw. lokal verfügbar. Eine so komplexe dingliche Ausstattung im kleinen, deren Eigenart man sich nur durch Seitenblicke auf diverse monokulturelle Strukturen wie Einzelpflanzung, Bewässerungsfeldbau, Tierhaltung, Waldwirtschaft etc. bewußthalten kann, ermöglichte eine flexible Anpassung an den Jahreslauf, also eine paßgenaue Verteilung der Tätigkeiten auf die saisonalen Wachstumsund Ruhephasen des Naturmilieus. Zugleich war man mit solcher Ausstattung gegen Wetterunwägbarkeiten gerüstet bzw. konnte auf sie kompensierend reagieren. Ertragsausfälle im einen Bereich konnten durch Güter eines anderen zu Teilen ausgeglichen werden. Kalte oder nasse Winter schadeten nur der Winter-, nicht der Sommersaat; der Hagel zerstörte nicht unbedingt die ganze Flur; Schwein und Schaf, Kleinvieh, Obst, Gemüse, Waldfrüchte konnten über Brotkornmangel hinweghelfen; das Pferd ließ sich durch den Ochsen ersetzen. Auch die Aufgabenteilung der Geschlechter war in Notlagen modifizierbar [↗ Lebensstände – Mann und Frau]: Männer und Frauen konnten einander vertreten bzw. alle Haushaltsangehörige, Alte und Kinder, wurden stärker eingespannt (funktionsflexible betriebliche „Selbstausbeutung“). Die Anpassungskraft dieser dinglichen und sozialen Konstellation erwies sich aber auch im sozialökonomischen Umfeld. Man konnte sich auf Verkaufschancen einstellen, sich marktkonform spezialisieren, bestimmte Käuferkreise bedienen, seien es Handwerker im benachbarten Marktflecken oder Getreide-, Vieh- oder Weinankäufer einer Fernhandelsmetropole. Erleichternd wirkte dabei die monetäre Anbindung der Betriebe an die erreichbaren Kauf- und Verkaufsplätze, weil das kursierende Münzgeld als Schatz (im Hause), als Wertmesser für alle Güter und als Zahlungsmittel beim Einkauf, zur Schuldentilgung und Rentenentrichtung diente.

All diese Konditionen bildeten den Nährboden für die eminenten Steigerungen der Qualitäten und Erträge in Ackerbau, Viehzucht und ländlichem Gewerbe, die, obwohl kaum exakt (etwa in Aussaat-Ertragsrelationen) meßbar, sofort augenfällig werden, wenn man früh- und spätmittelalterliche Sachrelikte vergleichend betrachtet: Seien es Bauten, Geräte, Textilien – überall ist der technische und mimetische Progreß in der Aneignung der Natur offensichtlich. Diese Bedingungen stimulierten nicht nur innerbetriebliche Effektivität, sondern setzten auch eine dynamische Differenzierung des Zusammenwirkens in den Siedlungen frei. Man denke an die Entwicklung dörflich-ländlicher „Berufe“ (Hirte, Müller, Schmied, Schankwirt; Spinnerei und Weberei), aber ebenso auch an die Genese des so charakteristischen mittelalterlichen Kleinstädtenetzes mit seiner flächendeckenden Märkteanbindung, ebenso an die diözesane Organisation der Pfarreien.

Damit sind die Formen der sozialen Beziehungen angesprochen. Das Grundprinzip bäuerlicher Soziabilität ist der Hof und sein Erhalt, nicht die parentale Herkunft und Vernetzung. Er ist zentriert um den monogam sanktionierten Kernhaushalt mit Kindern und koresidierendem Gesinde (Knechte und Mägde), das versklavt, verwandt bzw. verschwägert oder gedungen sein kann. Mann und Frau gelten durch die Heirat als karnal verwandt, eine immens bedeutsame christlich-kirchliche Entscheidung für die soziale Modulation betont exogamer Heirats- und Verwandtschaftsbeziehungen [↗ Verwandtschaftliche Ordnungen]. Das haushaltende, etwa gleichaltrige Paar bleibt auf gestiftete bzw. paktierte Beziehungen (Patenschaft, Freundschaft, Bruderschaft) im dörflichen und parochialen Einwohnerverband angewiesen; diese Beziehungen konkurrieren mit den erborenen Beziehungen bzw. schwächen diese ab (D. Herlihy, M. Mitterauer). Eigenartig offen ist auch die Genusordnung. Zwar dominiert der Bauer beim täglichen Werken das Haus sowie die Außenwerke und vertritt formell Haus und Hof, Weib und Kind in der Gemeinde. Aber Ehemann und Ehefrau gelten als „Genossen“ (genoten). Und die Bäuerin hat nicht nur eigenen Besitz, sondern auch genuine Handlungsgewalt in wechselnden, aber mitentscheidenden Aktionsfeldern (Mutterschaft, Bett, Herd, Federvieh, Textilarbeit, Garten, Geld etc.) sowie informelle kommunikative Macht (Ehre, Ruf) und rückt als Witwe mindestens befristet in die Position des Haushaltsvorstands. Kennzeichnend für die toposoziale bäuerliche Ordnung ist eine konzentrisch abnehmende Rigidität der Verfügungsmacht der Höfe: vom durch Zaun geschützten, umfassend disponiblen Haus- und Hofareal mit intensiv gepflegtem Garten über das öffentliche Siedlungsinnere, die extensiv und kooperativ, aber für den Eigenertrag bearbeitete Acker- und Wiesenflur bis hin zu den kollektiv und exhaustiv genutzten Allmendebereichen, den Weiden, Gewässern, Gehölzen, Heiden an der Peripherie der Siedlung (K. S. Bader). Umgekehrt gesagt: Der Gebrauch der Allmende erfordert die genauesten und ständigen genossenschaftlichen Regelungen [↗ Genossenschaftliche Ordnungen] (man denke ans tägliche Viehtreiben), der Feldbau und die Viehweide schon deutlich weniger (Pflug- und Erntetermine, Stoppelweide, Zäunungen), die Instandhaltung von Weg und Steg, Brunnen und Waschhaus nur sporadische gemeindliche Aufmerksamkeit. Zum Gericht versammelt man sich in der Regel dreimal im Jahr [↗ Gerichtswesen].

Eine eigentümliche Struktur haben die materiellen Entrichtungen und ideellen Verpflichtungen der mittelalterlichen Bauern ihren Herren gegenüber [↗ Grundherrschaft]. Was in handlichen Herrschaftsformeln wie „Rat und Hilfe“ bzw. „Abgaben und Dienste“ geläufig ist, gerät bei näherem Hinsehen schnell ins Schwimmen, verliert an Durchsichtigkeit und Plausibilität. Diese Wirrnis im konkreten hat selbst Methode. Denn kein Dokument, kein konkreter Überlieferungsfall bezeugt das Ensemble der jeweiligen Dominanzbeziehungen und Rentenformen in toto. Ein Ding der Unmöglichkeit deshalb, weil mittelalterliche Bauern stets in Eingriffe, Kontrollen, Ansprüche und Erhebungen mehrerer rivalisierender Herren verwickelt sind. Eine Herrschaft erfaßt also höchst selten das Ganze ihrer sozialen Existenz und ihres materiellen Besitzes, sondern stets nur bestimmte Ausschnitte davon. Ganz grob unterschieden geht es um zweierlei. Zum einen sind die Bauern (und Bäuerinnen) vielfältig als „Leute“ (homines) betroffen: als zu taufendes Kind, als des Flurschadens angeklagter Mann, als zu verheiratende Frau, als gestorbener Hofinhaber, als geflohener Leibeigener, als vereidigter Urteiler im Dorfding, als zum Heerestroß aufgebotener Pferdebesitzer, als beichtund bußpflichtiges Pfarr-„Kind“, als um Gehör flehender Tauber vor den Heiligenreliquien, als gegen Maßbetrug protestierender Marktbesucher etc. Zu diesem riesigen Handlungsbereich, der von den verschiedenen Herren als Zugriffsfeld auf Leib und Seele ihrer Bauern verstanden wird, kommt das nicht weniger differenzierte Abschöpfungsfeld von deren „Habe und Werken“. Auch hier geht es kaum um die Ansprüche eines Herrn auf Anteile des ganzen Besitzes bzw. Werkertrages (und Arbeitskraft). Vielmehr kann jedes einzelne Besitz- und Nutzungselement des bäuerlichen Hofs zum distinkten Sachindex herrschaftlicher Einkommen, Renten, Gefälle etc. gemacht werden. Am wichtigsten sind natürlich die Äcker, Weingärten und Wiesen; aber auch Hof, Haus, Herd und Garten, die Schweine, Schafe und Hühner sowie wichtige Gerätschaften (Pflug, Karre); schließlich die Nutzungsrechte an der Allmende und lokalen Gemeinschaftseinrichtungen zur Weiterverarbeitung (Mühle, Backofen, Brauhaus, Kelter). Differenzierend wirken dabei die beiden grundverschiedenen Zeitformen der Inanspruchnahme: der Jahresumlauf mit seinen regelhaften Frondienst- und Zinsterminen – Meßopfer, Gerichts- und Marktgebühren einbegriffen – und die weniger gewissen, langfristigen Stichdaten von Heirat, Tod und Erbfall, die von den Herren für zusätzliche Einnahmen genutzt werden [↗ Zeit- und Zeitberechnung]. Entsprechend vielfältig sind auch die dominialen Begründungsarten der Ansprüche. Ihre generellste Ordnung läuft auf drei Typen hinaus: an erster Stelle die übergeordnete Verfügungsmacht (Gewere) über alle Sachen, besonders den Grund und Boden (Zins); dazu die über die Leute als politische Gewährung von Eintracht und Schutz in Frieden und Krieg (Steuer, Zoll) sowie die kultische Vermittlung von Heil und Segen (Zehnt). Zum besonderen Profil der ländlichen Abschöpfung gehört auch, daß ihre sachlichen Formen, Dienste und Güter bzw. Geld, nicht nur beständig koexistieren, sondern einander auch vertreten können („Kommutation“) – ein riesiges Formenrepertoire voller regionaler bzw. lokaler Bezeichnungen und ein schwer überblickbares Feld für Konflikte und Kompromisse zwischen Herren und Herren, Bauern und Herren um die jeweilige ratio der Rentenform im Verhältnis zur Ernteertragslage, zum Verbrauchs- oder Investitionsbedarf, zu den Vermarktungschancen und zur Zahlungsfähigkeit (Stundung, Verschuldung). Dies bedeutet im konkreten Einzelfall, daß jeder bäuerliche Hof „sein“ Rentenkonglomerat hat, das sich meist auf mehrere Herren verteilt. Diese wiederum hadern und rechten miteinander um Anteile, transferieren sie untereinander ständig um bestimmter Chancen oder Nöte willen, seien es erbliche oder maritale Ausstattungen, Be- oder Verlehnungen, Käufe, Pfandschaften etc. – was jeweils für die Bauern auf Herrenwechsel und Instabilität hinausläuft.

Schließlich mündet dies alles in ein diffuses Feld sozialer Fremd- und Selbstbezeichnungen. Ob die Landleute als „freigeboren“ (liber, ingenuus, frî, franc), als „freigelassen“ (libertus, lidus, laze), als ins Joch der Dienstknechtschaft „Gebeugte“ (iugum servitutis), als zu Diensten Verpflichtete (servus, ancilla, serf), als „Gekettete“ (mancipia), als „(Leib-)Eigene“ (homines proprii, de corpore), als „(Zuge-)Hörige“, als „Gebundene“ (engl. bondmen), als „Hinter-“ bzw. „Untersassen“, als Dörfler (villani, vilains), als Untertanen oder eben als „Bauern“ (giburen) etc. bezeichnet werden, stets verbergen sich hinter diesen Sozialtermini ganz verschiedene Kombinationen von Bindungen und Pflichten. Auch einzelne von ihnen können namensgebend herausgehoben sein: etwa Leute, die Hofbetriebe innehaben (hobarius, hofer, hofman), die (im Vergleich zu wem?) zinspflichtig sind (censuales), die (nur) einen Kopfzins geben (capitanei), die erbberechtigt sind (hereditarii), am Gericht, an der Allmende, am Weinverkauf gegen Gebühren teilhaben etc. Solche Bezeichnungen haben weder sozial übergreifende Geltung, noch sind sie inhaltsstabil. Weltliche und geistliche, hohe und niedere Herren streiten untereinander um die Gastungspflichten „ihrer“ Schutzbefohlenen, um die Zinsanteile „ihrer“ Pächter, um das Abzugsrecht „ihrer“ Leibeigenen, um die Kinder aus Ehen zwischen Mann und Frau aus verschiedenen Herrschaften. Bauern setzen sich voneinander durch partikulare Rechte ab und nennen sich selber Freie, ihre Nachbarn aber Knechte. Die Bezeichnungen können also im einen Fall als anerkanntes „Recht“ gelten, im anderen als neuer schlechter Brauch umstritten sein. Wem gegenüber ein Bauer Familiale, Hofinhaber, Zehntpflichtiger, Knecht, Leibeigener, Gerichtsgenosse oder Pfarrkind ist, hängt von wechselnden Konditionen und Situationen ab, kann in Vergessenheit geraten (oder vergessen gemacht werden), kann aber auch aggressiv aufrechterhalten oder neu definiert werden. So gesehen, sind mittelalterliche Bauern stets in der Gefahr, „servilisiert“ zu werden, können aber auch Chancen der (partiellen) Entlastung bzw. Befreiung nutzen. Alle zeitgenössischen und modernen Ordnungsversuche, die diesen Gegebenheiten nicht Rechnung tragen, laufen Gefahr, an der Beweglichkeit der Dominationspraxis vorbei zu denken und die herrschaftlichen Repräsentationsattitüden als gültige, stabile Stände mißzuverstehen. Das Bild vom Bauern im Dreiständemodell ist nur eines von ihnen. Mittelalterliche Bäuerlichkeit impliziert stetig sich ändernde Bindungen zwischen den Extremen besitzloser Vollverfügung und sporadischer Partialkontrolle durch diverse Herren, ein schier endloses Hickhack zwischen partikularer Verknechtung und Befreiung.

2. Nun zu den großen Zeiträumen des Wandels. Wie sich nach dem politischen Zusammenbruch des Römischen Reiches die ländlichen Verhältnisse entwickelten, ist nur schwer durchschaubar (Ch. Wickham). Im Zuge der Korrosion der Steuern und Provinzialverwaltungen sowie selbständiger senatorischer, gentilkriegerischer und regionalkirchlicher Herrschaftsbildungen hat sich das Niveau der sozialen Kontrolle gesenkt. Pestumzüge, gentile Landnahmeprozesse und die erste christlich-kirchliche Durchdringung des Landes taten ein übriges. Trotz aller Wissenslücken kann gelten, daß vom 5. zum 7. Jahrhundert eine große Variationsbreite bestanden hat innerhalb dreier Grundformen: der an moderaten Landvillen gekoppelten Ackerservilität (servi, mancipia), der patronalen bzw. schollengebundenen Zinskolonen in Senatoren-, Kirchen- oder Kriegerhand (coloni) sowie relativ autonomer Konglomerate von Landsiedlern (vici; pagenses, plebenses), die nur wenig tangiert waren von aristokratischen oder staatlichen Gewalten. Diesen relativ offenen Grundkonstellationen entsprachen lockere Siedlungsformen, deren bislang ergrabene Überreste wenig Regelmäßigkeit, Ortsfestigkeit und soziale Distinktion erkennen lassen.

Parallel zur Verlagerung und Stärkung der Zentralmacht im fränkischen Nordwesten, den Eroberungs- und Missionserfolgen, der Einbindung gentiler Kriegergruppen in die aristokratischen Führungskreise des Karolingerreiches sowie der Intensivierung des romverbundenen Kirchenregiments sind neue Strukturen auf dem Land entstanden. Im Vordergrund stehen dabei die Formierung und Ausbreitung der bipartiten Domänen sowie die Inkorporation von autonomen Landleuten (liberi, franci homines) in die sich ausweitenden Großherrschaften der Aristokratie, allem voran der Dynastie (Reichs- bzw. Königsgut) und der Kirche (Klöster, Bistümer). Die Domänen (villae) entstanden durch drei gezielte Maßnahmen: die Ausweitung des direkt genutzten „Herrenlandes“ (terra dominicata) durch Rodung, Tausch und Arrondierung, die Vergabe kleiner Anwesen mit Landanteilen (mansus, Hufe) an hofgebundene Eigenleute (servi) gegen pauschale Frondienste (3 Tage pro Woche) und die zunehmende Heranziehung von zinspflichtigen Freigeborenen (ingenui) zu sachlich festgelegten Acker- und Transportdiensten. Das servitium bildete das alle in diversen Varianten „Domanialisierten“ einende Band. Diese neue (nicht an die antiken Latifundien anschließende) Grundform breitete sich von den Kernregionen der Francia zwischen Loire und Rhein ölfleckartig aus und wurde mit anderen Aneignungs- und Kontrollformen zunehmend verbunden: mit der Ausbildung herrschaftseigener Friedenskontrolle (Immunität, Vogtei und Hofrecht) [↗ Vogtei], mit der Seelsorge (Patronate, Eigenkirchen, Pfarrechte) [↗ Pfarreien], mit der Gewährung von Schutz (gegen Abgaben); hinzu kam die Ausbildung von herreneigenen Kriegerbzw. Reitergruppen (Vasallen), die an die Stelle zur Heerfolge verpflichteter bewaffneter Landleute traten. Die Folgen dieser aristokratischen Offensive für die Sozialverhältnisse waren beträchtlich. Die neuen lokalen Verbände (und ihre regionalen Konglomerate; eine große Herrschaft besaß Dutzende, ja Hunderte solcher villae weit übers Land verteilt) wurden als gegeneinander abgegrenzt verstanden: ihre Zugehörigen bildeten die familia des Königs, des Titelheiligen eines kirchlichen Herrn, von laikalen Großen und ihren belehnten Gefolgsleuten. Die nach Herkunft, Geburt, Besitz etc. distinguierten sozialen Gruppen innerhalb der jeweiligen familia, seien es mancipia vom Herrenland, servi mit kleinen Hufen, ingenui bzw. coloni mit größeren Hufen, hatten einerseits Möglichkeiten, sich durch Konnubium, Landzirkulation, zusätzliche Verpflichtungen für die einen, Erleichterungen für die anderen, neue Pflichten für alle, einander näherzukommen. Diese vielfach erkennbaren Annäherungen führten zu weitreichenden Unsicherheiten der rechtlichen Einordnung und begrifflichen Distinktion – die alten geburtsnormativen Klarheiten – hier der servus, dort der liber bzw. ingenuus – begannen zu verschwimmen. Andererseits entwickelten sich neue domanial begründete Funktionen und entsprechende begriffliche Distinktionen. Alle wie auch immer domanial integrierten Leute waren nun primär „Familialen“ einer Herrschaft – in kirchlichen Herrschaften wurden die Leute zu Schützlingen des Patrons (etwa homines sancti Remigii; „Gotteshausleute“). Die familia bildete das neue Passepartout, ob man im einzelnen nun freigeborener Hufner, serviler „Kätner“, Reiter, Dienstmann, Zinser, Beschützter etc. war. Zugleich aber gab es ständigen „Austausch“, ständige Migration zwischen den benachbarten, ineinander verschachtelten Herrschaften; scharfe räumliche Abgrenzungen waren unmöglich. Zugleich auch ergriffen lokale Große zunehmend die Chance, ihre weitgehend autonomen Nachbarn zu klientelisieren, sie an ihre Gerichte zu ziehen, von ihnen Dienste oder Zinse zu verlangen. Diese neuen sozialräumlichen Distinktionen und Gruppierungen liefen aber noch nicht auf „Bäuerlichkeit“ der domanialen Konglomerate hinaus.

Die entscheidenden Kriterien dazu bildeten sich nach der Jahrtausendwende in allmählichen, regional erheblich zeitverschobenen Prozessen heraus. Etwa gegen 1300 war die „Verbäuerlichung“ europaweit abgeschlossen. Die neuere Forschung diskutiert die Vorgänge unter verschiedenen Begriffen („encellulement“, „incastellamento“, „inecclesiamento“ etc.); im Deutschen spricht man von „Verdorfung“, „Gemeindebildung“, „Parochialisierung“, „Verburgung“. Eine integrative Lösung könnte der Terminus „Einwohnerschaft“ (habitatores) versprechen (J. Morsel).

Idealtypisch lassen sich die Vorgänge wie folgt zusammenfassen. Aus den regellos verstreut liegenden Einzelhöfen oder Hofgruppen („Weiler“), vielfach noch direkt umgeben von ihrem Nutzland, entstehen dicht bewohnte Dorfkerne. Die Höfe und die Leute rücken lokal zusammen; die Archäologie hat viele Belege für diese grundlegende Siedlungskonzentration erbracht. Man wird Nachbar: gibure. Ein Hof grenzt direkt an den anderen. Man wohnt in fest im Boden verankerten Häusern (Ständerbau auf Grundmauern). Die Gärten schließen meist ans Hofgelände an. Die Ackerflur bildet einen breiten Ring um das Siedlungsareal, aufgeteilt in große Felder (Blöcke, „Schläge“, „Gewanne“ etc.), an denen die Höfe ihre langstreifigen Anteile haben („Zelgen“). Auf diesen Großfeldern rotiert der gemeinsame Getreidebau von der Winterfrucht über Sommerfrucht und Brache, erlaubt die Regeneration der Böden im direkten Zusammenspiel von temporärer Weide, Düngung und Pflügung. Die Wiesen und Dauerweiden sind den Wassersäumen, Feuchtlagen und Buschpartien zugewiesen. Die breite Peripherie bilden die mannigfach genutzten gemeinsamen Waldungen. Diese Vorgänge spiegeln die effektivere und bedachtere Nutzung der lokalen Boden- und Vegetationsvariablen. Sie laufen auf klarere Distinktion, Integration und Intensivierung von Getreidebau, Viehzucht, Wald- und Wasserwirtschaft hinaus; es entsteht ein ortsangepaßtes vielgliedriges Ensemble [↗ Ländliche Räume]. Zu dieser „Ausarbeitung“ lokaler agrikoler Potentiale und dörflichen Zusammen-Wohnens kommen wichtige dorfgewerbliche Ergänzungen: Mühle, Backhaus, Schmiede, Kelter, Brunnen und Waschplatz etc. Vor allem aber: Die Siedlungen gruppieren sich zudem um eine (Pfarr-)Kirche, deren Altar einen eigenen Patron hat. Sie wiederum ist vom Kirchhof für die Toten umgeben. Die Lebenden sind also darauf eingerichtet, ihre Toten, die aufs Ende der Tage warten, bei sich zu haben.

Der dinglich-materiellen Dorfgestalt entspricht ein neues Sozialprofil. Die Dörfler nennen sich nun „Leute aus“ z.B. Heimberg oder auch Heimberger. Sie treten als lokale Gemeinschaft auf (universitas, communitas, habitatores, cives, burscap etc.), verstehen sich als zusammengehörig, haben Zusammenkünfte verschiedenster Art, bilden Untergemeinschaften (Bruderschaften), wählen Obmänner für verschiedene innerdörfliche Aufgaben („Hutung“, Waldaufsicht, Bewahrung der Maße) und für die Außenvertretung (burmester, „Schöffen“). In der schriftlichen Überlieferung werden sie als Mithandelnde bei Rechtsakten kenntlich, z.B. bei Beurkundungen über die Umwandlung von Wald- oder Weideland in Äcker, bei Landkäufen, Festschreibung von Rechten und Pflichten mit diversen Herren (Bußen für Strafdelikte, Pfarrerwahl, Abzug, Heiratlizenz, Kompetenzen der Vögte, Burgdienste etc.). Dabei sprechen sie zunehmend selbst, haben ihre Beauftragten, beurkunden (siegeln) mit. Der Dorfbezug hat sich unterhalb und neben den Herrschaftsbezügen etabliert.

Wie war diese Zunahme an sozialräumlicher Köhäsion möglich? Obwohl noch viel im Dunkeln liegt, kann man doch dreierlei unterscheiden. Einen komplexen Ursachenzusammenhang bildet die interne Transformation der bipartiten Domanialherrschaft (R. Sablonier): Die geburtsverwandtschaftlichen Distinktionen werden durch Konnubium zunehmend eingeebnet: servi und ingenui werden zu homines, familii, luten. Die Servitialordnung wird durch Abänderungen von pauschalen Zeitfrondiensten in definierte Aufgaben, durch ihre Kommutation in Güter oder Münzgeld (und auch der Freikauf von ihnen) eingeebnet. Herrenlandanteile oder ganze Herrenhöfe werden zu Fix- oder Anteilszinsen verpachtet („Vermeierung“). Dienste bzw. Abgaben werden umradiziert von den Leuten auf deren Besitz („Verdinglichung“). Nutzungsgewohnheiten verfestigen sich zu Leihe- bzw. Erbrechten. Reihendienste und Umlegungen bestimmter Abschöpfungsansprüche auf alle Familialen (Mahlzwang) stärken das Gemeinschaftsbewußtsein vor Ort. Dienstleute mit diversen Aufgaben formieren sich zu eigenen Gruppen (Ministerialen). Dies alles führte zu Korrosionen der domanialen Struktur und der servilen Beziehungen. Die Kontrolle der jahreszeitlichen Mühsal und ihrer Resultate verschob sich zu den Bauern und ihrer Kooperation hin, festigte ihren Zusammenhalt. Die Herrschaften zogen sich aus der domanialen Agrarregie zurück und verlegten sich auf Zinseinkünfte, insbesondere Getreide.

Einen zweiten Kausalkomplex bildeten die Versuche der Herren, über andere Begründungen (als die an den agrikolen Arbeits- und Ertragszyklus gekoppelte Landverfügung) an Surplusreserven der immer tüchtiger wirtschaftenden Landleute heranzukommen. Sie versuchen die Zehnten im Wege der Unterteilung von Pfarreien zu erhöhen und zu verstetigen. Sie fordern Bau- und Unerhaltsdienste für ihre neu errichteten Burgen. Sie erhöhen den Gastungsaufwand bei Gerichtsterminen. Sie erheben Gebühren für Heiratslizenzen, für den Abzug, für diverse Seelsorgeleistungen sowie die erzwungene Benutzung von Gemeinschaftseinrichtungen (Mühlen-, Kelter-Bann). Diese neuen Forderungen wurden an alle Bewohner eines Herrschaftsbezirks gestellt. Sie provozierten vielfach Widerspruch und förderten die Koalition und Assimilation der lokal Betroffenen. Gerade über den domanialen Druck entstand oft der definitive Zusammenschluß zur conjuratio und zur Gemeinde als lokalem Gesamtverband (universitas). Damit trugen die Herren – meist im Gegeneinander um die Wahrung bzw. Stärkung ihrer Ansprüche als Grund-, Leib- oder Gerichtsherren – selbst zweifach zur Verdichtung der lokalen Gemeinschaften bei, hatten so beträchtlichen Anteil an der Ausbildung von Dorf und Gemeinde.

Zu erwähnen sind schließlich und drittens die Wirkungen zunehmender Anbindung aller Landleute an den münzgeld- und märktevermittelten Austausch. Überall wächst sich der marginale Geldgebrauch des früheren Mittelalters seit dem 11. Jahrhundert zum ergänzenden Routinehandeln aus [↗ Geld]. Die Marktorte und die Markttermine nehmen zu. Die Herren belohnen nun Dienste mit barer Münze statt mit Nahrung und Unterkunft. Sie erwarten von ihren Hufnern häufiger Zins in Münzform oder stellen dessen Entrichtung anstelle von Gütern frei, was zu ständigen lokalen Aushandlungen und monetären Evaluierungen führen mußte. Nicht nur die Aufbewahrungs-, sondern auch die Gebrauchsund Tauschwertfunktion des Silberpfennigs hält so Einzug in die Haushaltung der Bauern. Sie lernen Vermarktungschancen ihrer eigenen, nun auch auf urbane Konsumziele ausgerichteten Überschüsse kennen, sammeln Verkaufspreiserfahrungen und nutzen die Erlöse nicht nur zur Aufbringung ihrer Rentenschulden und zur Ansparung für Not- und Ausstattungsfälle, sondern auch für betriebliche Anschaffungen und den Gang in die Schänke. Die Landleute beginnen sich als Marktgänger zu gleichen (H. Keller).

Natürlich ist diese Ordnung der Grundzüge und Ursachenzusammenhänge der mittelalterlichen Verdorfung und Bauerngenese nur eine grobe Skizze. Was die Forschung bisher ermitteln konnte, führt in zwei Richtungen (K.-H. Spieß, Ch. Wickham, L. Kuchenbuch). In den Altsiedelgebieten wird jeweils unter ganz verschiedenen Bedingungen um partielle Lösungen gerungen, oft wenig „bewußt“, ohne programmatische Rhetorik, also mit nur kargen Schriftspuren und sehr unterschiedlichen Gemeindeformen. Hier gruppiert man sich in einer ersten Phase ganz eng um die Kirche als Schutzbezirk; später zentrieren sich alle Landleute um einen kleinen Nahmarkt (Katalonien). Dort siedelt man zwar weiter in der Flur verstreut, bildet aber die Pfarrei zum aufgabenreichen Gemeindezentrum um (Toscana). Anderswo werden die Domanialbetriebe „ausgetrocknet“ bzw. per Pacht übernommen; die Bauern bilden sich ohne politische Dramatik, nahezu lautlos zur Gemeinde um und profitieren von der Kombination der regionalen Sondererträge (Wein, Holz) mit guten Absatzchancen (Mittelrhein). Nicht weit entfernt paktieren Dörfler mit einem übergeordneten Herrn, um aus dem Schußfeld der Burgen- und Gerichtspolitik einer lokalen Aristokratenfamilie zu geraten (Eifel). Viel weiter südlich machen sich Talgenossen dann weitergehend – und langfristig – von seigneurialer Überlagerung frei (in Schwyz, Uri und Nidwalden). Wieder anderswo vertragen sich Kolonisten mit dem Ortsherrn über die Anlegung eines Waldhufendorfs in einem von Hangwaldungen eng umgebenen Kleinraum (Weserbergland). In der Argonne verbrieft ein Erzbischof einem Burgdorf eine ganze Serie von „Freiheiten“, die man, andersherum gelesen, auch als Bindungen bzw. Verpflichtungen verstehen kann; diese aber finden bald einen Riesenanklang als Vorbild für Hunderte von Nachahmungen („Loi de Beaumont“). Man könnte noch unzählige solcher Kleine-Schritte-Geschichten hinzufügen. Insgesamt führen die Formationsprozesse aber auf höchst unterschiedliche Partizipationsformen, Organisationsgrade, Autonomiequalitäten in den Dorfbzw. Landgemeinden, Marktgenossenschaften etc. hinaus: eher hierarchisch mit einer Spitze (Bauermeister, Schultheiß), oder polyarchisch mit einem Ausschuß der Angesehensten, oder mit einer öffentlichen Gesamtversammlung als Entscheidungsorgan oder als Kombination von allem etc. Die neuere Forschung qualifiziert diese Vielfalt, soweit sie normative (Schrift-)Gestalt annimmt, als Orts-Recht (S. Teuscher), sieht aber ihre politische Eigenart in der Herrschaft mit Bauern über die Dörfer als Beteiligungsmodell (H. Wunder).

All die Lösungen und Erfahrungen in den Altsiedelgebieten mit Haufendörfern bilden den Humus für die zweite Bewegung. Sie werden nämlich sehr bald zu Mustern für Gründungen und Neubildungen von ländlichen (und kleinstädtischen) Siedlungen mit regelhafteren Anlageformen (Schachbrettform, Straßen-, Angerdorf etc.) überall in den Kleinräumen des inneren Landesausbaus: an den Waldsäumen, den Hängen, den Küsten- bzw. Flußmarschen, den Heiden. Außerdem finden – in noch größerem Maßstab – standardisierte Siedlungskonzeptionen in den Kolonisationsgebieten vor allem östlich der Elbe und der mittleren Donau sowie den gegen die Muslime eroberten Regionen Spaniens Anwendung. Hier und dort trifft man auf Grundzüge einer ortsrechtlich teilautonomen und pfarrkirchlich mitdefinierten Einwohnergemeinde, die aber zugleich in Zins und Gehorsam den Herren („Zwing und Bann“, „Gebot und Verbot“) verpflichtet bleibt, die diese libertas – und zwar schriftlich – gewährt haben (Lokationen nach ius teutonicum; fueros in Spanien und Portugal). Ohne dieses Wechselspiel zwischen den suchenden Vorläufen der Dorfbildung in den Altsiedelgebieten und der systematischen Anwendung im Zuge der internen Erweiterung und externen Kolonisation ist die Dynamik der zentralmittelalterlichen Expansionszeit kaum verständlich.

Ebensowichtig aber bleibt, daß daneben, im klein- und großräumigen Nebenan, alte Domanialstrukturen durch Marktbezug, Bauernlegung und Rentendruck effektiviert, zugleich auch ganz neue Formen herrenzentrierter Landnutzungen etabliert werden: etwa die „Grangien“ der Zisterzienser europaweit (wenn auch befristet), oder die manors, mit denen England durchsetzt wird – in beiden Fällen „Provokationen“ des Modells der dörflichen Bauerngemeinde, verbunden mit Vertreibungen, Auskäufen, Erniedrigungen. Man denke aber auch an die Versuche und Erfolge der initiativen Unterwerfung der Nordseeküstenbauern: Friesen, Stedinger, Dithmarscher, oft gegen erbitterten Widerstand, ja als Unterwerfungskrieg. Gleiches gilt von den aristokratischen Attacken auf autonome bzw. nur dem König verpflichtete Bauern in England, Katalonien, Dänemark etc., Prozesse intensiver Servilisierung unter ganz neuen Prämissen, die die internationale Forschung als „neue“ Leibeigenschaft („servage“, „serfdom“) zu fassen sucht. Hierbei geht es nicht mehr um Grundkriterien der „alten“ Servilität (immer noch vielfach von der antiken Sklaverei „abgeleitet“), sondern um eine Konzeption der Bindung des „Leib und Lebens“ an den Herrn, getrennt von den dinglichen Elementen der bäuerlichen Existenz (im Deutschen konventionell als „Grund“-Herrschaft bezeichnet). Ob die Zeit der Bauern- und Gemeindegenese angesichts solcher Parallelprozesse generell eine Zeit der „Befreiungen“ gewesen ist, wie der Mainstream der Bauernforschung noch immer meint, sei hier bewußt in Frage gestellt. Die zeitgleiche Reichweite neuartiger Servilisierungen ist noch nicht angemessen umrissen und gedeutet (R. Faith, P. Freedman, M. Bourin). Aber es bleibt abschließend doch daran zu erinnern, daß sich die Genese des bäuerlich-dörflichen Europas insgesamt dem oben dargelegten Potential des Einzelbetriebs im lokalen Kooperationsrahmen verdankt.

3. Nur noch knappe Bemerkungen zu den weiteren Wandlungsindikatoren und regionalen Ausprägungen des bäuerlichen Europas, die alle weit in die Frühe Neuzeit hineinwirken oder sich dann erst voll entfalten.

Es ist bekannt, daß die Expansionsprozesse seit dem späten 13. Jahrhundert an ihre internen Grenzen stießen. Bauern, die auf marginalen Böden gesiedelt haben, geraten in langfristige Ertragsnöte, verlassen ihre zweite Heimat (Kleinwehre) und ziehen in ihre erste zurück (nach Altwehre). Die Land-Stadt-Balancen geraten ins Ungleichgewicht; auch hier mehren sich Wüstungen. Hungersnöte – ob aus Klima-, Ertragsoder Abschöpfungsgründen [↗ Klima] – sind das eine, die europaweiten Pestumzüge seit 1347 das andere große Geschichtszeichen. Diese demographischen Einbrüche, so grausam sie auch jeweils ins dörfliche Leben einschneiden, bringen jedoch das europäische Grundmuster nicht aus den Fugen. Man könnte eher von schweren generellen Prüfungen der Zellularstruktur des Landes sprechen. Auf die Erschütterungen und Krisenkonstellationen „antworten“ die Dörfer und Bauern sozusagen im kleinen und im großen. Und zwar erfolgreich – aber für wen?

Einerseits wird im Innern der Dörfer laboriert. Die brauchbaren Fluren der überzähligen, nun wüsten Ausbauorte werden eingemeindet. Die Dörfler achten nun viel genauer auf die Balance zwischen Getreidebau und Viehhaltung, verteidigen auch ihre Allmendegrenzen in diesem Sinne. Aber die agrikolen und allmendlichen Spielräume werden enger. Sie werden nun auch auf breiter Front rationaler ausgenutzt: durch andere Feldsysteme, Fruchtfolgen, vermehrte Düngung, Quotierung der Nutzungsanteile. Auch die Reproduktionsregeln für das bäuerliche Hab und Gut werden elaboriert zu komplexen Leihe-, Pacht- und Erbstrategien. Schließlich gewinnt auch das kultische Ortsleben an Gestalt. Die Pfarreien werden zu den Zentren der lebensprägenden Passage- und Erneuerungsriten wie einerseits Geburt und Taufe, Firmung, Heirat, Tod und Begräbnis, andererseits Messe und Eucharistie, Beichte und Buße, Segnung und Prozession. Das Dorf festigt sich als Glaubensgemeinde mit ihrer Kirche, ihrem Heiligen, ihren Kirchenfesten, ihren Bruderschaften und ihrer lokalen caritas.

Aber auch überörtliche Profilbildungen sind allerorten zu beobachten. Die ökologischen Ressourcen prägen Eigenheiten in der Bauweise und Ortsstruktur (Häuser- und Gehöfttypen) aus; dazu kommen sprachliche Distinktion, Gewohnheits- und Erbrecht, Gemeindetyp und starke oder schwache, ein- oder vieldimensionale Herrenpräsenz. Das ländliche Europa bildet gewissermaßen ein plurales ländliches Profil auf verschiedenen Ebenen aus, die vielfach noch wenig geklärt sind. (Man denke an die Teilung Zentraleuropas in südwestliche Realteilung und nordöstliches Anerbenrecht.) Eine großräumige Übersicht solcher Profile (Karte) hätte Kornkammern, Küstenviehzucht und Almwirtschaft, Heideregionen, urban bestimmte Verdichtungszonen, Weinbaugebiete, Wanderschafhaltung etc. zu berücksichtigen. Das Tableau mittelalterlicher bäuerlicher Existenzausprägungen ist ungemein reichhaltig.

Unter der Decke solcher Profile hält sich aber eine allgemeine Grundstruktur. Die Landleute im Dorf sind auseinandergedriftet in gut situierte Vollbauern und landarme bzw. landlose „Kätner“, die meist lohnabhängig sind von den ersteren. Wie diese Trennung jeweils reguliert wird, ist meist Sache der lokalen Gemeinde-„Politik“ – ob etwa Armenunterstützung gewährt, Allmendnutzung gesichert, Integration ins Vollbauernmilieu (durch Heirat, Landerwerb etc.) ermöglicht wird. Sie hängt aber auch stark von den langfristigen demographischen Trends ab, von der regionalen Mobilität – und von den Konditionen der die Dörfer umgebenden, überlagernden und durchwuchernden „Gewalten“.

Herrschaftsgeschichtlich ist in den Folgezeiten, extrem abstrahiert, für die Bauern und ihre Dorfgemeinden ausschlaggebend, in welcher Gemengelage unterschiedlicher aristokratischer Ansprüche und Behauptungskämpfe sie sich befinden. Bei diesen Aneignungs-, Kontroll- und Verteilungskonflikten von Fürsten, Geistlichkeit, Hoch- und Niederadel kommen nun neue soziale, militärische und ökonomische Faktoren mit ins Spiel: mitherrschende Fraktionen aus den Städten („Patriziat“), funktionale Ausdifferenzierungen (in Offiziere, Juristen, Ökonomen) und geldvermittelte Akkumulationen und Konzentrationen von Reichtum und Kontrolle. Nicht übergangen werden sollte auch eine neue Abschöpfungsart für alle Untertanen (einschließlich der Dörfler), die landesfürstlichen Steuern, die die anderen Abgabenarten zu überlagern beginnen [↗ Landesherrschaft].

Der bäuerlich-gemeindliche Spielraum der Einwirkung oder der Gegenwirkung hängt von ständig wechselnden Konstellationen ab. Es ergeben sich bei diesen Prozessen der Herrschaftsverdichtung und Fürstenstaatsbildung, regelmäßig zusammengefaßt unter dem Begriff der „Territorialisierung“, stetig wechselnde Vor- und Nachteilslagen. Worauf sie – hier beschränkt aufs deutsche Reich – aber langfristig hinauslaufen, das rufen Phänomene auf wie die freien Reichsdörfer in Oberdeutschland, die Schweizer Eidgenossenschaft, die südwestdeutsche Leibherrschaft und die ostelbische Gutsherrschaft (bzw. „zweite“ Leibeigenschaft). Eine beträchtliche Bandbreite existiert zwischen den Polen einer weitgehenden politisch-kommunalen Bauern-Republik („Kommunalismus“: P. Blickle) und intensiver dinglich-sozialer Fesselung in Hörigkeit und Eigenschaft (Herrschaft über Bauern: H. Wunder). Sie wächst, erweitert man den Gesichtskreis, um zahllose Varianten zwischen Norwegen und Sizilien, Portugal und Estland an, die hier nicht mehr aufgezählt werden können. Allerdings sind diese Großtypen ländlicher Vergesellschaftlichung oft nicht viel mehr als normativ-affektive Beschilderungen von natürlich parteiischen Zeitgenossen (und, diesen folgend, der Wissenschaft).

Überall, das läßt sich wohl inzwischen sicher sagen, spielt in den Selbstbehauptungskämpfen der mittelalterlichen Bauern die Dorfgemeinde eine zentrale Rolle. Das läßt sich am schlagendsten ablesen an der Geschichte der Unruhen, des Widerstands, der Aufstände. Im großräumigen und zeitraffenden Überblick ergeben sich da deutlich verschiedene Epochenmerkmale (J. Myrdal). Die frühmittelalterlichen Jahrhunderte haben nur ausgesprochen wenig Indizien für überörtliches Aufbegehren hinterlassen – entscheidend sind hier die oben angedeuteten Konzessionen an die servi und die kleinschrittige Domanialisierung der autonomen liberi (früher als Lehre von der „Depression der Gemeinfreien“ gültig), die nur zu punktuellem Streit führen. Widerstand, auch militanter, in größerem Maßstab entsteht dann aber an allen Peripherien, wo es nicht nur um die Entmachtung der Aristokratie geht, sondern auch um die Servilisierung der Landleute. Im 10. bis 13. Jahrhundert gibt es viele Schauplätze solcher Aufstände: Sachsen, Dänemark, die Küstenregionen, Katalonien. In der Forschung werden sie als Kämpfe gegen die initiative Unterwerfung gedeutet und entsprechend schwer zu bestimmen ist auch jeweils der bäuerliche Anteil. Ein ganz anderes Format haben die Aufstände seit dem späteren 14. Jahrhundert – man denke nur an die „Jacquerie“ 1358 und den englischen Aufstand von 1381, die Hussitenbewegung, den „Bundschuh“ bis hin zum deutschen Bauernkrieg von 1525. Trotz aller Beteiligung von Städtern, Führung durch Handwerker oder Geistliche: Es sind nun genuine Bauernaufstände, gestützt von den soliden Erfahrungen des Gemeindelebens. Dort, wo die Dauerdrohung herrschaftlicher Ansprüche in Maßnahmen umschlug, die nicht nur wirtschaftlich pauperisierend, sondern auch entrechtend und entehrend schienen, kam dann jeweils ein soziales Bewußtsein der Bauern zutage, das die Grundelemente ihrer domanialen Überlagerung zu sortieren, zu gewichten und auf ihre Legitimität hin zu befragen wußte. Nicht nur in den folgenden Zeiten beharrlicher Kleinkonflikte, sondern in dieser Kombination eines Wissens vom eigenständigem Gemeinschaftsleben mit den Normen natürlicher Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit liegt ein „gemeines“ Potential der bäuerlichen Gesellschaften im Mittelalter, aus dem dann – in vielen kleinen Schritten – die Korrosion der aristokratischen Bindungen – bis zur Abschaffung der Servilität und der Formierung der Menschenrechte (P. Blickle) – sowie ihre Verwandlung in neue, bürgerliche, industrielle und staatliche Sozialfigurationen hervorgehen konnte.

LUDOLF KUCHENBUCH

Enzyklopädie des Mittelalters

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