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Ständische Ordnungen

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Ständische Ordnungen sind lange als vorgesellschaftliche soziale Formationen angesehen worden und haben nicht unwesentlich zum Bild einer organistischen Vormoderne beigetragen. Dies gilt insbesondere für die „funktionale Dreiteilung der Gesellschaft“, die bereits im 9. Jh. in Auxerre (D. Iogna-Prat), besonders aber im Kontext der rasanten Entwicklung der mittelalterlichen „Gesellschaft“ ab dem 11. Jh. und der zeitgleichen Reform der Kirche eine bislang unerhörte Bedeutung gewann. Hier wurde mit wichtigen Nuancen zwischen den betenden Klerikern und München (oratores), den kämpfenden Rittern (bellatores) und den arbeitenden Bauern und später auch Handwerkern (laboratores) gemäß einer (statischen) Auffassung der Pflichten und (implizit zumindest) der damit einhergehenden Rechte der Gruppen füreinander und für das (als autark angesehene) Ganze unterschieden. Neuerdings wird die Dreiteilung als ein soziales Deutungsmuster nach P. L. Berger/Th. Luckmann und M. Oevermann definiert. Damit wird eine semantische Perspektive eingeführt. Denn soziale Deutungsmuster bezeichnen „zeitstabile und stereotypische Sichtweisen und Interpretationen“, die von Mitgliedern einer sozialen Gruppe „lebensgeschichtlich entwickelt“ werden. Sie bieten „Orientierung und Rechtfertigung im Alltag in der Form grundlegender, eher latenter Situations-, Beziehungs- und Selbstdefinitionen, in denen das Individuum seine Identität präsentiert und seine Handlungsfähigkeit aufrechterhält“ (M. Staub).

Im Sinne einer historischen Semantik ist es allerdings wichtig, daß ständische Ordnungen nicht nur, wie bislang geschehen, ausschließlich im Zusammenhang der „Gesellschaft“, sondern ebenfalls im Kontext von genossenschaftlichen Organisationsformen, ja sogar von Republiken erörtert werden. Ständische Ordnungen können sich historisch sowohl auf Gesellschaften, in welchen Honoratioren eine dominierende Rolle spielten, als auch auf Republiken beziehen, in denen insbesondere das Verhältnis von Aristokratie und „Demokratie“ institutionalisiert war. Gerade die Pluralität dieser Bezugspunkte deutet indes auf die Möglichkeit eines Ineinandergreifens verschiedener Kontexte hin. Damit wäre auch die Langlebigkeit ständischer Ordnungen jenseits gewisser Vereinheitlichungstendenzen sowie jenseits so bedeutender historischer Zäsuren wie der Französischen Revolution verständlich. Diese Langlebigkeit erklärt denn auch, warum ständische Ordnungen – nicht zuletzt in der Geschichtsschreibung – als Inbegriff des Konservatismus betrachtet wurden.

Wichtiger ist in diesem Zusammenhang allerdings, daß Stände die Paradoxie der Ungleichheit in der für die bürgerliche Gesellschaft als konstitutiv betrachteten Gleichheit (als Privileg) thematisieren (ob die Privilegien formal oder nicht sind, ist dabei zunächst zweitrangig) und diese dadurch diskursiv relevant machen. Als „soziale Deutungsmuster“ wirken sie, wie gesehen, stabilisierend. Im „republikanischen“ Kontext indes machen Stände partikulare Interessen sichtbar. Damit schaffen sie eine wichtige Voraussetzung für die Berücksichtigung aller partikularen Interessen, die im Mittelpunkt republikanischer Partizipationsverfahren steht. Gerade die Varianten der „funktionalen Dreiteilung“, die G. Duby als Ausdruck der feudalen Ideologie interpretiert hat, weisen eine starke Betonung des Autarkiegedankens auf, der dem klassischen Verständnis der Republik, aber auch etwa dem – im weiten Sinne – „republikanischen“ Ideal von Teilen der monastischen Tradition [↗ Religiosentum – Klöster und Orden] zugrunde lag. Semantisch nahmen die oratores, bellatores und laboratores an der Ordnung der „Republik“ als einer Organisationsform teil, in der Gruppeninteressen partizipatorisch und nicht ökonomisch artikuliert werden und die Freiheit nach außen wie nach innen hin durch Zusammenhandeln entsteht und nicht etwa als Voraussetzung „sozialen Handelns“ im Sinne M. Webers angesehen wird.

MARTIAL STAUB

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