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Kaufleute, Bankiers und Unternehmer

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Das frühe Mittelalter. Für die Spanne zwischen der Mitte des 11. und dem 13. Jahrhundert hat sich der Begriff der „kommerziellen Revolution“ (R. Lopez) durchgesetzt, da sich in diesem Zeitraum die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Koordinaten im Abendland tiefgreifend und in bislang ungekannter Dynamik veränderten [↗ Handel]. Diese „Revolution“ hatte nicht zuletzt für das Berufsbild des Kaufmanns einschneidende Folgen. War zuvor das soziale Spektrum in den merkantilen Berufen von lokalen Markthändlern und Krämern auf der einen und mobilen Groß- und Fernhändlern auf der anderen Seite bestimmt, so trat im 12./13. Jahrhundert führend der Unternehmer hinzu, der sich von einem festen Sitz aus in Kredit- und Immobiliengeschäften genauso wie im internationalen Handel betätigte. Auf dem Boden des westlichen Römischen Reiches bildeten sich im frühen Mittelalter vier miteinander vernetzte Wirtschaftsräume aus, über die der europäische Fernhandel vorrangig abgewickelt wurde [↗ Verkehr]: Im arabischen Raum dominierten jüdisch-rhadanitische und syrische Kaufleute den Austausch mit dem byzantinischen und den westeuropäischen Reichen; neben den Basaren und Karawansereien an den Pilgerrouten kam den Mittelmeerhäfen in Italien, der Provence und Spanien die Brückenfunktion zu. Im Frankenreich sind neben den jüdischen auch christliche Fernhändler zu finden, die sich ausweislich der Zollstellen im Binnenland auf den Grenzhandel mit Slawen oder Normannen (Haithabu) sowie den innerfränkischen Warenaustausch konzentrierten. Ein Oktoberjahrmarkt an der Abtei St. Denis wurde etwa seit der Zeit König Dagoberts I. (um 634/35) vor allem von Friesen, Angelsachsen und Skandinaviern besucht, die den nördlichen und östlichen Seehandel in den Händen hielten.

Gewiß konnten Großkaufleute (mercatores, negotiatores) bereits vor dem 11. Jahrhundert zu beträchtlichem Vermögen und Einfluß gelangen. So erwähnt Liudprand von Cremona einen Mainzer Kaufmann Liutefred als Gesandten Ottos des Großen in Byzanz (Antap. IV 4); der Regensburger Kaufmann Wilhelm erlangte 983 von Kaiser Otto II. eine Serie von Bestätigungsurkunden für seine umfänglichen Land- und Besitzschenkungen an das Kloster St. Emmeram (DO II 293–296). Geleitbriefe und Konzilsbeschlüsse sprechen schon in merowingischer Zeit vom Schutz der reisenden Kaufleute; die Zollorganisation der Karolinger und das königliche Marktregal im ottonischen Reich brachten festere Formen des Königsschutzes mit sich. Messen und Jahrmärkte, so in der Champagne oder in Haithabu (an der Schlei), dienten der Steuerung des Warenaustauschs. Quantitativ fiel jedoch die Gruppe der beruflichen Fernhändler gegenüber den lokalen Markt- und Gelegenheitshändlern, die etwa als Unfreie im Auftrag ihres Herrn Geschäfte abwickelten, noch wenig ins Gewicht. Die schwach ausgebaute Infrastruktur, der geringe Geldumlauf, die Risiken des Reisens zu Lande oder zur See und des Transportierens wertvoller Waren sowie unzureichende königliche Schutzprivilegien standen der Ausbreitung merkantiler Berufe entgegen. Hinzu kam die strukturelle Schwäche des Absatzmarktes für den Handel mit Luxusgütern, der im Frankenreich über ein nur schwach ausgeprägtes Städtewesen und über Adelshöfe abgewickelt wurde, die kaum zur agrarischen Überschußproduktion oder zur Kapitalisierung ihrer Erträge im Stande waren.

Die hochmittelalterliche Wende. Nach R. Lopez ist die „kommerzielle Revolution“ durch verschiedene Faktoren geprägt: die Expansion des Binnen- wie des Fernhandels, die Zunahme der finanziellen Transaktionen und des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, die Verdichtung des organisatorischen und rechtlichen Rahmens für den kaufmännischen Beruf [↗ Handel]. Mit einem in Europa um 1050 anzusetzenden agrarwirtschaftlichen und demographischen Schub setzte eine intensive Ausdehnung des Städtewesens ein, in dem durch Arbeitsteilung und rechtliche Privilegierung eine differenzierte Sozialordnung entstand. In Regensburg, einem Zentrum des hochmittelalterlichen Italien- und Böhmenhandels, lassen sich im 11. Jahrhundert neben den Herrschaftssitzen und Kirchen mit ihren Hofrechtsverbänden eigene Viertel für Kaufleute, Handwerker, Juden und Lombarden ausmachen. Die soziale Differenzierung traf insbesondere auch die merkantilen Berufe: An der Spitze stand eine Elite reicher Großkaufleute, die ihre festen Sitze in Städten wie Gent, London, Lübeck, Köln, Lyon, Toulouse oder einer der italienischen Seestädte errichtete, ein Netz von internationalen Niederlassungen, Agenten und Geschäftspartnern unterhielt, aktiv am höheren Kreditwesen beteiligt war und zugleich einen Teil der Gewinne in Immobilien und feudale Rechte investierte. Die extensive Korrespondenz und Buchführung in diesen Kreisen, für welche die Archive des königlichen Kaufmanns Jacques Coeur (1395–1456), des Prateners Francesco di Marco Datini (1335–1410) oder der Regensburger Familie Runtinger mit Tausenden von Dokumenten beispielhaft stehen, erlaubt seit dem 13. Jahrhundert einen zunehmend detaillierten Blick auf die Handels- und Finanzpraktiken der kaufmännischen Eliten. Aus familiären Handelshäusern wie denjenigen der Medici oder der Fugger entwickelten sich im 15. Jahrhundert internationale Großunternehmen mit Dutzenden von Firmensitzen und Gesellschaftern sowie mit einem erheblichen Einfluß in der Politik.

Unterhalb dieser kleinen Spitzengruppe, die aufgrund ihrer verschiedenen geschäftlichen Aktivitäten auch als „Kaufmannsbankiers“ (J. Le Goff) charakterisiert wird, standen mobile Kaufleute, die mit geliehenem Kapital, in der Regel in Kooperation mit einem Gläubiger und spezialisiert auf bestimmte Routen oder Güter, den Warenaustausch organisierten. Für derartige Kooperationen entwickelten sich zuerst in Italien bestimmte Sozietätsverträge, die das Risiko des Fernhandels auf einen oder mehrere Kapitalgeber und einen als Agenten tätigen Kaufmann verteilten (commenda, compagnia). Um ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen durchzusetzen, aber auch um das Reisen sicherer zu machen, haben sich schon früh Kaufleute korporativ organisiert. Zu Beginn des 11. Jahrhunderts tritt die Kaufmannschaft von Tiel als Kläger vor Heinrich II. auf (Thietmar VIII 27); Kaufleutegilden und Fahrtgenossenschaften („Hansen“) gehören zu den frühesten städtischen Organisationsformen, in deren Rahmen ökonomische Steuerung, soziale Fürsorge und eigene Handelsgerichtsbarkeit (so beim Regensburger Hansgrafen im 14. Jahrhundert) geregelt werden konnten. Die norddeutsche Hanse [↗ Regionale Bündnisse] wuchs seit dem 13. Jahrhundert zu einer übernationalen Handelsmacht heran. Auf das Geldgeschäft waren die sogenannten Lombarden und Cahorsiner fixiert, die als Pfandleiher und Wucherer Kleinkredite zu hohen Zinssätzen anboten und damit in der Regel den lokalen Markt bedienten (↗ Geld]. Professionelle Geldwechsler, die mit Edelmetallen handelten und an den Handelsplätzen den Währungstausch steuerten, entwickelten sich im ausgehenden Mittelalter durch die Annahme von Einlagen und die Reinvestition von Darlehen zu Bankiers im modernen Sinne. Kleinhändler, Höker, Gebrauchtwaren- und Gelegenheitshändler standen am unteren Ende der merkantilen Sozialhierarchie und hinterließen nur wenig direkte Zeugnisse für ihre wirtschaftliche Tätigkeit.

Kaufleute als gesellschaftlicher Stand. Die Einteilung der Gesellschaft in Stände und die damit verbundene Formulierung ethischer Gebote und Verdikte war im abendländischen Mittelalter ein kirchliches Monopol. Daß mit dieser allgemeinen Beobachtung nicht allein ein moraltheologisches Phänomen benannt ist, sondern die Wahrnehmung, Geltung, Handlungsfreiheit und rechtliche Stellung eines Berufsstandes in hohem Maße bestimmt wurde, läßt sich am Beispiel der Kaufleute eindrücklich zeigen. In den frühmittelalterlichen Sozialmodellen, so im Schema von den „Betenden“, „Kämpfenden“ und „Arbeitenden“, kommen die freien Kaufleute als eigener Stand nicht vor [↗ Gesellschaft]. Dennoch formulierten die Auslegungen der Kirchenväter grundlegende Normen für ökonomisches und kommerzielles Handeln [↗ Wirtschaftsethik und -lehre]. Die Patristik übernahm dabei weitgehend die antike Dichotomie: Fernhändler seien der Gemeinschaft durch das Herbeibringen fremder Güter nützlich, während die lokalen Krämer ihren Geschäften mit Lug und Trug nachgingen (Augustinus, Sermo 113). Mit steigender Bedeutung der Fernhändler im wirtschaftlichen und politischen Leben intensivierte sich der kirchenrechtliche und moraltheologische Diskurs zu diesem Thema seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert. Insbesondere das Decretum Gratiani (um 1140), die bedeutendste Sammlung und Systematisierung alter Autoritäten, führte nach J. Baldwin „einen heftigen Angriff gegen die Stellung des Kaufmanns“, dessen Tätigkeit mittels einer extensiven Auslegung des Wucherbegriffs und der Inkriminierung kommerzieller Gewinne zum Gegenstand der bischöflichen Gerichtsbarkeit gemacht wurde [↗ Ansehen und Schande].

Zugleich waren es die Kommentare zum Decretum im späteren 12. Jahrhundert und eine Reihe pastoraler Texte, die sich mit der städtischen Seelsorge befaßten, die eine grundsätzliche Wende in der kirchlichen Sicht auf diesen Berufsstand einleiteten. Die Arbeit der Kaufleute wurde der als ehrbar geltenden Handarbeit (labor) gleichgestellt, kaufmännische Gewinne mithin als gerechte Entlohnung qualifiziert. Auch der Tatbestand des Wuchers [↗ Wucherbegriff vor der Scholastik] wurde durch verschiedene Rechtskonstruktionen entschärft. Folgerichtig erweiterte ein anonymer Traktat De quatuor ordinibus aus dem 12. Jahrhundert die alte funktionale Dreiteilung der Gesellschaft um einen weiteren Stand, die mercatores (Migne PL 94, 556f.), während gleichzeitig Prälaten wie der Abt Guibert von Nogent (De vita sua) oder der Bischof Otto von Freising (Gesta Friderici) gegen die politischen Freiheiten der kaufmännischen Eliten zu Felde zogen. Endgültig setzte sich die breite kirchliche Anerkennung des sozialen Ranges der Kaufleute dank der städtischen Bettelorden durch. Der franziskanische Generalminister Bonaventura erklärte in einer Predigt im Jahre 1267, Gott liebe die Kaufleute. Sein Ordensbruder Berthold von Regensburg und mit ihm viele andere Mendikanten verwendeten in ihren Volkspredigten anstelle der alten Dreiteilung ein differenziertes Zehnermodell, in dem den Kaufleuten, Handwerkern und Krämern ein eigener Rang mit eigenen Regeln und eigener Berechtigung in der christlichen Gesellschaft eingeräumt wurde (Von den zehen choeren).

Die politische, kulturelle und religiöse Rolle der Kaufleute. Entscheidend für die soziale Stellung der mittelalterlichen Kaufleute wirkte sich aus, daß ihre führenden Vertreter sich vielerorts an die Spitze der kommunalen Bewegung setzten [↗ Stadtregiment; ↗ Städtische Genossenschaften; ↗ Städtischer Raum]. Der Forderung nach bürgerlicher Selbstverwaltung wurde durch ihr beträchtliches Kapital bei zunehmender Schuldenlast der alten Feudaleliten ein hohes Gewicht verliehen. In allen größeren Städten bildete sich seit dem 12./13. Jahrhundert unter verschiedenen politischen Vorzeichen ein „Patriziat“ heraus, in dem führende Kaufleute, Bankiers, später auch Juristen und Gelehrte mit Mitgliedern der Aristokratie durch Heirats- und Geschäftsverbindungen zu einer neuen Führungsschicht verschmolzen [↗ Genossenschaftliche Ordnungen]. Diese tendierte dazu, sich ständisch gegenüber den anderen Gruppen der urbanen Gesellschaft abzuschließen; sie kontrollierte die ökonomischen Ressourcen und die kommunale Administration. Die Angleichung an den höfischen Lebensstil und an adlige Repräsentationsformen lassen sich etwa an den Grabkapellen großer Kaufmannsfamilien in St. Croce zu Florenz (14. Jahrhundert), an den Stadtpalästen der Medici oder am weit verbreiteten Mäzenatentum ablesen. Der Kaufmann Buonamico di Lapo Guidalotti ließ in St. Maria Novella nach der Pest 1348 das berümte Sühnefresko in der Spanischen Kapelle ausführen. Nicht zuletzt in der Förderung städtischer Schulen, in denen die für das Geschäft wesentlichen Fähigkeiten erlernt wurden, schlägt sich die kulturelle Rolle der Kaufleute nieder. Umfangreiche Handbücher (Pegolotti, Pratica della mercatura) geben Einblick in das für nötig gehaltene Fachwissen.

Das rationale Geschäftsdenken, das Mittel schriftlicher Buchführung [↗ Geschäfts- und Verwaltungsschrifttum], die korporativen Organisationsformen [↗ Genossenschaftliche Organisationsformen] und die Verbindung von wirtschaftlichen und politischen Interessen hatten auch Folgen für die Frömmigkeit mittelalterlicher Kaufleute. Ausführliche Testamente, die seit dem 12. Jahrhundert im Einflußbereich des römischen Rechtes (Italien, Südfrankreich) und seit dem 14. Jahrhundert im ganzen Abendland üblich waren, dokumentieren zugleich die Sorge um geschäftliche Kontinuität in der Familie und um die Sicherung des Seelenheils. Letzteres schlug sich schon zu Lebzeiten im Aufbau enger Beziehungen zur lokalen Kirche, insbesondere zum späteren Begräbnisort, nieder. Dabei kamen für das Patriziat nicht allein die städtischen Pfarreien oder Mendikantenkonvente, sondern auch gegebenenfalls die Bischofskirche oder im Umland liegende Klöster bevorzugt in Frage. Die Mitgliedschaft in religiösen Laienbruderschaften, die Verwaltung des Pfarrvermögens, die Gründung von Hospitälern oder die Annahme semireligioser Lebensformen stellten für kaufmännische Eliten Partizipationsmöglichkeiten an den lokalen Kirchen zur Verfügung, in denen sich religiöse mit weltlichen Interessen verbinden ließen.

JÖRG OBERSTE

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