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Gilden und Bruderschaften

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Örtliche Gilden sind bereits im Frühmittelalter nachgewiesen – so z.B. in Hinkmars berühmter Verurteilung ihrer weltlichen Aktivitäten in den Diözesanstatuten von Reims aus dem Jahre 852. Unter anderem begegnen wir in den Quellen berufsspezifischen Gilden wie etwa Klerikervereinigungen. Gilden der Kaufleute [↗ Kaufleute, Bankiers und Unternehmer; ↗ Handel] sind ab dem 11. Jh. nachweisbar (Gilden der Kaufleute von Tiel und St. Omer) und entwickelten sich rasch im Laufe des 12. Jh.

Berufsspezifische Gilden nahmen ihre Mitglieder gemäß der von ihnen ausgeübten Tätigkeit auf. Als genossenschaftliche Organisationsformen setzten sie allerdings deren Beteiligung an der Willkür voraus. Diese Charakteristik unterscheidet sie grundsätzlich von modernen Gewerkschaften oder Gewerbeverbänden, lässt umgekehrt aber ihre organisatorische Nähe zu den Kommunen erkennen. Ebenso wird dabei verständlich, wie gerade die Gilden zur Behauptung ständischer Ansprüche beigetragen haben. Neben den bereits erwähnten Klerikergilden, die in ihrer Vielfalt entweder die Interessen der Gesamtgeistlichkeit oder diejenigen der örtlichen Pfarrer, Vikare, Altar- bzw. Hilfspriester vertraten [↗ Klerus], sei hier an die Gilden der Magister und Studenten bzw. der Studenten allein, aus denen die ersten Universitäten in Paris bzw. Bologna hervorgegangen sind [↗ Gelehrte; ↗ Universitäten], und an die spätmittelalterlichen Gesellengilden, Zünfte und Adelsgesellschaften [↗ Adel] erinnert. Auch Bettlergilden sind für das Spätmittelalter nachgewiesen [↗ Bettler]. Ferner sind die Klösterverbände ebenfalls, wenn auch nicht ausschließlich, unter diesem Aspekt zu betrachten [↗ Religiosentum – Klöster und Orden]. Als viel schwieriger erweist sich indes die Abgrenzung der zahlreichen spätmittelalterlichen Schwureinungen der Bauern, die besonders im Zusammenhang mit den ländlichen Aufständen des 14., 15. und 16. Jh. faßbar sind [↗ Bauern], von der kommunalen Bewegung, den regionalen Bündnissen und den örtlichen Gilden.

Historiker haben im Zusammenhang mit der Erforschung der genossenschaftlichen Organisationsformen der Totenfürsorge besondere Aufmerksamkeit geschenkt [↗ Memoria]. Das Totengedenken hatte im Mittelalter eine stärker ausgeprägte und unmittelbar deutlichere soziale Funktion als in der Moderne. Das Erinnern war jenseits seiner subjektiven Dimension mehr als eine Form der Repräsentation der erinnernden Gruppe. Es konstituierte vielmehr diese Gruppe bzw. trug wesentlich zu ihrer Konstituierung bei. Rechtlich wie kultisch wurde die soziale Rolle des Totengedenkens durch die Figur der „Gegenwart der Toten“ (O. G. Oexle) ausgedrückt. Nicht zufällig prägt das Totengedenken daher die Überlieferung auch – oder gerade – im Hinblick auf die genossenschaftlichen Organisationsformen.

Das Totengedächtnis bietet nicht nur einen interessanten Zugang zur Geschichte der Kommunen – ob für sich genommen oder im Zusammenhang mit weiteren religiösen Riten und Vorstellungen wie etwa dem Kult der Stadtpatrone. In vielen Fällen liefert es die einzige Spur einer genossenschaftlichen Organisation oder es ist sogar ihr konstitutives Merkmal. Mittelalterliche genossenschaftliche Organisationen schließen denn auch politische Bündnisse der Karolingerund Ottonenzeit, die in den Quellen als Gebetsverbrüderungen nachgewiesen sind, sowie die zahlreichen mittelalterlichen Bruderschaften mit ein.

Es mag in diesem Zusammenhang als paradox angesehen werden, daß Genossenschaften von Laien bzw. von Laien dominierende Genossenschaften, ja viele als häretisch angesehene Genossenschaften und sogar Genossenschaften, die die Lehre der Kirche bestritten, als Bruderschaften wahrgenommen werden konnten. Zwar sollte dabei die Rolle klerikaler Vorurteile in der Kontinuität von Hinkmars bereits erwähnten Diözesanstatuten vom Jahre 852, die Bruderschaften als ein Sinnbild sozialer Unordnung ansahen, nicht unterschätzt werden. Es scheint aber, daß das Totengedenken darüber hinaus die Institutionalisierung gerade solcher Initiativen ermöglichte, die von Gruppen in Ergänzung zu Entscheidungen etablierter, besonders kirchlicher Institutionen, ja sogar jenseits dieser, im liturgischen, sozialen oder politischen Bereich getroffen wurden. Die Nähe des Bruderschaftswesens zu neuen Orden [↗ Religiosentum – Klöster und Orden] ist dabei kennzeichnend. Als ein besonders sprechendes Beispiel möge der Hinweis auf die Rolle der mittelitalienischen Bruderschaften in der Förderung des Altarbildes ab der Mitte des 13. Jh. (Rucellai-Madonna) und den damit einhergehenden Wandel kultischer Medien genügen, der, wie H. Belting angemerkt hat, von den Franziskanern erfolgreich zur Verbreitung des Kults des hl. Franz von Assisi umgesetzt wurde. Die Reformation hat die Kommunalisierung solcher Initiativen gefördert, während die Bruderschaften im katholischen Kontext verstärkt unter klerikale Aufsicht gerieten.

MARTIAL STAUB

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