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Lehnswesen

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Das Lehnswesen im rechtlichen Sinne beinhaltet das durch das Lehnrecht geregelte Verhältnis zwischen dem Lehnsherrn und dem Vasallen (Lehnsmann): Der Vasall ist dem Herrn gegenüber zu Gehorsam und Dienst – vor allem Waffendienst – verpflichtet und der Herr dem Vasallen gegenüber zur Gewährung von Schutz und Unterhalt; meistens genügt der Herr dabei seiner Unterhaltspflicht durch Verleihung eines Gutes, das Lehen genannt wird (F. L. Ganshof) [↗ Feudalrechte]. Dieses mittelalterliche Lehnswesen ist das Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses, dessen erste Etappe sich im Frankenreich zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert abspielte. Als Ursprungsgebiet des Lehnswesens muß vor allem der Raum zwischen Loire und Rhein, das Kerngebiet des Frankenreiches, angesehen werden. Das Merowingerreich litt während des 6. und 7. Jahrhunderts sehr häufig an einer Instabilität der politischen Verhältnisse, so daß manchmal anarchische Zustände herrschten. Diese Lage führte zur Bildung von Klientelen, vor allem von bewaffneten Gefolgschaften. Es gab viele, die Schutz und Schirm nötig hatten und irgendeinen Mächtigen darum baten; Personen freien Standes unterstellten sich der Schutzherrschaft des Königs oder anderer mächtiger Herren [↗ Adel; ↗ Königsherrschaft].

Durch welchen Rechtsakt trat ein freier Mann in die Abhängigkeit eines anderen? Dieser Akt war die Kommendation (commendatio), durch die der Mann den Schutz (mundiburdium) des Herrn gewann und sich gleichzeitig zur Übernahme bestimmter Verpflichtungen bereit erklärte [↗ Belehnungen und symbolische Dienste]. Es entstand somit ein enges Abhängigkeitsverhältnis, bei dem sich der Kommendierte dem Herrn gegenüber zu Dienst und Gehorsam verpflichtete. Zur Wahrung des freien Standes waren offenkundige Knechtsdienste jedoch ausgeschlossen. Der Herr übernahm die Verpflichtung, seinem Vasallen den notwendigen Lebensunterhalt an Nahrung und Kleidung zu gewähren. Obwohl die Kommendation zu einer starken Abhängigkeit führen konnte, handelte es sich nicht um eine Selbstverknechtung, da der freie Rechtsstand des Mannes nicht angetastet wurde. Für die Annahme, daß die Wurzeln der Vasallität im Bereich der Unfreiheit liegen, sprechen aber sprachgeschichtliche Momente. Die für den Lehnsmann üblich Bezeichnung vassus oder vassallus leitet sich aus dem keltischen Wort gwas im Sinne von Knecht her. Es gab in der Merowingerzeit offenbar Unfreie, die zusammen mit ihrem Herrn Haus und Hof verteidigten. Später erfuhren diese Knechtsverhältnisse unter dem Einfluß des germanischen Gefolgschaftswesens eine Aufwertung und verloren dabei ihren unfreien Charakter. Bedeutsam für die ethische Aufwertung war vor allem die Übernahme des Treueides aus dem Gefolgswesen, wodurch die Vasallen eine größere soziale Anerkennung erlangten. Die gallorömische Vasallität mit ihren starken Abhängigkeitsformen verschmolz demnach mit Elementen der auf gegenseitiger Treue basierenden germanischen Gefolgschaft zum frühmittelalterlichen Lehnswesen.

Meistens unterhielt der Herr seinen Vasallen zunächst direkt, indem er ihn in seiner unmittelbaren Umgebung mit allem Notwendigen an Nahrung, Kleidung und Bewaffnung versorgte. Später gingen viele Herren dazu über, den Kommendierten zur Sicherung seines Unterhalts mit Land auszustatten, das als beneficium oder feudum verliehen wurde. Neben der durch Kommendation und Treueid geschaffenen persönlichen Beziehung bildete also beneficium das dingliche Element der Vasallität. Im Rahmen der frühmittelalterlichen Agrargesellschaft, in der der Ackerbau die Hauptquelle des Reichtums war, war die Vergabe von Grundbesitz die bestmögliche Methode, um Vasallen einen sicheren Lebensunterhalt zu garantieren. Die Entstehung des Benefizialwesens erfolgte offenbar bereits in der Merowingerzeit und die Ausstattung von Vasallen mit Land verbreitete sich damals in zunehmendem Maße. Es gab allerdings auch in der Karolingerzeit noch genügend Vasallen, die in der näheren Umgebung des Lehnsherrn lebten und an seinem Hof unmittelbar versorgt wurden, ohne mit Benefizien ausgestattet zu sein. Das Lehen wurde aber allmählich zum Hauptelement und durchdrang auch das Ämterwesen.

Die Karolingerzeit brachte die verschiedenen Ansätze im Lehnswesen zur Entfaltung, die in der Merowingerzeit grundgelegt worden waren. Die beiden Komponenten Vasallität und Benefizium, die bis dahin unabhängig voneinander bestanden hatten, wurden damals weitgehend miteinander vereinigt, so daß ein dichtes System entstand. Die Ausbreitung des Lehnswesens hatte außerdem folgenreiche Auswirkungen auf die Verfassung und die Sozialstruktur des Frankenreiches. In der Wehrverfassung führte dies dazu, daß die Bedeutung des allgemeinen Volksaufgebots zurückging, das militärische Gewicht der Vasallen aber zunahm. Karl der Große hielt im Heerwesen zwar an dem Grundsatz der persönlichen Verpflichtung aller Freien zum Kriegsdienst fest, erleichterte sie aber für die armen Bevölkerungsgruppen. Nur noch diejenigen, die über ein Mindestmaß von vier Hufen verfügten, hatten dem Kriegsdienst persönlich nachzukommen [↗ Krieg und Frieden]. Die Ärmeren mußten jedoch ihren Beitrag zu Gestellungsverbänden leisten, indem mehrere Freie jeweils einen kriegsfähigen Mann ausrüsteten. Den Vasallen war es auf der Basis ihrer Ausstattung mit Benefizien möglich, als gut bewaffnete Reiterkrieger in den Kampf zu ziehen. Ein besonderes Gewicht besaßen die Kronvasallen (vassi regis), da sie durch einen Lehnseid besonders eng mit dem König verbunden waren. Darüber hinaus haben sich die karolingischen Könige bemüht, auch die Vasallen der geistlichen und weltlichen Magnaten in die fränkische Heeresorganisation einzubinden. Die Lehnsherren waren nämlich verpflichtet, an der Spitze ihrer Lehnskrieger dem Aufgebot des Königs zu folgen. Die Politik der Karolinger zielte darauf ab, die für das Herrschaftsgefüge negativen Folgen der Feudalisierung in der Heeresorganisation einzudämmen und ihren Einfluß auf die Vasallenverbände der großen Grundherren zu wahren. Sie hielten daher grundsätzlich an der königlichen Verfügungsgewalt über das allgemeine Volksaufgebot fest und bemühten sich, alle Vasallenverbände in die Heeresorganisation einzugliedern. Der Prozeß der Feudalisierung des Heeres und der Herausbildung eines Berufskriegerstandes ließ sich aber nicht aufhalten, so daß schließlich im Hochmittelalter in allen Hauptländern Europas das ritterliche Lehnsheer dominierte.

Das Lehnswesen war im Hochmittelalter nicht nur in den Nachfolgestaaten des Frankenreiches, in Deutschland, Frankreich und Italien vertreten, sondern breitete sich nach 1066 auf England aus und erfaßte im Zuge der Kreuzzüge sogar die Kreuzfahrerstaaten im Orient. Auch Böhmen, Polen und Ungarn wurden allmählich vom Lehnswesen durchdrungen, während Dänemark, Norwegen und Schweden nur partiell feudalisiert wurden. Das klassische Zeitalter des Lehnswesens war zweifellos die Zeit vom 10. bis zum 13. Jahrhundert, in der der Feudalismus zu einem Höhepunkt seiner Entwicklung gelangte. Das System der Beziehungen zwischen Lehnsherren (domini) und ihren Vasallen (vasalli, homines) wurde verallgemeinert und kodifiziert, die Prärogativen der Vasallen vorrangig betont. Formen und Spielregeln des Lehnswesens waren zwar lokal und regional sehr verschieden; doch gab es auch allgemeine Grundsätze des Lehnrechts. Da vor dem 13. Jahrhundert fast keine feudale Gesetzgebung existierte, ist man auf die Lehnspraxis verwiesen, von der man durch Chroniken, Urkunden und Rechtsbücher erfährt. In Frankreich konnte der König außerhalb des Kronlandes seine Macht bis weit in das 12. Jahrhundert hinein nur durch Lehnsrechte ausüben. Seitdem machte er aber zunehmenden Gebrauch vom Treuevorbehalt (ligeitas) gegenüber dem obersten Lehnsherrn und baute eine königliche Verwaltung mit einem effizienten Finanzsystem und einem Apparat zuverlässiger Beamter auf. Im 14. Jahrhundert systematisierte er alle feudalen Rechtsbeziehungen so straff, daß sie vom König delegiert erschienen und er selbst als oberster Lehnssouverän (dominus ligius ante omnes) auftrat.

Völlig anders entwickelte sich das Verhältnis von Lehnswesen und Königsgewalt in Deutschland. Zwar war die Herrschaftsstruktur im 10. und 11. Jahrhundert stark vom Lehnswesen geprägt; doch bildeten die Lehnsbindungen der Magnaten kaum die Grundlagen der Macht der ottonischen und salischen Könige. Diese ruhten weiterhin vor allem auf den traditionellen Institutionen und auf der Reichskirche. Im 11. und 12. Jahrhundert vollzog sich dann ein allmählicher Prozeß der Feudalisierung der Reichsverfassung, durch den das Lehnswesen ein zunehmendes Gewicht für die innere Struktur des Reiches erhielt. Die Herzöge, die im ostfränkisch-deutschen Reich beachtliche Machtfaktoren darstellten, wurden durch das Lehnrecht zwar an den König als ihren Oberlehnsherrn gebunden; doch blieb der Amtscharakter des Herzogtums teilweise lebendig. Seit dem Investiturstreit verlor der König die Verfügungsgewalt über die Bischöfe; die Struktur der Reichskirche veränderte sich und der Prozeß der Territorialisierung setzte ein. Durch die Verleihung von Immunitätsrechten und die Ausstattung mit umfangreichem Grundbesitz sowie Herrschaftsbefugnissen entstanden große Herrschaftskomplexe in den Händen geistlicher Fürsten, die durch das Wormser Konkordat (1122) bedeutend an Selbständigkeit gegenüber dem Königtum gewannen. Das Verhältnis des Königs zu den Bischöfen und Reichsäbten wurde nun ebenfalls auf lehnsrechtliche Grundlagen gestellt, nachdem die unmittelbare Kirchenherrschaft beseitigt und eine Trennung von geistlichem Amt und weltlicher Herrschaft vorgenommen worden war. Durch die Belehnung mit den Regalien wurden Bischöfe und Äbte zu Kronvasallen, die mit weltlichen Herrschaftsrechten ausgestattet waren und mit dem König als oberstem Lehnsherrn verbunden blieben. Aus Reichsbischöfen und Reichsäbten entstand ein geistlicher Reichsfürstenstand, der den weltlichen Reichsfürsten zur Seite trat [↗ Fürstentum].

Die Feudalisierung der Reichsverfassung und die Anwendung lehnsrechtlicher Elemente machte unter den Stauferkönigen (1138–1254) große Fortschritte. Der König beanspruchte eine vorrangige lehnsrechtliche Stellung gegenüber allen Herrschaftsträgern und Vasallen im Reich, was in der lehnsrechtlichen Theorie im Bild der hierarchisch gegliederten Lehnspyramide und in der Heerschildordnung zum Ausdruck kam. Gemäß der Heerschildordnung stand der König unangefochten an der Spitze des gesamten Lehnsverbandes. Während des 12. Jahrhunderts bildete sich im Reich ein Kreis von weltlichen Fürsten, der sich nach unten abschloß und als „jüngerer Reichsfürstenstand“ hervortrat. Im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen Heinrich den Löwen wurde dieser Reichsfürstenstand um 1180 deutlicher sichtbar. Charakteristisch für diesen Fürstenstand waren die unmittelbare Belehnung durch den König und fehlende lehnsrechtliche Unterordnungen unter andere weltliche Magnaten. Grafen gehörten dem Reichsfürstenstand aber nicht an, auch wenn sie unmittelbar vom König belehnt waren, so daß allein Herzöge oder herzogsgleiche Große zu dieser obersten Gruppe der Kronvasallen zählten. Seit Anfang des 13. Jahrhunderts war sogar ein förmlicher Erhebungsakt notwendig, um in den Kreis der Reichsfürsten aufgenommen zu werden. Voraussetzung dafür war die Schaffung eines unmittelbaren Lehnsverhältnisses zum Reich und der Besitz eines größeren Territoriums.

Im späteren Mittelalter wurde das Lehnswesen in Deutschland in besonderem Maße durch die Herausbildung und Verfestigung des Territorialstaates beeinflußt. Inwieweit allerdings das personenbezogene Lehnswesen für die Territorialpolitik des Spätmittelalters tatsächlich von Bedeutung war, hing von der Struktur und Eigenart einzelner Territorien ab. Das Verhältnis von Territorium und Lehnswesen war spannungsgeladen und gegensätzlich, da der Aufbau einer Territorialherrschaft durch die Konzentration verschiedener Rechtstitel erfolgte, während bei einer Belehnung wertvolle Güterkomplexe samt den damit verbundenen Rechten ausgegeben wurden. Die Entstehung der Landesherrschaft beruhte zwar keineswegs vorrangig auf dem Lehnrecht; doch spielte das Lehnswesen neben dem Amtsrecht und modernstaatlichen Elementen auch im Spätmittelalter noch eine wichtige Rolle beim Aufbau der Landesherrschaft [↗ Landesherrschaft]. Die Bedeutung des Lehnswesens für den Prozeß der Territorialisierung haben neuere Untersuchungen zu einzelnen Territorien aufgezeigt und verdeutlicht. Weitere Studien auf regionaler Ebene sind notwendig, da das Lehnswesen in den einzelnen Territorien häufig beträchtliche Unterschiede erkennen läßt. Verglichen mit dem Lehnswesen im Reich besaß das territoriale Lehnswesen innerhalb der spätmittelalterlichen Landesherrschaft zweifellos ein größeres Gewicht, denn hier wurden die Frühformen des modernen Staates durch die Spätformen des Lehnswesens ergänzt. Es kam zu einer Territorialisierung des Lehnrechts, die sich darin äußerte, daß die Verpflichtung der Vasallen auf das Territorium und nicht mehr allein auf den Lehnsherrn bezogen wurde. In dieser territorialisierten Form war das Lehnrecht neben dem Amtsrecht ein wichtiges Mittel zur Festigung der Landesherrschaft.

WERNER RÖSENER

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