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Vogtei

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Mit den Grundbesitzungen und Herrschaftsrechten der geistlichen Grundherren war im Mittelalter in der Regel die Institution der Vogtei, der Schutzherrschaft über Kirche und Geistlichkeit, verbunden. Dem Begriff der Vogtei liegt das lateinische Wort advocatia zugrunde, das ein breites Spektrum von Bedeutungen haben kann. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Bedeutungen die Tatsache, daß Personen im Auftrag einer Institution Herrschaft ausübten, Verwaltung organisierten, Abgaben einzogen oder Gerichtssitzungen abhielten. Die Beauftragung zur Stellvertretung hatte zur Folge, daß sowohl Herrschaft als auch Unterordnung mit der Vogtei verbunden waren.

Eine besondere Bedeutung erlangte die Vogtei zunächst vor allem im geistlichen Bereich. Der Vogt war ein Laie, der einen Geistlichen, eine Kirche oder ein Kloster in weltlichen Angelegenheiten vor Gericht vertrat und das Kirchengut verwaltete [↗ Religiosentum]. Dadurch wurde der Grundsatz befolgt, daß Geistliche sich nicht zu sehr mit weltlichen Dingen abgeben und nicht das weltliche Schwert führen sollten. Insbesondere sollte die Beteiligung geistlicher Personen an militärischen Unternehmungen und die Mitwirkung an Todesstrafen vermieden werden. Parallel zur Zunahme des kirchlichen Besitzes und kirchlicher Machtmittel wuchs die Bedeutung der Vogtei. Seit der Spätantike besaßen die Kirchen in der westlichen Reichshälfte in der Regel einen defensor. Freiwillig die Hilfe eines Rechtsbeistandes in Anspruch zu nehmen war damals allgemein so üblich geworden, daß kaiserliche Verordnungen für die Qualifikation der advocati Sorge trugen und ihre Zulassung regelten. Daher zeigte auch die Kirche ein zunehmendes Interesse an diesen Personen, die sie vor Gericht vertraten oder bei Streitigkeiten tätig wurden. Solche advocati begegnen als Prozeßvertreter von Kirchen und Geistlichen dann seit dem 7. Jahrhundert auch in fränkischen Quellen. In den Konzilsbeschlüssen des Frankenreiches werden seit dieser Zeit advocati genannt, die von den Bischöfen und Äbten eingesetzt wurden, wenngleich oft nur für bestimmte Aufgaben und begrenzte Zeiten. Als aber die Kirchen aufgrund käuflicher Privilegien Immunitätsrecht erhielten und ihre Grundbesitzungen erheblich anwuchsen, erwiesen sich dauerhafte Bindungen zu einem Vogt als dringend notwendig.

In der Regierungszeit Karls des Großen wurde die Kirchenvogtei dann zu einer festen Einrichtung mit Amtscharakter erhoben und im Frankenreich allgemein vorgeschrieben. Die frühesten Belege finden sich in Italien, wo dem Pontifex in der Zeit um 782 überall dort die Bestellung von Vögten vorgeschrieben wird, wo ihm Grundvermögen zusteht. Zahlreiche Konzilien des 9. Jahrhunderts schrieben die Beauftragung von Vögten vor; ihre Auswahl wurde teils den Vertretern der Kirchen, teils den örtlichen Grafen anvertraut. Diese Kirchenvögte sollten einen guten Ruf besitzen und ihren Aufgaben gewachsen sein. Eine umfassende vogteiliche Gerichtsbarkeit über alle Kirchen und ihre Grundbesitzungen gab es im frühen 9. Jahrhundert zwar noch nicht; doch verstärkte sich die Stellung der Vögte zunehmend. Sie einzusetzen war vielfach denjenigen vorbehalten, die die Kirchen und Klöster gegründet und ihrem Patronat unterworfen hatten. Die freie Wahl des Vogtes durch Kirchenvertreter war deshalb häufig nicht möglich, so daß die Vogtei zum Instrument adliger Machtansprüche wurde. Seit der Zeit Karl des Großen ist daher auch von den Gefährdungen der Kirchen durch die Vögte die Rede: 813 fordert zum Beispiel eine Mainzer Kirchenversammlung, Bischöfe und Äbte sollten nur solche Vögte akzeptieren, die einerseits die Kirche vor Gewalt schützen könnten und andererseits aber selbst keine Gefahr darstellten. Seit der Mitte des 9. Jahrhunderts wurden die Vogteien häufig erblich, so daß sie auch als Lehen vergeben wurden. Ein beträchtlicher Anteil an den Gerichtsbußen und an den den Kirchen abzuliefernden Abgaben machte die Vogtei zu einer lukrativen Einnahmequelle.

Das wiederholt verkündete Gebot, Kirchen und Klöster sollten Vögte haben, wurde seit dem 9. Jahrhundert in der Regel befolgt. In den einzelnen Gebieten des Frankenreiches gibt es seit dieser Zeit zahlreiche Zeugnisse über das Wirken der Vögte bei vielfältigen Angelegenheiten. Vögte vertraten Bischöfe und Äbte nicht nur beim Abschluß von Rechtsgeschäften und bei Gerichtsversammlungen, sondern sie wurden als rechtskundige Männer auch zur Beilegung von Konflikten innerhalb der grundherrschaftlichen familia herangezogen. Charakteristisch für diese frühe Entwicklungsstufe der Vogtei ist die Tatsache, daß häufig mehrere Vogteien nebeneinander auftraten. Der Übergang zum adeligen Hauptvogt erfolgte im Laufe des 10. und 11. Jahrhunderts; diese Vögte nahmen die herkömmlichen Aufgaben im allgemeinen allein wahr, soweit nicht wegen der Streulage des kirchlichen Besitzes Teilvogteien bestanden. Dieser Typus des adeligen Vogtes, der von da an die Geschichte der Kirchenvogtei prägte, nahm in besonderem Maße die Aufgabe des bewaffneten Schutzes der bevogteten Kirche wahr und gehörte daher in der Regel den mächtigsten Adelsgeschlechtern der jeweiligen Region an. Um die Vogteien der Reichskirchen und insbesondere der Bistümer kümmerte sich im Rahmen des ottonisch-salischen Reichskirchensystem besonders das Königtum. Im 11. Jahrhundert setzte sich jedoch die Erblichkeit der Hochstiftsvogtei durch, so daß der Einfluß der Könige zurückging. Für die zahlreichen bischöflichen Klöster und Stifte nahmen die Bischöfe die Vogtei durch die von ihnen abhängigen Beauftragten wahr. Die im Laufe des 11. Jahrhunderts entstandenen adeligen Eigenklöster blieben dagegen unter der Vogtei ihrer Stifter: Teils wurde die Vogtei der Stifterfamilie als erbliches Recht beansprucht, teils war für den Fall des Aussterbens der Stifterfamilie eine freie Vogtwahl vorgesehen. Die starke Machtstellung der Vögte spiegelte sich in den vielfältigen Aktivitäten des Königs wider, der die Vogtei durch Gebote und Urteilssprüche zu reglementieren suchte. In der Reichskirche gelang es im 12. und frühen 13. Jahrhundert den Bischöfen schließlich, die Hochstiftsvögte völlig zu verdrängen und einzelne Vogteien durch Kauf, Schenkung oder Verpfändung zu erwerben.

Außerhalb der Reichskirche behielt die adelige Erbvogtei noch längere Zeit ihre Bedeutung. Infolge der im Zeitalter der kirchlichen Reformbewegungen seit dem 11. Jahrhundert zahlreich gegründeten Klöster und Stifte des Adels nahm ihr Gewicht sogar zu [↗ Religiosentum]. Für das Reformkloster Cluny war die Vogtei kein wichtiges Thema, da die Vögte in Burgund und im Westfrankenreich nicht jene starke Stellung einnahmen, wie dies in Deutschland der Fall war. Die Befreiung von der bedrückenden Macht der Vögte war dagegen ein besonderes Anliegen der Hirsauer Klöster und all jener Kirchenreformer, die die libertas ecclesiae durch die Herauslösung aus laikalen Bindungen zu erreichen suchten. Gemäß den Vorstellungen des Reformklosters Hirsau sollte der Vogt von den Mönchen aus der Stifterfamilie gewählt werden, Verstöße gegen die rechtlichen Schranken der Vogtei sollten die Absetzung des Vogtes zur Folge haben. Dieses Modell, welches die Erwartungen der Stifterfamilie mit den Ansprüchen der Kirchenreformer zu kombinieren suchte, fand sich bei zahlreichen, an die römische Kirche tradierten Adelsklöstern.

Der sich im 12. Jahrhundert ausbreitende Zisterzienserorden [↗ Religiosentum] ging noch einen Schritt weiter und verlangte für seine Niederlassungen völlige Freiheit von der Vogtei. Da die Zisterzienser über keine Grundherrschaften mit abhängigen Bauern verfügten, sondern ihre Wirtschaftshöfe mit Laienbrüdern betrieben, benötigten sie nicht die besondere Gerichtsbarkeit des Vogtes. Die Klöster des zentralisierten Zisterzienserordens forderten lediglich den bewaffneten Schutz (defensio), den der Kaiser, der Landesherr oder ein benachbarter Dynast gewähren sollte. Der allgemeine Königsschutz (guardia) ermöglichte es seit dem 13. Jahrhundert dem französischen König, sowohl bestehende Vogteirechte abzubauen als auch konkurrierende Herrschaftsrechte auszuschalten. Königlichen Amtleuten wurde der Schutz, aber auch die Kontrolle über Kirchen und Klöster anvertraut. Den Inhabern konkurrierender Rechte (Eigenkirchenrechte, Patronate) blieben im Spätmittelalter nur noch Restbestände einstiger Machtpositionen.

In Deutschland wurde seit dem 13. Jahrhundert der Titel eines Vogtes zunehmend auch mit Amtsträgern verbunden, die im Auftrag weltlicher Herrscher Verwaltungsfunktionen ausübten, Steuerlasten festlegten, Gericht hielten oder Abgaben einzogen. Die Vielzahl der Aufgaben dieser weltlichen Reichs-, Land- und Stadtvögte ist mit einer Fülle von Institutionen verbunden, die in den verschiedenen Herrschaften, Städten und Dörfern auftauchen. Die von König Rudolf von Habsburg eingerichteten Reichslandvogteien sollten das verbliebene Reichsgut sichern und für das Königtum nutzbar machen. In den deutschen Königsstädten des späten Mittelalters übten Reichsvögte die stadtherrlichen Rechte aus, während in den Territorialstädten Stadtvögte, auch Schultheißen genannt, die Herrenrechte gegenüber den Gemeinden wahrnahmen. Diese Vogteirechte wurden im Laufe der Zeit häufig von den Gemeinden aufgekauft oder durch Pfandschaft erworben.

WERNER RÖSENER

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