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Das mittlere Neolithikum: Hinkelstein

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Unsere spärlichen Kenntnisse über die längst vergangenen Zeiten beziehen wir vor allem aus Gräbern, die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und noch im frühen 20. Jahrhundert ausgegraben wurden. Siedlungen mit den für die Epoche typischen, in etwa nordsüdorientierten Langhäusern von 30–50 m Länge bei 5–8 m Breite wurden bislang in Rheinhessen noch nicht erforscht, allenfalls stammt Siedlungsmaterial wie Scherben, Webgewichte, Hüttenlehm von oberflächlichen Aufsammlungen oder aus einzelnen Gruben. Später mit Abfall verfüllte Gruben dienten ursprünglich zur Materialentnahme (Lehm für den Wandverputz) und zur Konservierung von Getreide unter Luftabschluss. Da sie zumeist tiefer in den Boden reichten als die Pfosten der lang gestreckten Wohnhäuser, haben sich oft nur die unteren Bereiche solcher Gruben, nicht jedoch die Spuren der Wohnhäuser erhalten.

Wie die Menschen lebten, vor allem, wie sie zusammenlebten und ihre Gemeinschaft organisierten, entzieht sich unserer Kenntnis. Der Zusammenhalt innerhalb der kleinen Ansiedlungen scheint auch durch bestimmte Muster ausgedrückt worden zu sein, denn gleiche Verzierungen auf der (allein übrig gebliebenen) Keramik beschränken sich auf kleine Räume.

Etwas deutlicher tritt die nachfolgende Kulturstufe ans Licht. Mit der Zeit differenzierten sich im Mittelneolithikum immer stärker regionale Gruppen. Von allen neolithischen Kulturen oder Gruppen ist in Rheinhessen die sich um 4900 v. Chr. aus der Bandkeramikkultur entwickelnde Hinkelsteingruppe am stärksten vertreten. Sie hat ihren Namen von dem Gewann »Am Hinkelstein« bei Monsheim. Den ursprünglich dort befindlichen Menhir (Hünen- oder Hinkelstein) unbestimmter Zeitstellung hat man von seinem alten Standort in den Hof des Monsheimer Schlosses versetzt und am dortigen Wasserbassin eingemauert6.

Plätze der Hinkelsteinleute haben sich in Rheinhessen besonders zahlreich gefunden. Deshalb vermutet man die Entstehung dieser besonderen Kultur auch hier. Darüber hinaus finden sich Hinkelsteinartefakte noch in der Pfalz und einem Teil Baden-Württembergs sowie in Trebur auf der hessischen Rheinseite7.

Die Hinkelsteinleute verhielten sich, verglichen mit benachbarten Kulturgruppen der gleichen Zeit, auffällig anders. In Worms scheinen sie sich mehr als alle vergleichbaren Gruppen der Jungsteinzeit am Rhein orientiert zu haben. Die beiden Gräberfelder von Worms-Rheingewann und Worms-Rheindürkheim, die bis zu den jüngst erfolgten Grabungen im hessischen Trebur die größte Menge an Funden geliefert hatten, sind am Hochufer des Rheins angelegt worden. In den Gräbern mitgegebene mannigfaltige Beile aus Felsgestein (Schuhleistenkeile, Dechsel, Breitkeile) belegen zur Genüge die Kenntnis differenzierter Holzbearbeitung. Boote, Bauten und Brunnen wurden aus Holz gebaut. Jedoch gibt es für den Wormser Raum hierfür keinerlei materielle Belege. Ahlen und Pfrieme aus Knochen dienten zur Bearbeitung von Leder und Stoffen für die Kleidung. Spondylus, die weit verhandelte Muschel, blieb beliebtes Ausgangsmaterial für Schmuck. Hirschgrandeln (paarweise wachsende Eckzähne vom Hirsch) spielten eine große Rolle – welche, wissen wir nicht. Sie waren derart hochgeschätzt, dass sie auch aus Spondylusschalen nachgeahmt und geschnitzt wurden. Frauen und Männer trugen solchen Schmuck. (Bei manchen Geschlechtsbestimmungen von Dr. Carl Koehl stellt sich die Frage, wonach er sie vornahm: nach den Knochenmerkmalen oder weil ihm Muschelschmuck als typisch weiblich galt?). Auch kleine fossile Schnecken aus dem Tertiär des Mainzer Beckens und Süßwassermuscheln fanden als Bestandteile von Halsketten oder Kleiderbesatz Verwendung. Die Kleidung blieb ja nicht erhalten, daher schließt man aus der Fundlage am Hals, auf der Brust oder im Taillenbereich auf unterschiedliche Verwendung des Muschelschmucks (Tafel 1).

Die Wissenschaft der Archäologie bemüht sich, aus den Spuren der Vergangenheit auch die Vorstellungen und Gedanken der vergangenen Kulturen zu erschließen. So fällt auf, dass in einer Welt, in der die Bestattungen als seitlich liegende Hocker üblich waren, die Hinkelsteinleute ihre Toten in gestreckter Rückenlage mit dem Kopf im Südosten, den Füßen im Nordwesten, begruben. Die Werkzeuge scheinen geschlechtsspezifisch verwendet und in die Gräber gelegt worden zu sein: Handwerkszeug zur Holzbearbeitung sowie Feuersteinklingen finden sich bei Männern, Mahl- und Reibsteine als Relikte der Getreideverarbeitung zu Grütze und Mehl bei den Frauen. Es hat den Anschein, als hätten sich die Rollen der Geschlechter in agrarisch bestimmten Gesellschaften bis heute kaum geändert.

Die Frage, ob die Rinderrippen, die im Fleischverband über manchen Toten gelegt waren, als Nahrungsbeigabe zu verstehen sind oder eine uns verborgene Bedeutung hatten, ist derzeit nicht zu beantworten.

Aus den auf die Hinkelsteinleute folgenden spätneolithischen Kulturen existieren mehrfach Gräber- und Einzelfunde im Stadtgebiet von Worms. Sie treten in sicherer Entfernung von den Bachläufen in hochwasserfreiem Gelände auf. Der Rhein scheint keine besondere Rolle bei diesen Besiedlungsvorgängen gespielt zu haben. Vor allem in der Nähe der Pfrimm und des Eisbachs wurden Steinbeile und andere Werkzeuge als Oberflächenfunde aufgesammelt, so in Worms-Weinsheim in der Nähe des Alten Zollhauses. Mehrere neolithische Steinbeile stammen übrigens aus dem heutigen Bereich der Innenstadt. Allerdings zählen sie nicht als Indizien für eine frühe Besiedlung. Sie fanden sich nämlich in römerzeitlichen Straßenaufschüttungen, so zum Beispiel vor der Kirche von St. Paulus. Das Baumaterial hatte man aus Rheinkies gewonnen und offensichtlich dort abgebaut, wo es Reste aus neolithischer Zeit gab.

Von der Vorstellung einer kontinuierlichen Besiedlung im Sinne ununterbrochen aufeinander folgenden Lebens sollte man schon für das Neolithikum Abstand nehmen. Archäologisch betrachtet, liegen immer wieder einmal einige fundfreie Jahrhunderte zwischen den Kulturen.

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