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Aus einer Linie wird eine Mauer

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In der Frühzeit der archäologischen Erforschung von Borbetomagus ging es dem Altmeister Dr. Carl Koehl auch um die Abgrenzung der Wohnbereiche gegen die sie umgebenden Friedhofsareale (in der Römerzeit schließt eines das andere aus, in der Stadt durfte nicht bestattet werden) und um die Frage nach einer Stadtmauer im 2. oder 3. Jahrhundert, wie sie etwa aus Trier bekannt ist. Auf dem oben S. 68 zitierten Plan hatte Koehl mit schwarzer Tinte eine mehrfach korrigierte Linie um den Bereich mit Wohnbebauung gezogen. Es fiel ihm auf, dass auf der Westseite seine Linie mit einem noch erhaltenen Stück eindeutig römischer Mauer übereinstimmte. So war die Frage geboren, ob denn nicht um Borbetomagus eine Stadtmauer gebaut worden sei? Man glaubte auch, durch die Grenzlage der Stadt nach 260 sei eine solche Befestigung nötig geworden, ohne zu bedenken, dass für die Ummauerung auch stadtrechtliche Voraussetzungen galten, die hier wie in Mainz und anders als in Trier nicht erfüllt waren.

Jede Stadt hat ihre unsterblichen Mythen. Ein Mythos in Worms ist die Stadtmauer des 3. Jahrhunderts, die ein Gebiet von unglaublichen 60 ha eingeschlossen hätte. Um es kurz zu machen: Von einer solchen Mauer ist nie etwas gefunden worden, und die Archäologen haben nach ihr genauso akribisch gesucht wie nach Funden aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Wäre der Mythos nicht scheinbar unsterblich72, müsste man nicht darauf eingehen. Sogar die mittelalterliche Abschrift eines oder mehrerer römischen Inschriftensteine, eingemauert in ein mittelalterliches Stadttor, wird dabei zum Zeugnis für die römische Stadtmauer unvorstellbarer Größe herangezogen. Dabei weiß niemand, wie und woher der Stein in die Speyerer Pforte geriet oder wie der Text wirklich lautete, den man so rekonstruiert:

C. Lucius Victor Sevir Civitatis Vangionum/omnibus honoribus functus/Florentius et Victorinus filii/ob amorem patriae et civium/portam omni sumptu suo/exstructam/In honorem domus divinae, oder übersetzt: »Gaius Lucius Victor, sevir (Beamter) der Civitas Vangionum, der die gesamte Ämterlaufbahn durchlaufen hat, (stiftet) mit seinen Söhnen aus Liebe zur Vaterstadt und ihren Bürgern das ganz auf eigene Kosten erbaute Tor. Zu Ehren des vergöttlichten Kaiserhauses.« Es kann sich, wenn richtig abgeschrieben wurde, ebenso um den prächtigen Eingang zum Rathaus, zu den ebenfalls unbekannten Thermen oder sonst einem öffentlichen Gebäude gehandelt haben. Man muss ebenso bedenken, dass repräsentative Tore auch unabhängig von einer Ummauerung errichtet worden sind (wie in Trier die Porta Nigra). Es ist an der Zeit, sich von diesem lange kritiklos gehegten Mythos zu verabschieden. Speyer wie Worms erhielten Mauern erst in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts in Verbindung mit der Sicherung der Rheingrenze unter Kaiser Valentinian I. 73.

Geschichte der Stadt Worms

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