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Der römische Militärstützpunkt

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Vor 20 Jahren entdeckte Verf.25 in den Scherbenkisten des Museums, die während der Nachkriegszeit in den Baugruben der Innenstadt gefüllt worden waren, erstmals eine nennenswerte Anzahl von Fragmenten einer bestimmten Art von Terra Sigillata, die als »Arretina« bezeichnet wird. Platten, Teller und Schälchen sind aus feinem roten Ton gefertigt und tragen einen seidenmatt glänzenden Überzug. Die dünnwandigen Fabrikate weisen sich durch fein profilierte Randabschlüsse aus. Nicht selten haben die Manufakturen (die erst im italischen Arezzo, später in Lyon arbeiteten) einen mittigen Töpferstempel anbringen lassen. Formen und Töpferstempel finden sich etwa im römischen Lager von Haltern an der Lippe wieder, das Rom als einer der vorgeschobenen Posten nach Germanien diente, und zwar zwischen 9 v. Chr. und der wohl einem jeden bekannten Niederlage in der Varusschlacht 9 n. Chr. nördlich des Wiehengebirges bei Kalkriese, durch die Rom in der Folge die Expansion nach Osten aufgab26. Helmut Bernhard wies nun allerdings darauf hin, dass andere feine Keramikwaren aus den Lyoner Töpfereien in Speyer fehlen27, und genauso verhält es sich auch in Worms.

Ist mit den Sigillaten schon der Beweis für die römische Besetzung in dieser Zeit erbracht? Darf man auf ein Militärkastell der gleichen Zeitstellung schließen oder handelte es sich um einen Restposten mittelaugusteischer Sigillaten oder um Altstücke im Gepäck? Wäre die Datierung des Beginns der militärischen Präsenz (mit Kastell und regulärer Truppeneinheit besetzt) noch etwas zu verschieben? Gleichermaßen können Münzen nicht zur Bestätigung eines so frühen Kastells herangezogen werden. Die vergleichsweise geringe Anzahl der in mehr als hundert Jahren in Worms gefundenen Exemplare (etwa 50, davon etliche mit Gegenstempeln des Tiberius, Augustus Nachfolger), sprechen nicht unbedingt für augusteische Soldzahlungen an hier in größerer Anzahl stationierte Soldaten.

Als Alternative ist nicht ausgeschlossen, dass der wegen der genannten Indizien vermutete älteste römische Militärstützpunkt noch keines der später üblichen Hilfstruppenkastelle war. Man könnte an eine Art Polizeiposten denken, eine kleinere Anzahl von Reitern und Soldaten zu Fuß, romanisierte Kelten (also Gallier), vielleicht auch einige angeworbene Germanen, unter Führung eines Vertrauensmannes des Militärkommandos (ein Gallier als Offizier?), zunächst mehr zur Sicherung der Verkehrswege (Straßen wie Wasserläufe) als zum Aufbau einer perfekten Infrastruktur. Einen solchen Posten kann man sich auf einige Jahre auch in Speyer (wo es deutlichere Hinweise als in Worms gibt) und ebenso an anderen Punkten am Rhein vorstellen, etwa in der Gemarkung Osthofen. Von dort stammen Gräberfunde aus dem frühen 1. Jahrhundert n. Chr.

Um die Posten herum bildeten sich unter Aufsicht des Militärs alsbald gewisse zivile Strukturen. Sie stellten für die Soldaten bereit, was über die von der Zentrale gewährte Grundversorgung hinaus erwünscht war oder zu ihrer Unterhaltung diente. Bald bildete sich eine Art Dorf, ein Kastellvicus mit regelmäßigen Parzellen zu Seiten der Straße. Und wo gelebt wurde, da starb man auch, also mussten außerhalb der Wohnbereiche Gräberfelder angelegt werden. Sebastian Sommer hatte übrigens bei seiner Gesamtuntersuchung zu römischen Kastelldörfern und Bauernhöfen in Obergermanien und Rätien nirgendwo Reste irgendeiner zeitlich knapp davor liegenden Bevölkerung feststellen können28.

Man sollte sich die Ausdehnung des römischen Einflussgebietes an und über den Rhein nicht zwingend als eine für Jahrzehnte vorgeplante bzw. festgelegte, flächendeckende Maßnahme denken. Im Rückblick mag es sich so darstellen. Vermutlich hat man sich in Rom nicht vor dem Desaster der als Varusschlacht bekannten Niederlage von 9 n. Chr. entschlossen, den Rhein als Grenzlinie zu sichern. Erst um 14 n. Chr. wurde in Straßburg eine Legion stationiert. »Der systematische Ausbau der Rhein- und Donaulinie erfolgte schließlich unter Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.)«, formulierte Egon Schallmayer knapp29.

Der älteste erhaltene Grabstein in Worms wurde schon 1666 an der Martinspforte gefunden. Er war für den Reitersoldaten Argiotalus, Sohn des Smertulitanus gesetzt, einen Mann aus der Gegend von Nantes und Angehörigen einer gallischen Hilfstruppeneinheit (der Ala Indiana Gallorum, eine etwa 500 Mann starke Kavallerieeinheit). Aus stilistischen Gründen und anhand von Vergleichsbeispielen wird er von Walburg Boppert30 in tiberische Zeit datiert (Kaiser Tiberius regierte von 14 bis 38 n. Chr.).

Am Truppenstandort Worms kann man kein »Hausregiment« finden. Die hier entdeckten Grabsteine der Soldaten, die im aktiven Dienst starben oder fielen (die Sterbeursache kommt im Formular nicht vor), nennen eine Reihe von Alen (berittene Einheiten à 500 Mann) und Kohorten (eine cohors umfasste in der Regel ebenfalls 500 Mann, manche auch 1000). Sie unterstanden dem Militärkommandanten in Mainz. Die Soldatengrabsteine sind bislang unsere einzigen Zeugnisse für die Anwesenheit mehrerer Einheiten im 1. Jahrhundert n. Chr. Außer der genannten Ala Indiana, die ursprünglich aus Galliern rekrutiert war, sind in Worms bezeugt: Ala Agrippiana, Ala Sebosiana, Ala Hispanorum (anfangs aus Spaniern bestehend); an Infanterietruppen Cohors I Thracum (zunächst aus Thrakern), Cohors VII Breucorum (rekrutiert etwa im heutigen Ungarn), Cohors Raetorum, Cohors Vindelicorum (Raeter und Vindeliker bewohnten das Voralpengebiet)31. In welcher Reihenfolge die Truppen stationiert waren, ob als ganze Einheit, in Abteilungen oder gemischt, ist unbekannt. Sie sind sämtlich auch in Mainz bezeugt, wo neben dem Zweilegionenlager (ab 13 v. Chr.) in Weisenau auch ein Hilfstruppenkastell nachgewiesen ist.

Der bekannteste, größte und schönste römische Grabstein gehört dem Feldzeichenträger Quintus Carminius Ingenuus32 (Abb. 5). Er war Reiter und Feldzeichenträger, signifer, der Ala Hispanorum und starb nach 25 Dienstjahren, in einem Alter zwischen 40 und 45 Jahren. Bei den Reitergrabsteinen des 1. Jahrhunderts n. Chr. wird der Verstorbene in Aktion dargestellt, in voller Rüstung auf seinem Pferd. Unser Mann trägt über der Tunika einen kurzen geschlitzten Kettenpanzer zu engen Hosen. Am Gürtel hängt das Schwert, auf dem Rücken der Schild. Seine Rechte zielt mit der Lanze auf einen schon am Boden zusammengebrochenen Gegner, ein zweiter Germane liegt tot vor den Hinterläufen des reich gezäumten Pferdes. Das Signum neben dem Kopf des Reiters sieht aus wie eine Lanze mit Querstange und Anhängern. Der Stein entstand gegen 30/50 n. Chr.

Dieser Stein wurde wie der oben genannte des Argiotalus 1666 beim Bau der Befestigungsanlagen an der Martinspforte gefunden. »Als im Jahre Christi 1666 bei dem Martinsthor der Graben vor dem Wall zurecht gemacht wurde (gelegentlich der Anlage starker Ravelins) sind ziemlich viel Denkmäler und Grabstätten, irdene Gefäße, so teils leer, teils mit versengten Knochen und Asche angefüllt gewesen, ausgegraben worden …«33. Vor dem Martinstor scheint demnach der Hauptfriedhof des 1. Jahrhunderts n. Chr. gelegen zu haben, und leider sind die wohl ältesten Brandgräber für die Forschung verloren. Andere Soldatengrabsteine standen im südlichen Gräberfeldbereich (bei Mariamünster). Soweit man es beurteilen kann, gab es keine Trennung zwischen Gräbern der Soldaten und der Zivilisten. Die ältesten heute noch bekannten Gräber gehören in die Jahre um 20/30 n. Chr. (Tafel 2).


Tafel 1a: Späte Hinkelsteinkultur: Grab 21 Worms-Rheindürkheim


Tafel 1b: Importe aus Etrurien. Schnabelkannen des 5. Jhs. v. Chr. v.l.n.r.: Worms-Herrnsheim, Rheinhessen, Slg. Heyl


Tafel 2a: Beigaben aus Grab 26 von Worms-Maria Münster, frühes 1. Jh. n. Chr.


Tafel 2b: Beigaben aus einem Sarkophag in der Schillerstraße Gläser der 1. Hälfte des 4. Jhs. n. Chr.


Tafel 3a: Terra Sigillata – Becher aus einem Frauengrab in Worms-Weinsheim, 3. Jh. n. Chr.


Tafel 3b: Wormser Gesichtskrüge, frühes 4. Jh. n. Chr.


Tafel 3c: Merowingischer Triens, 6./7. Jh. n. Chr. nach einem Solidus Justinians I.


Tafel 3d: Goldscheibenfibel aus dem fränkischen Gräberfeld von Worms-Abenheim, 7. Jh. n. Chr.


Tafel 4: Zeitgenössische Zeichnung des 1880 ausgegrabenen fränkischen Grabes 8 in Worms, Schillerstraße


Abb. 5: Grabstein des Feldzeichenträgers Q. Carminius Ingenuus (Museum der Stadt Worms)

Wo könnte denn das Kastell in Worms gelegen haben? Wenn es im inneren Stadtgebiet zu suchen ist, dann sicher im Areal zwischen den Friedhofsbereichen im Norden und im Süden, zwischen der Judengasse und dem Gebiet von Mariamünster. Auf der ersten hochwasserfreien Terrasse zwischen den Linien Kämmererstraße – Speyerer Straße und Klosterstraße – Fischmarkt – Bauhofgasse wurden die augusteischen Sigillaten und auch die meisten anderen Funde aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. eingesammelt. Näher ist das Kastell derzeit leider nicht einzugrenzen. Jedenfalls kommt der Domhügel, der etwas oberhalb der genannten Terrasse liegt, nicht in Betracht.

Bei römischen Truppenstandorten ist es üblich, dass außer dem ein- oder mehrperiodigen Standlager in der Umgebung weitere, oft kurzfristig bestehende oder zu Übungszwecken angelegte Kastelle gefunden werden. In Worms-Horchheim schnitt man 1976 die Ecke eines solchen Lagers an, mehrere Gräben wurden erkannt. Luftaufnahmen von einem weiteren Truppenlager im Norden der Stadt lagern im Landesamt für Denkmalpflege. Zeitstellung und Funktion sind völlig unbekannt.

Römisches Militär blieb bis in die 80er Jahre des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Worms stationiert, dann wurden die Truppen abgezogen. Das Reichsgebiet hatte sich ostwärts über den Rhein hinaus ausgedehnt, der Ort war keine Grenzstadt mehr. Wie es zur Errichtung des Odenwaldlimes kam – wieder zogen sich über Jahrzehnte Maßnahmen im rechtsrheinischen Gebiet hin, die in dieser Anlage gipfelten – ist andernorts ausführlich beschrieben worden. Als lineare Grenzsicherung wurde der Limes zwischen 80 und 90 n. Chr. ausgebaut. Um das Jahr 85 wurden die linksrheinischen Heeresbezirke aufgelöst und das Gebiet als die Provinzen Germania Inferior und Germania Superior unter ziviler Verwaltung eines Statthalters eingerichtet. (Kaiser Domitian hätte ihnen richtiger einen Namen mit »Gallia …« gegeben). Die Grenze zwischen den beiden Provinzen verlief etwa am Vinxtbach südlich von Bonn. Germania Superior (oder Obergermanien) umfasste im Süden Teile der heutigen Schweiz, vom Genfer See bis Langres, den Ostteil der Vogesen und das Elsass, die Stammesgebiete der Triboker um Straßburg, der Nemeter um Speyer, der Vangionen um Worms, das Stadtgebiet von Mainz und die Bereiche östlich des Rheins bis zum Odenwaldlimes.

Der Abzug des Militärs muss für das damalige zivile Gemeinwesen, das sich in räumlicher Nähe und in wirtschaftlicher Abhängigkeit des Kastells entwickelt hatte, ein Rückschlag gewesen sein, vergleichbar mit dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte und der Schließung von Bundeswehrstandorten in Deutschland, mit dem Unterschied, dass es keine Überbrückungsmaßnahmen oder Kompensationsleistungen gab. Daseinsvorsorge hatte jeder für sich selbst zu treffen. Archäologisch fassbar ist das Phänomen durch den Rückgang der Importe von Terra Sigillata in der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts. Bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts hatte sich die Stadt endlich wieder von dem Rückschlag erholt.

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