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144Mit den Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG weist Art. 8 Abs. 1 GG regelmäßig keine tatbestandlichen Überschneidungen auf.426 Die Anwesenheit von Journalisten auf Versammlungen wird als Teil ihrer Informationsbeschaffung von der jeweiligen Medienfreiheit geschützt. Als bloße Beobachter des Geschehens versammeln sich Journalisten aber nicht i. S. v. Art. 8 Abs. 1 GG mit den anderen Teilnehmern. Anders können Fälle zu beurteilen sein, in denen Journalisten – mit einem womöglich eigenwilligen Verständnis berufsethischer Standards – Informationsbeschaffung und Versammlungsteilnahme miteinander verbinden. Unter diesen Umständen können Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 8 Abs. 1 GG hinsichtlich ihrer Anwesenheit in Idealkonkurrenz stehen.

145Künstlerische Aktivitäten während einer Versammlung wie z. B. politisches Theater werden als solche von der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG erfasst. Für die anderen Teilnehmer bzw. anderen Aktivitäten verbleibt es beim Schutz durch Art. 8 Abs. 1 GG. Anders verhält es sich, wenn die Versammlung insgesamt ein Kunstwerk darstellt. In diesem Fall wird Art. 5 Abs. 3 GG als lex specialis gegenüber Art. 8 Abs. 1 GG angesehen.427 Tatsächlich spricht jedoch nichts gegen die Annahme von Idealkonkurrenz zwischen beiden Grundrechten. So oder so wird die Verfassungsmäßigkeit beschränkender Maßnahmen freilich regelmäßig von ihrer Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 3 GG abhängen, da die vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit den stärkeren Schutz gewährt.

146Zur Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG besteht regelmäßig kein Konkurrenzverhältnis. Die Vorschrift steht mit der Versammlungsfreiheit grundsätzlich in „tatbestandlicher Exklusivität“:428 Art. 9 Abs. 1 GG schützt längerfristig angelegte und in sich organisierte Zusammenschlüsse, Art. 8 Abs. 1 GG hingegen kurzfristiges, u. U. auch spontanes Verhalten.429 Sonderfälle wie mehrwöchige (oder gar mehrjährige) Mahnwachen und Protestcamps mit einer existenten organisierten Willensbildung stellen ein Abgrenzungsproblem dar, begründen aber kein Konkurrenzverhältnis. Anders können Situationen zu beurteilen sein, in denen eine von Art. 8 Abs. 1 GG erfasste Versammlung eine vereinsspezifische Tätigkeit darstellt, die konstituierend für die Existenz der Vereinigung ist. In derartigen Fällen – zu denen etwa die Mitgliederversammlung eines Vereins zählt – kann zugleich Art. 9 Abs. 1 GG einschlägig sein.430 Davon zu unterscheiden ist die Organisation und Leitung einer Versammlung gem. Art. 8 Abs. 1 GG durch eine Vereinigung i. S. v. Art. 9 Abs. 1 GG, die auch durch natürliche Personen vorgenommen werden könnte: Sie wird nicht durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützt, sondern durch Art. 8 Abs. 1 GG,431 wenn bzw. soweit sich die Vereinigung über Art. 19 Abs. 3 GG auf dieses Grundrecht berufen kann.

147Auf das Verhältnis zum Recht der Freizügigkeit nach Art. 11 Abs. 1 GG kann es insbesondere in Fällen ankommen, in denen (angehende) Versammlungsteilnehmer durch den Staat an der An- oder Abreise gehindert werden. Sofern die von ihnen intendierte Ortsveränderung ein solches Gewicht hat, dass sie (zumindest bei isolierter Betrachtung) den Schutz aus Art. 11 Abs. 1 GG auslöst (und nicht nur den aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG),432 stellt sich ebenso wie sonst mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG die Frage, ob die Versammlungsfreiheit als lex specialis das Grundrecht auf Freizügigkeit verdrängt433 oder ob beide Grundrechte in Idealkonkurrenz zueinander stehen. Dass eine Verdrängung grundrechtsdogmatisch kaum zu begründen ist, spricht für die letztgenannte Lösung.434

II.Der landesverfassungsrechtliche Schutz der Versammlungsfreiheit

1.Die Versammlungsfreiheit als Landesgrundrecht

148In nahezu allen Ländern ist die Versammlungsfreiheit nicht allein durch Art. 8 Abs. 1 GG verbürgt. Abgesehen von der HmbVerf.435 enthalten alle Landesverfassungen ein entsprechendes eigenes Grundrecht436 oder sie inkorporieren bzw. rezipieren Art. 8 Abs. 1 GG.437

149In allen diesen Fällen gilt die Versammlungsfreiheit auf Grund einer bewussten Entscheidung des Landesverfassungsgebers als autochthones Landesverfassungsrecht.438 Ihre Reichweite, die durch ihren Schutzbereich und durch ihre Beschränkungsmöglichkeiten bestimmt wird, muss nicht mit Art. 8 Abs. 1 GG übereinstimmen.439 Zwar spricht Art. 142 GG davon, dass Bestimmungen der Landesverfassungen – ungeachtet der Vorschrift des Art. 31 GG – auch insoweit in Kraft bleiben, als sie in Übereinstimmung mit den Art. 1 bis 18 des GG Grundrechte gewährleisten. Voraussetzung für die Geltung von Landesgrundrechten ist jedoch tatsächlich allein ihre Widerspruchsfreiheit zum Bundesrecht, die neben inhaltlich parallelen Landesgrundrechten auch weitere oder engere Landesgrundrechte (bzw. grundrechtsgleiche Rechte) aufweisen können.440 Die Möglichkeit, dass der landesgrundrechtlich verbürgte Schutz von dem des Grundgesetzes abweicht, besteht nicht nur in den Ländern, deren Verfassungen originäre Verbürgungen enthalten, sondern auch im Fall der Rezeption des Art. 8 GG. Zwar orientiert sich die Auslegung rezipierter Grundrechte erfahrungsgemäß stark an der Interpretation des Rezeptionsobjekts durch das BVerfG. Zwingend ist das freilich nicht.441 Rezipiert wird das (Bundes-)Grundrecht als Akt der Rechtssetzung, nicht die dazu entwickelte bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung.442

2.Die Bedeutung der landesverfassungsrechtlichen Verbürgungen

150Materiell-rechtlich binden die Verbürgungen der Landesverfassungen die Staatsgewalt des jeweiligen Landes, also den Gesetzgeber, die Gerichte, die Polizei und andere für das Versammlungswesen zuständige Behörden. Auf den Inhalt der zu erlassenden Normen bzw. der zu treffenden Entscheidungen kann sich das angesichts der ohnehin bestehenden Bindung auch der Landesstaatsgewalt an Art. 8 Abs. 1 GG allenfalls in Fällen auswirken, in denen die Landesverfassung mehr Schutz gewährt als das Grundgesetz.

151Praktisch relevant wird diese weitergehende Bindung aber nur, wenn oder soweit im betreffenden Land das VersG des Bundes durch ein Landesgesetz ersetzt wurde oder werden soll. Jedenfalls nach Auffassung des BVerfG sind Landesbehörden und -gerichte bei der Anwendung von Bundesrecht an die Grundrechte der eigenen Landesverfassung nur soweit gebunden, als diese inhaltsgleich mit Grundrechten des Grundgesetzes sind, also dasselbe Maß an Schutz gewähren.443 Ein weitergehender landesgrundrechtlicher Schutz kann sich daher inhaltlich nur dort auswirken, wo es um den Erlass oder die Anwendung von Versammlungsrecht des jeweiligen Landes geht. Wenn beispielsweise Art. 23 Abs. 2 BbgVerf.444 die Einschränkung, die Auflösung und das Verbot von Versammlungen und Demonstrationen unter freiem Himmel nur bei unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit zulässt, hindert dies den brandenburgischen Landesgesetzgeber am Erlass eines eigenen Versammlungsgesetzes, das Beschränkungen bereits bei unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Ordnung zulässt, ohne dass die öffentliche Sicherheit gefährdet sein muss. Bei Anwendung des VersG hingegen darf die brandenburgische Landespolizei nach der Konzeption des BVerfG trotz Art. 23 Abs. 2 BbgVerf. von der in § 15 VersG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen, die Versammlung wegen einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung von Auflagen abhängig zu machen.

152Jedenfalls steht das Landesgrundrecht dem jeweiligen Landesverfassungsgericht in geeigneten Verfahren als Prüfungsmaßstab zur Verfügung. Von praktischer Bedeutung ist das insbesondere in den Ländern, deren Verfassungsprozessrecht eine Landesverfassungsbeschwerde oder vergleichbare Verfahren445 zum Landesverfassungsgericht zulässt. Hier kann sich der Bürger gegen eine (tatsächliche oder vermeintliche) Verletzung seiner Versammlungsfreiheit durch die Staatsgewalt des Landes nicht nur per Verfassungsbeschwerde zum BVerfG nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, sondern alternativ oder ggf. auch kumulativ durch eine Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht zur Wehr setzen.446

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