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3.Versammlungsgesetze und sonstige Regelungen
Оглавление198a) Normen des besonderen Polizeirechts. Prinzipiell wie das Verhältnis zwischen Versammlungsgesetzen und allgemeinem Polizeirecht527 ist auch das Verhältnis zwischen dem Versammlungsgesetzen und spezialpolizeilichen Normen. Durch die Anwendung von baupolizeilichen, feuerpolizeilichen oder gesundheitspolizeilichen Vorschriften darf in die Versammlungsfreiheit eingegriffen werden, soweit die hierauf gestützten Maßnahmen sich nicht gegen die Versammlung als solche richten.528 Die ins öffentliche Baurecht gehörende Versammlungsstättenverordnung des jeweiligen Bundeslandes (bzw. in NRW: Sonderbauverordnung) kann von Belang sein.529
199Eine Sonderstellung nimmt das Infektionsschutzrecht ein, das im Zusammenhang der Corona-Krise Bedeutung für Versammlungen gewonnen hat.530 § 28 Abs. 1 S. 4 und § 32 S. 3 IfSG erlauben ausdrücklich die Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Das Versammlungsrecht ist auch nicht per se spezieller als das Infektionsschutzrecht. Daher entfalten die Versammlungsgesetze keine Sperrwirkung gegenüber infektionsschutzrechtlichen Befugnisnormen.531 Sogar auf das IfSG gestützte Versammlungsverbote sind möglich532, doch haben Verwaltungs- und Gerichtspraxis Versammlungsverbote auch in der Corona-Krise z. T. über § 15 VersG533 bzw. die entsprechenden Vorschriften der Länder-Versammlungsgesetze (z. B. Art. 15 BayVersG, § 8 NVersG, § 15 SächsVersG534) begründet, teilweise i. V. m. infektionsschutzrechtlichen Vorschriften.
200b) Straßen- und Straßenverkehrsrecht. Das Straßenrecht535 vermag Einschränkungen der Versammlungsfreiheit grundsätzlich nicht zu rechtfertigen.536 Versammlungen stellen straßenrechtlich i. d. R. entweder Gemeingebrauch dar537 oder lassen sich in die üblichen Kategorien des Gemeingebrauchs oder der Sondernutzung gar nicht einordnen.538 Wird aber eine öffentliche Fläche in einer Weise in Anspruch genommen, die nicht ihrer Widmung entspricht (z. B. eine Autobahn durch Fußgänger oder Radfahrer) oder steht die Nutzung nicht in funktionalem Zusammenhang mit der Versammlung, so handelt es sich um eine nicht ohne weiteres zulässige Sondernutzung.539 Eine eigene Sondernutzungserlaubnis für Versammlungen ist nicht erforderlich.540 Über die Nutzungsfrage wird vielmehr im Rahmen einer etwaigen beschränkenden Verfügung („Auflage“) mit entschieden (Konzentrationswirkung).541 Straßenrechtliche Reinigungspflichten bleiben indes anwendbar, soweit deren Voraussetzungen (insbes. hinsichtlich der unmittelbaren Verursachung) erfüllt sind542; dabei trifft die Kostenpflicht nicht den Versammlungsleiter, da dieser allein für die innere Ordnung einer Versammlung zuständig ist.543
201Vorschriften des Straßenverkehrsrechts kommen im Schutzbereich des Art. 8 GG nicht zur Anwendung, soweit ein Einschreiten über das Versammlungsrecht möglich ist.544 Erlaubnispflichten nach § 29 Abs. 2 StVO bestehen nicht.545 Auch ist für den Betrieb von Lautsprechern im Rahmen einer Versammlung keine Ausnahmegenehmigung gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 9 StVO erforderlich.546 Straßenverkehrsrechtliche Vorgaben können allerdings zu beschränkenden Verfügungen („Auflagen“) (gemäß § 15 VersG, Art. 15 BayVersG, § 8 NVersG, § 15 SächsVersG, § 13 VersFG SH bzw. § 13 VersammlG LSA) führen.547
202c) Sonn- und Feiertagsgesetze. Von Belang für Maßnahmen gegen Versammlungen können die Feiertagsgesetze548 sein, die in einigen Bundesländern für bestimmte Zeiten Versammlungen verbieten. In der Literatur werden gegen derartige Regelungen wegen einseitig zugunsten der Religionsfreiheit vorgenommener Abwägung und starrer Zeitgrenzen verfassungsrechtliche Bedenken erhoben.549 In der Rechtsprechung werden z. T. bei Verstößen gegen Feiertagsgesetze Versammlungsverbote für unzulässig gehalten, soweit der Zweck des Feiertagsschutzes durch Beschränkungen verwirklicht werden kann.550 Das BVerfG hat die materielle Verfassungsmäßigkeit von Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durch Feiertagsgesetze der Länder grundsätzlich bejaht, allerdings eine Abwägung und vom Gesetzgeber zugunsten von Versammlungen vorzusehende Ausnahmeregelungen verlangt.551 Von Bedeutung ist die Spezialität der Feiertagsgesetze gegenüber dem Versammlungsrecht. Die strengeren unter den Feiertagsgesetzen sehen vor, dass öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge, die nicht mit dem Gottesdienst zusammenhängen, während der Zeit von 6 bis 11 Uhr (§ 5 Abs. 1 Feiertagsgesetz NRW) bzw. 7 bis 11 Uhr (§ 5 Abs. 1 Niedersächisches Feiertagsgesetz) verboten sind552; § 7 Abs. 2 Feiertagsgesetz Baden-Württemberg verbietet Versammlungen „während des Hauptgottesdienstes“ nur soweit sie geeignet sind, den Gottesdienst unmittelbar zu stören.553 Wo es in den Bundesländern solche Spezialregelungen gibt, schließen sie einen Rückgriff auf § 15 VersG (bzw. die entsprechende Regelung im Landes-Versammlungsgesetz) insoweit aus, als es um den Schutz des Sonntags bzw. anderer religiöser Feiertage vor öffentlichen Versammlungen geht. Der Schutz beschränkt sich meist auf die Freihaltung des üblicherweise für Gottesdienste vorgesehenen Zeitraums. Ein allgemeiner Schutz von Feiertagen vor Versammlungen bestimmten Typs ist i. d. R. nicht vorgesehen.554 Außerhalb des im jeweiligen Feiertagsgesetz vorgesehenen Zeitraums kann eine Versammlung also nicht mit der Begründung des Feiertagsschutzes verboten werden.555
203In der Literatur wird gelegentlich angenommen, eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit für Veranstaltungen unter freiem Himmel könne nach Art. 8 Abs. 2 GG nur aus sicherheits- und ordnungspolizeilichen Gründen erfolgen556. Damit wäre etwa die Rechtfertigung eines durch ein Feiertagsgesetz angeordneten Versammlungsverbotes über Art. 8 Abs. 2 GG ausgeschlossen557. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte von Art. 8 Abs. 2 GG sprechen indes für eine derartige Deutung.558
204Zu bedenken ist bei alledem, dass als Protest gegen den Feiertagsschutz deklarierte Tanzveranstaltungen nicht unbedingt als Versammlungen im Sinne des (vom Bundesversammlungsgericht vertretenen und in einigen Länder-Versammlungsgesetzen verankerten) engen Versammlungsbegriffs einzustufen sind.559