Читать книгу Insolvenzrecht - Irmgard Gleußner - Страница 115
a) Haftung wegen Insolvenzverschleppung aa) Anspruchsberechtigte Personen
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Im Fall der Insolvenzverschleppung (§ 15a InsO) haftet der Geschäftsführer auch zivilrechtlich. Er muss – aus eigener Tasche – den Gläubigern den Schaden ersetzen, der dadurch entstanden ist, dass der Eröffnungsantrag zu spät gestellt wurde (§§ 823 Abs. 2 BGB, 15a Abs. 1 InsO). Insolvente Gesellschaften sollen dadurch vom Geschäftsverkehr ferngehalten werden, um nicht noch mehr Gläubiger in den Strudel hineinzuziehen. Die Haftung wegen Insolvenzverschleppung setzt Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraus (§§ 823 Abs. 2 BGB, 15a Abs. 4, 5 InsO). Nach Ansicht des BGH genügt die Erkennbarkeit der Insolvenzreife, wobei dies vermutet wird.[91] Bestätigt ein externer Sachverständiger (z.B. Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) nach ausführlicher Prüfung der Lage das Nichtvorliegen eines Eröffnungsgrunds und hat der Geschäftsführer das Gutachten auf Plausibilität überprüft, trifft den Geschäftsführer immerhin kein Verschulden.[92] Bei Falschberatung zur Insolvenzreife ist der Berater gegenüber dem Geschäftsführer regresspflichtig.[93]
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Ist der Tatbestand der Insolvenzverschleppung schuldhaft erfüllt, unterscheidet der BGH aufgrund des Schutzzwecks zwischen Alt- und Neugläubigern.
Altgläubiger sind diejenigen, die bereits Forderungen vor Eintritt der Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) begründet hatten.
Dazu gehört beispielsweise auch der Vermieter, der vor der Insolvenzreife mit dem Schuldner einen Mietvertrag geschlossen hat.[94]
Neugläubiger sind diejenigen, die in der Verschleppungsphase erstmals in Rechtsbeziehungen zum Schuldner getreten sind (Erstkontakt).
Beispiel
Die MyTV GmbH ist seit Anfang November zahlungsunfähig. Dennoch lässt Simon als Geschäftsführer den Betrieb weiterlaufen. Lieferantin Lisa, die seit Anfang 2012 in Geschäftsbeziehungen mit der GmbH steht, liefert am 20.12.2014 noch sieben Kartons Batterien für 1000 € (= Altgläubigerin). Der Fachhändler Ferdinand, der gerade seinen neuen Laden in Nürnberg eröffnet hat und noch nie in Geschäftskontakt zur MyTV GmbH stand, kauft am 28.12.2014 sieben Fernsehgeräte für 14 000 € und bezahlt diese sogleich (= Neugläubiger), weil er von der MyTV GmbH mit Rabatten umgarnt wurde.
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Der Schaden der Altgläubiger besteht darin, dass sie aufgrund der zu späten Antragstellung eine geringere Quote auf ihre Forderungen erhalten (Quotenschaden).[95] Beispiel: Wäre der Antrag rechtzeitig Mitte November 2014 (Quote wäre 5 %) gestellt worden, wäre das Unternehmen mehr wert gewesen als zum Zeitpunkt der tatsächlichen (zu späten) Antragstellung am 15.1.2015 (Quote ist 3,5 %). Geschädigt sind die Insolvenzgläubiger, nicht der Schuldner! Dennoch ist allein der Verwalter berechtigt, den Quotenschaden (Differenzschaden) während des laufenden Insolvenzverfahrens für die Altgläubiger geltend zu machen (§ 92 InsO; näher Rn. 325 f.).[96]
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Die Neugläubiger dagegen haben einen Anspruch auf Ausgleich des Schadens, der ihnen dadurch entstanden ist, dass sie in (neue) Rechtsbeziehungen zu der insolvenzreifen Gesellschaft getreten sind. Ersetzt wird der Vertrauensschaden (negatives Interesse),[97] da sie ohne die Verschleppung gar nicht erst Vertragspartner des Schuldners geworden wären. Zu ersetzen sind auch Rechtsverfolgungskosten. Die Neugläubiger müssen den Geschäftsführer direkt verklagen. Die Verjährung richtet sich nach §§ 195, 199 BGB (drei Jahre), nicht nach § 43 Abs. 4 GmbHG (fünf Jahre).[98]