Читать книгу Insolvenzrecht - Irmgard Gleußner - Страница 97
a) Alte Rechtslage
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Bis zur Finanzmarktkrise 2008 musste ein Unternehmen nach § 19 InsO a.F. umfangreiche Rechenoperationen vornehmen, um zu wissen, ob es überschuldet ist. Der Blick in die Handelsbilanz half nicht viel weiter. Erforderlich war eine eigenständige Überschuldungsbilanz (Überschuldungsstatus),[34] der das wahre Vermögen des Unternehmens (Aufdeckung der stillen Reserven) aufzeigte. Überschuldung lag vor, wenn die Passiva (Verbindlichkeiten) höher waren als die Aktiva (Vermögen). In die Aktiva durften immerhin auch immaterielle Vermögensgegenstände (z.B. Patente, Firmenname und Goodwill) aufgenommen werden. Umstritten war, zu welchem Wert das Anlage- und Umlaufvermögen angesetzt werden durfte. Grundsätzlich mussten die Vermögensgegenstände (Bürostühle, Computer, Autos, Grundstücke) zu Liquidationswerten angesetzt werden, d.h. es musste der Preis genommen werden, der bei einem Notverkauf der Sachen zu erzielen war. Ergab nun die Rechnung, dass die Passiva höher waren als die Aktiva, musste als zweiter Schritt eine Fortführungsprognose erstellt werden (sog. zweistufiger Überschuldungsbegriff). War diese negativ, war das Unternehmen überschuldet. War die Fortführungsprognose positiv, durften die Aktiva auf Grundlage der höheren going-concern-Werte (= Fortführungswerte) berechnet werden. Die positive Fortführungsprognose musste allerdings durch einen „neutralen Dritten“ (Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater) erstellt werden. Erforderlich war ein Gutachten, das die Sanierungsfähigkeit bei Einleitung bestimmter Maßnahmen (neue Produkte, Änderung der Laufzeit von Krediten, Stundungen, Forderungsverzichte der Banken etc.) bescheinigte. Damit konnten die Aktiva „aufgepumpt“ werden. Die Passiva wiederum konnten durch Rangrücktritte (Nachrangvereinbarungen)[35] oder Forderungsverzichte „heruntergedrückt“ werden. Waren die Passiva trotz der ermittelten Fortführungswerte höher als die Aktiva, stand definitiv die Überschuldung fest. Die positive Fortführungsprognose bewahrte also nicht zwangsläufig vor einem Insolvenzverfahren.[36]
2008 kam die Finanzmarktkrise. Bei manchen Banken half auch kein „Hochrechnen der Aktiva“ mehr, um der Überschuldung zu entkommen. So waren die Wertpapiere von manchen Emittenten, wie z.B. Lehmann Brothers, auch bei der Annahme von going-concern-Werten keinen Cent mehr wert.