Читать книгу Insolvenzrecht - Irmgard Gleußner - Страница 98
b) Neue Rechtslage
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Im Jahr 2008 wurde der Überschuldungsbegriff wegen der Finanzmarktkrise geändert. Nach dem neuen Wortlaut des § 19 Abs. 2 S. 1 InsO ist ein Unternehmen überschuldet, wenn „das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“ Folglich ist stets als erster Schritt zu prüfen, ob eine positive Fortführungsprognose vorliegt.[37] Die Fortführung des Unternehmens muss „überwiegend wahrscheinlich“ sein. Wie man das herausbekommt, ist keineswegs geklärt. Ein Problem dabei ist, dass sich verschiedene Berufsgruppen mit diesem Thema beschäftigen und damit ihr Geld verdienen (Insolvenzverwalter, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater). Nach Meinung der Wirtschaftsprüfer ist die Fortführungsprognose mit der handelsrechtlichen Fortbestehensprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB identisch. Die Juristen bevorzugen das Wort „Fortführungsprognose“.[38] In jedem Fall muss ein aussagekräftiges Unternehmenskonzept vorliegen, das auch den Fortführungswillen der Gesellschafter und ihrer Organe erkennen lässt.[39] Es muss Maßnahmen zur Überwindung der Krise nennen (Sanierungskonzept) und aufzeigen, welche Gestalt das Unternehmen nach der erfolgreichen Sanierung haben wird.[40] Zudem muss auf Grundlage dieses Unternehmenskonzepts eine Finanzplanung vorgelegt werden, aus der sich plausibel ergibt, dass das Unternehmen seine Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum aufrechterhalten bzw. wiedererlangen wird.[41] Uneinigkeit besteht, wie lange man in die Zukunft blicken soll, um die Finanzkraft zu messen. Überwiegend wird ein Prognosezeitraum von ein bis zwei Jahren angesetzt.[42] Im Ergebnis ist der derzeitige Tatbestand der Überschuldung (Blick in die Zukunft hinsichtlich der Überlebensfähigkeit) kaum von der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu unterscheiden.[43]
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Liegt keine positive Fortführungsprognose vor, kommt nun der zweite Schritt. Im Fall einer negativen Fortführungsprognose muss jetzt gerechnet werden. Auf der Aktivseite müssen Liquidationswerte angesetzt werden.[44] Überwiegen die Passiva, liegt definitiv Überschuldung vor. Die rechnerische Überschuldung wird bei fehlender Fortführungsprognose der Regelfall sein.[45] Die Passiva können strategisch minimiert werden. So können die Gläubiger einen Verzicht (§ 397 BGB) erklären (macht niemand gerne) oder für ihre Forderungen einen Rangrücktritt nach § 39 Abs. 2 InsO vereinbaren. Liegt ein derartiger qualifizierter Rangrücktritt vor, müssen die Forderungen nicht im Überschuldungsstatus passiviert werden. Seit MoMiG 2008[46] ist durch § 19 Abs. 2 S. 2 InsO ausdrücklich klargestellt, dass ein (qualifizierter) Rangrücktritt hinter die Forderungen des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO genügt.[47] Die Einreihung erfolgt in den Rang des § 39 Abs. 2 InsO. Ein qualifizierter Rangrücktritt kann etwa lauten:[48] „Die Gläubigerin tritt mit ihrem Anspruch auf Rückzahlung des Nominalbetrags dergestalt im Rang hinter die Forderungen aller bestehenden und künftigen Gläubiger der Schuldnerin zurück, dass sie erst nach Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger und, soweit ein Liquidationsüberschuss oder ein die sonstigen Verbindlichkeiten übersteigendes Vermögen der Gesellschaft hierfür zur Verfügung steht, nur zugleich mit, im Rang jedoch vor den Einlagenrückgewähransprüchen der Gesellschafter Erfüllung dieser Ansprüche verlangen kann. Der Nachrang gilt auch im Insolvenzverfahren. Der Rangrücktritt gilt nur, solange und soweit durch eine teilweise oder vollständige Befriedigung des im Rang zurückgetretenen Anspruchs der Gläubigerin ein Überschuldung oder eine Zahlungsunfähigkeit im insolvenzrechtlichen Sinne der Schuldnerin entsteht oder zu entstehen droht.“ Liegt ein solcher qualifizierter Rangrücktritt vor, muss diese Forderung nicht zu den Passiva gezählt werden. Erfolgt bei Insolvenzreife eine Rückzahlung entgegen der Rangrücktrittsvereinbarung, kann die Auszahlung nach § 812 BGB zurückgefordert werden.[49] Helfen alle Maßnahmen der „Passiva-Verkleinerung“ nicht weiter, ist die GmbH überschuldet und muss den Gang in die Insolvenz antreten.
Hinweis
Der neue Überschuldungsbegriff, der zweimal entfristet wurde und nun dauerhaft gilt, sollte Ihnen unbedingt geläufig sein. Als Eröffnungsgrund spielt er zwar keine allzu große Rolle, die Überschuldung eines Unternehmens hat aber Bedeutung für die zivilrechtlichen Ansprüche gegen die Geschäftsführer und für den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung.