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(2) Kritik an der früheren Rspr. zum großen Ausmaß
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Die Aufweichung der Kriterien zur Bestimmung des großen Ausmaßes wurde den vom BGH selbst betonten Anforderungen der Rechtssicherheit[774] nicht gerecht und war daher abzulehnen. In diesem Sinne besonders problematisch war die Rspr. des BGH, mit der das Gericht auch dann auf die niedrigere Betragsgrenze von 50 000 EUR abstellte, wenn der Täter steuermindernde Umstände vortäuscht, indem er etwa nicht entstandene Betriebsausgaben oder Vorsteuerbeträge geltend macht.[775] Die Begründung lautete, der Täter unternehme auch in diesen Fällen einen „Griff in die Kasse“ des Staates, „weil die Tat zu einer Erstattung eines (tatsächlich nicht bestehenden) Steuerguthabens oder zum (scheinbaren) Erlöschen einer bestehenden Steuerforderung führen soll“.[776] So stellte der BGH bei der Geltendmachung nicht bestehender Vorsteueransprüche auf die Summe des zu Unrecht anerkannten (bzw. in Versuchsfällen des geltend gemachten) Vorsteuerabzugs ab, nicht auf die Auszahlungshöhe.[777] Zuzustimmen war dem BGH (nur) insoweit, als er dazu ausführte, dass in dem Auszahlungsbetrag auch rechtmäßig geltend gemachte Vorsteuerbeträge enthalten sein können, die somit nichts über die Höhe der verkürzten Steuern aussagen.[778] Unzutreffend stellte der BGH aber nicht auf den zu Unrecht ausgezahlten Betrag ab, sondern zog selbst bei einer im Saldo verbleibenden Zahllast den Betrag von 50 000 EUR heran.[779] Richtig wäre zwischen dem Hinterziehungserfolg einerseits und der Frage, inwieweit dieser zu einem „Griff in die Kasse“ führt andererseits, zu unterscheiden gewesen. Nur soweit zu Unrecht geltend gemachte Vorsteuerbeträge dazu führen, dass ein Guthaben gegen den Fiskus entsteht oder sich erhöht, kommt es zu einem „Griff in die Kasse“, unabhängig davon, ob der Betrag dem Steuerpflichtigen ausgezahlt wird oder auf eine andere Steuerschuld verrechnet wird. Demgegenüber handelt es sich bei den Umsatzsteuerverbindlichkeiten auf der einen Seite und den Vorsteuererstattungsansprüchen auf der anderen Seite um reine Rechengrößen, über die nicht eigenständig verfügt werden kann. Gegenüber dem Finanzamt teilt der Steuerpflichtige lediglich „die zu entrichtende Steuer oder den Überschuss, der sich zu einen Gunsten ergibt“ mit (§ 18 Abs. 3 S. 1 UStG). Dementsprechend hat der BGH in anderem Zusammenhang zutreffend betont, dass der Anspruch auf Vorsteuererstattung verfahrensrechtlich ein unselbstständiger Anspruch ist.[780] Eine Verrechnung durch den Steuerpflichtigen, wie sie nach der Rspr. für einen „Griff in die Kasse“ genügte, ist nur mit einem Umsatzsteuersaldo in Form eines Vorsteuerüberhangs möglich.[781] Richtig wäre es daher gewesen, für die Frage, inwieweit ein „Griff in die Kasse“ vorliegt auf den zu Unrecht ausgezahlten Vorsteuerbetrag und zur Bestimmung, inwieweit eine Gefährdung des Steueranspruchs vorliegt, auf den zu Unrecht nicht abgeführten Umsatzsteuerbetrag abzustellen. Ähnlich verhält es sich mit der Geltendmachung von vorgetäuschten Betriebsausgaben. Die Verbuchung von Betriebseinnahmen und -ausgaben hat rein bilanzielle Wirkung. Sie begründet keine Steueransprüche.[782] Die Differenz wird als Steuerforderung des Fiskus oder als Steuerguthaben des Steuerpflichtigen festgesetzt und bildet den Steueranspruch. Nur wenn die Anmeldung oder Festsetzung im Ergebnis zu einer Steuererstattung führt, kann somit die Rede von einem Griff in die Kasse sein. Ein „Griff in die Kasse” kann ebensogut durch das Vortäuschen von Betriebsausgaben oder Vorsteuerbeträgen erreicht werden, wie durch das Verschweigen von Betriebseinnahmen oder Ausgangsumsätzen bzw. durch eine Kombination beider Vorgehensweisen.Erlangte der Täter durch seine Tathandlung Erstattungsansprüche von mehr als 50 000 EUR, so wäre das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 erfüllt gewesen. Führt die Tat hingegen nur dazu, dass sich für den Steuerpflichtigen eine zu niedrige Zahllast ergibt, so erlöschen weder bestehende Steueransprüche noch werden Steuern erstattet.[783] Wie Grießhammer[784] zutreffend feststellte, hat nur der Gesetzgeber die Kompetenz, das erfolgsbezogene Tatbestandsmerkmal „in großem Ausmaß” in ein handlungsbezogenes Merkmal umzuqualifizieren, indem er den typischerweise erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt entgegen § 370 Abs. 3 Nr. 1 nicht mehr aus dem Umfang des Taterfolges, sondern aus der Art seiner Herbeiführung herleitet. Die dargestellte Rspr. war deshalb abzulehnen.