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bb) Nichtigkeitsentscheid

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Gemäß Art. 9 § 1 SGVerfGH haben die Nichtigkeitsentscheide absolute materielle Rechtskraft ab ihrer Veröffentlichung im Belgischen Staatsblatt.

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Wenn der Gerichtshof die Klage für begründet hält, erklärt er die beanstandete Bestimmung für ungültig.[244] Im Gegensatz zu der begrenzten materiellen Rechtskraft der Ablehnungsentscheide[245] ist die Rechtskraft der Nichtigkeitsentscheide eine absolute.[246] Diese Rechtskraft tritt allerdings erst am Tag der Veröffentlichung des Nichtigkeitsentscheids im Belgischen Staatsblatt ein[247] und nicht bereits am Tag seiner Verkündung.[248]

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Die Frage nach der Tragweite der Rechtskraft der Nichtigkeitsentscheide ist grundsätzlich unproblematisch, soweit der Gerichtshof die beanstandete Bestimmung für uneingeschränkt nichtig erklärt. Weniger eindeutig ist die Situation jedoch, wenn die Nichtigkeitserklärung mit bestimmten Einschränkungen wie „insofern“ oder „soweit“ versehen wird.[249] Diese Wortwahl verdeutlicht, dass im gegebenen Fall nicht der gesamte Normtext aufgehoben wird, sondern ein Teil desselben zukünftig nicht mehr auf solche Konstellationen angewendet werden kann, die nach Ansicht des Gerichtshofes nicht durch die beanstandete Bestimmung geregelt werden können.[250]

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Außerdem greift die Nichtigkeit rückwirkend ein. Mit anderen Worten wird die für nichtig erklärte Norm behandelt, als habe sie nie existiert. Auch wenn sich diese Ex-tunc-Wirkung aus dem Wesen der Nichtigkeitserklärung selbst ergibt,[251] kann sie unter Umständen die Rechtssicherheit schwer beeinträchtigen. Daher hat der Sondergesetzgeber in Art. 8 Abs. 2 SGVerfGH für den Gerichtshof die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der Wirkungen der für nichtig erklärten Bestimmungen vorgesehen.[252] Demnach bezeichnet der Verfassungsgerichtshof, wenn er es für notwendig erachtet, im Wege einer allgemeinen Verfügung die vorläufig oder endgültig aufrechterhaltenen Wirkungen der für nichtig erklärten Bestimmungen.[253] Insofern räumt Art. 8 Abs. 2 SGVerfGH dem Gerichtshof also eine weitgehende Freiheit ein. Der Gerichtshof legt auf der Grundlage einer Zweckmäßigkeitsentscheidung fest, ob die Wirksamkeit der für nichtig erklärten Norm aufrecht zu erhalten ist oder nicht.[254] Zudem ist noch einmal zu betonen, dass die Aufrechterhaltung der Wirksamkeit endgültig[255] oder vorläufig[256] sein kann. In letzterem Fall bleibt die Wirksamkeit der für nichtig erklärten Norm bis zu einem bestimmten Datum bestehen. Die durch den Gerichtshof festgelegte Frist dient dazu, „dem Gesetzgeber die nötige Zeit zu lassen, um erneut gesetzgeberisch tätig zu werden“.[257] Schließlich muss die Aufrechterhaltung der Wirksamkeit der für nichtig erklärten Bestimmung allgemeinverbindlich erfolgen. Für Sonderfälle darf also keine Ausnahme gemacht werden.[258] Dies hindert den Gerichtshof jedoch nicht daran, die Aufrechterhaltung lediglich für bestimmte Rechtssachen geltend zu machen oder diese zeitlich zu begrenzen.[259]

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Die Rechtsakte, Verordnungen und Gerichtsentscheidungen, die auf den für nichtig erklärten Bestimmungen beruhen, bleiben grundsätzlich bestehen. Denn der Gesetzgeber war sich der Tatsache bewusst, dass die für nichtig erklärte Norm Rechtsfolgen nach sich ziehen kann, sodass er im Bemühen um Rechtssicherheit vermeiden wollte, dass die Nichtigerklärung der Norm ebenfalls deren rechtliche Folgeakte automatisch vernichtet. Dennoch hat der Gesetzgeber – abgesehen von den normalen Rechtsmitteln, die den Betroffenen gegebenenfalls noch offenstehen – vorgesehen, dass eine Restitutionsklage (recours en rétractation) gegen eine auf einer für nichtig erklärten Norm beruhende gerichtliche Entscheidung oder Verwaltungsmaßnahme innerhalb einer Frist von sechs Monaten eingereicht werden kann.[260] Diese Klagemöglichkeit wird in den Art. 10 bis 18 SGVerfGH geregelt.[261] Wie im Übrigen aus den Gesetzgebungsmaterialien deutlich wird, dürfen nur die Entscheidungen, die sich aus der für nichtig erklärten Norm ergeben und die mit ihr in einem „Notwendigkeitszusammenhang“ stehen, Gegenstand einer Restitutionsklage sein: „Eine Bestimmung, die nicht notwendigerweise in der für nichtig erklärten gesetzlichen Bestimmung begründet ist, kann nicht aufgehoben werden (…)“.[262]

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Zudem wirkt sich die Nichtigerklärung einer Norm auf Aussetzungsanträge aus, die sich gegen eine mit der für nichtig erklärten Bestimmung identische oder ähnliche Norm desselben Gesetzgebers richten. Insofern kann der Gerichtshof die Aussetzung der zweiten Norm beschließen, ohne dass – wie sonst – ein schwer wiedergutzumachender und ernsthafter Nachteil nachgewiesen werden muss.[263]

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Schließlich wird ebenfalls eine neue Frist von sechs Monaten gewährt, um gegen eine Norm vorzugehen, die denselben Gegenstand wie die für nichtig erklärte hat, aber von einem anderen Gesetzgeber stammt.[264]

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