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6.Erfüllung der Visumpflicht

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173Ferner verlangt § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Erteilung einer Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis bzw. Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU, dass der Ausländer mit dem nach § 6 Abs. 3 AufenthG erforderlichen Visum in das Bundesgebiet eingereist ist und bei dessen Antragstellung alle für die Erteilung der genannten Aufenthaltstitel maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat1. Damit soll vermieden werden, dass ein Ausländer mit einem Touristenvisum oder illegal einreist und sodann einen längerfristigen Aufenthaltstitel begehrt, der an strengere Voraussetzungen geknüpft ist. Der Grundsatz der Antragstellung im Ausland dient mithin der effektiven Steuerung der Zuwanderung. Von diesem Erfordernis kann jedoch gem. § 5 Abs. 2 AufenthG abgesehen werden, wenn Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

174Ob ein Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist, beurteilt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit einer im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird2. Für einen kurzfristigen Aufenthalt bis zu 90 Tagen ist grundsätzlich ein Schengen-Visum nach den Regeln der unmittelbar anwendbaren Visumverordnung 2018/18063 erforderlich, aber auch ausreichend, sofern keine Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet angestrebt wird. „Positivstaater“, d. h. Angehörige von Staaten, die von der Visumspflicht für kurzfristige Aufenthalte befreit sind, können bis zu 90 Tagen ohne Visum in das Gebiet der EU-Mitgliedstaaten einreisen und sich dort aufhalten. Ist eine Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet beabsichtigt oder wird ein längerer, über 90 Tage hinausreichender Aufenthalt angestrebt, so ist ein nationales Visum erforderlich, das im Allgemeinen von den ­deutschen Auslandsvertretungen ausgestellt werden muss, gegebenenfalls mit Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde4.

175Weitere Ausnahmen vom Erfordernis, dass Einreise und Aufenthalt ein entsprechendes Visum, das vor der Einreise beantragt und ausgestellt worden sein muss, voraussetzt, sieht § 39 AufenthV für eine Reihe von verschiedenen Situationen und unterschiedlichen Typen von Aufenthaltstiteln vor. Ein Ausländer kann einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn

1. er ein nationales Visum (§ 6 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes) oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,

2. er vom Erfordernis des Aufenthaltstitels befreit ist und die Befreiung nicht auf einen Teil des Bundesgebiets oder auf einen Aufenthalt bis zu längstens sechs Monaten beschränkt ist,

3. er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 2018/1806 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Absatz 1 Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind, es sei denn, es handelt sich um einen Anspruch nach den §§ 16, 17b oder 18d des Aufenthaltsgesetzes,

4. er eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzt und die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 oder 2 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen,

5. seine Abschiebung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes ausgesetzt ist und er aufgrund einer Eheschließung oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat,

6. er einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und aufgrund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind; § 41 Abs. 3 findet Anwendung,

7. er seit mindestens 18 Monaten eine Blaue Karte EU besitzt, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellt wurde, und er für die Ausübung einer hoch qualifizierten Beschäftigung eine Blaue Karte EU beantragt. Gleiches gilt für seine Familienangehörigen, die im Besitz eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug sind, der von demselben Staat ausgestellt wurde wie die Blaue Karte EU des Ausländers. Die Anträge auf die Blaue Karte EU sowie auf die Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug sind innerhalb eines Monats nach Einreise in das Bundesgebiet zu stellen,

8. er die Verlängerung einer ICT-Karte nach § 19b des Aufenthaltsgesetzes beantragt,

9. er

a) einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates besitzt, der ausgestellt worden ist nach der Richtlinie 2014/66/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers (ABl. L 157 vom 27.5.2014, S. 1), und

b) eine Mobiler-ICT-Karte nach § 19d des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer Mobiler-ICT-Karte nach § 19d des Aufenthaltsgesetzes beantragt,

10. er

a) einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates besitzt, der ausgestellt worden ist nach der Richtlinie (EU) 2016/801 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit (ABl. L 132 vom 21.5.2016, S. 21), und

b) eine Aufenthaltserlaubnis nach § 20b des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 20b des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder

11. er vor Ablauf der Arbeitserlaubnis oder der Arbeitserlaubnisse zum Zweck der Saisonbeschäftigung, die ihm nach § 15a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 der Beschäftigungsverordnung erteilt wurde oder wurden, einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Saisonbeschäftigung bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber beantragt; dieser Aufenthaltstitel gilt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erteilt.

176Weitere Befreiungen vom Erfordernis der Durchführung eines Visumverfahrens bei den deutschen Auslandsvertretungen sieht § 41 AufenthV für 1) Staatsangehörige von Australien, Israel, Japan, Kanada, der Republik Korea, von Neuseeland, des Vereinigten Königreichs und Nordirlands und der Vereinigten Staaten von Amerika vor. Dasselbe gilt für Staatsangehörige von Andorra, Brasilien, El Salvador, Honduras, Monaco und San Marino, die keine Erwerbstätigkeit mit Ausnahme der in § 17 Abs. 2 genannten Tätigkeiten ausüben wollen. Ein erforderlicher Aufenthaltstitel ist innerhalb von 90 Tagen nach der Einreise zu beantragen. Die Antragsfrist endet vorzeitig, wenn der Ausländer ausgewiesen wird oder sein Aufenthalt nach § 12 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes zeitlich beschränkt wird.

Für die Verlängerung eines Kurzaufenthalts von Positivstaatern um einen weiteren Aufenthalt von längstens 90 Tagen gelten ferner bei Vorliegen eines Ausnahmefalls im Sinne des Artikels 20 Abs. 2 des Schengener Durchführungsübereinkommens Erleichterungen, wenn der Ausländer im Bundesgebiet keine Erwerbstätigkeit mit Ausnahme der in § 17 Abs. 2 genannten Tätigkeiten ausübt.

177Die gesetzlichen und in der AufenthV vorgesehenen Ausnahmen vom Erfordernis eines nationalen Visums, wenn ein Daueraufenthalt angestrebt wird, werden in der Praxis im Allgemeinen streng ausgelegt. Für das Bestehen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels reicht es nicht aus, wenn eine Aufenthaltserlaubnis nach Ermessen erteilt werden kann. Vielmehr genügt nur ein strikter Rechtsanspruch, der bereits aufgrund der vorliegenden Faktenlage eine Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gebietet5. Auch an die Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens werden hohe Anforderungen gestellt6. Das im Ausland durchzuführende Visumverfahren vor der Einreise ist ein wichtiges Steuerungsinstrument, das zur Prüfung der Einreisevoraussetzungen unentbehrlich ist und mit dem die Schaffung vollendeter Tatsachen, die einen hohen und zeitaufwendigen Verwaltungsaufwand einer Rückführung mit sich bringt, vermieden werden soll.

178Ausländer berufen sich zur Begründung einer Ausnahme vom Erfordernis des für den Aufenthaltszweck erforderlichen Visums besonders häufig auf § 39 Abs. 1 Nr. 3 AufenthV. Ein Ausländer kann danach einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auch beantragen, wenn er Positivstaater ist oder über ein gültiges Schengen-Visum verfügt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erst nach der Einreise entstanden sind und wenn es sich nicht um einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach den §§ 16, 17b, oder 18d AufenthG handelt. Diese Voraussetzung ist zum Beispiel erfüllt, wenn ein Ausländer, der sich rechtmäßig zu einem kurzfristigen Aufenthalt ins Bundesgebiet begeben hat, erst nach der Einreise aufgrund einer unvorhergesehenen Veränderung seiner persönlichen Verhältnisse einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Aufenthaltstitels erlangt. Ausreichend ist lediglich ein strikter Rechtsanspruch. Wird nach Ermessen entschieden, sind die Voraussetzungen für eine Ausnahme nicht gegeben. Ausgeschlossen sind ferner Ausländer, bei denen ein Ausweisungsinteresse vorliegt. Dies ist der Fall, wenn schon bei der Erteilung eines Visums falsche Angaben gemacht werden, obwohl von vornherein die Absicht eines Daueraufenthalts bestand7.

Für die Befreiung vom Visumerfordernis nach Nr. 6 ist der Besitz eines durch einen anderen Schengen-Staates ausgestellten Aufenthaltstitels und ein sich daraus ergebendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet erforderlich. Nicht ausreichend ist, wenn das Aufenthaltsrecht – wie in den Fällen des Art. 21 SDÜ – sich lediglich auf einen Kurzaufenthalt bezieht.

Wird von vornherein ein Daueraufenthalt angestrebt, bedarf es grundsätzlich eines nationalen Visums. Die Voraussetzungen des zur Begründung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Antragstellerin nach Art. 21 Abs. 1 SDÜ sind nicht erfüllt, wenn der Ausländer schon mit der Absicht der Begründung eines Daueraufenthalts einreist8.

179Liegen die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Beantragung eines Aufenthaltstitels im Inland nicht vor, ist ein Ausländer zum Beispiel mit unzureichendem Visum ins Bundesgebiet eingereist, so kann er nur nach Ermessen vom Erfordernis des nationalen Einreisevisums dispensiert werden9. Nicht dispensiert werden kann vom Fehlen eines Ausweisungsinteresses. Ein Dispens kommt im Übrigen nur bei Vorliegen eines strikten gesetzlichen Anspruchs, der keine weiteren Ermessenserwägungen erfordert, in Betracht. So zum Beispiel, wenn ein Positivstaater mit der Absicht eines kurzfristigen Aufenthalts nach Deutschland eingereist ist und in Deutschland die Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen schließt.

180Eine weitere Ausnahme ist möglich, wenn es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Besondere Umstände liegen unter anderem vor, wenn abweichend vom Regelfall auch das nur vorübergehende Verlassen des Bundesgebiets, zum Beispiel im Hinblick auf die Trennung von einem pflegebedürftigen Familienangehörigen oder minderjährigen Kind unzumutbar wäre. Nach Auffassung des VGH BW ist die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar, wenn Krankheit oder Pflegebedürftigkeit des Ehegatten zur Folge haben, dass dieser in höherem Maße als im Regelfall auf den persönlichen Beistand seines Ehegatten angewiesen ist10. Noch weiter geht das OVG Hamburg, indem es unter Hinweis auf die Chakroun-Entscheidung des EuGH11 sogar Zweifel an der Vereinbarkeit der Verpflichtung, das Visumverfahren nachzuholen, mit der Familiennachzugsrichtlinie 2003/86/EG äußert.12 Kosten für die Reise oder der erhebliche Zeitaufwand, der mit einer Rückkehr ins Heimatland verbunden ist, stellen keine besonderen Umstände dar. Im Falle der Eheschließung besteht ebenfalls ein erhebliches öffentliches Interesse an der Durchführung des Visumverfahrens durch die deutschen Auslandsvertretungen, um eine ausreichende Prüfung der Nachzugsvoraussetzungen vor Einreise ins Bundesgebiet sicherzustellen. Es ist grundsätzlich mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie vereinbar, einen Ausländer auf die Durchführung des Visumverfahrens zur Beantragung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke des förmlichen Zusammenlebens im Bundesgebiet zu verweisen13.

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