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1.2 Bestandsaufnahme

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Mathematik-Klassenarbeiten waren bereits mehrfach Ziel von Untersuchungen in der Fachdidaktik. Drüke-Noe merkt zur Aufgabenkultur in Mathematik-Klassenarbeiten1 an, dass eine Reihe von Gemeinsamkeiten über alle untersuchten Klassenarbeiten als auch über unterschiedliche Schulformen hinweg bestehen (Drüke-Noe 2014, 97 ff.).

Neben dem Mangel an einzelnen Kompetenzbereichen, wird festgestellt, dass in vielen untersuchten Arbeiten, der Anforderungsbereich III der Bildungsstandards der KMK (Kultusministerkonferenz 2004a, Kultusministerkonferenz 2004b) nicht oder nur selten berücksichtigt wird. So ist von einer „variationsarmen Aufgabenkultur“ und bei Klassen mit einem höheren Anspruchsniveau von einem „fast durchgängigem Umgehen mit unterschiedlich komplexen Kalkülen“ die Rede (Drüke-Noe 2014, 249). Es wird darauf hingewiesen, dass die Struktur der Zusammenstellung und die Auswahl der Aufgaben in den meisten Klassenarbeiten oft nur implizit bleibt bzw. nicht einem vorher festgelegten Schema folgt.

Drüke-Noe/Schmidt (2015, 4 f.) rekurrieren in ihrer Zusammenfassung empirischer Studien zum Thema Klassenarbeiten vor allem auf die Daten und Erkenntnisse aus dem COACTIV2-Projekt:

 Ein hoher Anteil von Aufgaben in Klassenarbeiten, die eher technischen (lediglich Wahl eines passenden Lösungsverfahrens) oder rechnerischen (selbstständige Wahl eines Ansatzes zur Bearbeitung der Aufgabe) Charakter haben,

 der damit verbundene geringe Anteil von Aufgaben in Klassenarbeiten mit begrifflichem Charakter,

 der geringe Gebrauch von Argumentationen und/oder Reflexion in Klassenarbeitsaufgaben,

 die häufige Bezugnahme auf Standardaktivitäten, deren Charakter oft aus der Aufgabenstellung bereits herauszulesen ist.

Leuders (2006) kommt zusammenfassend zu ähnlichen Ergebnissen über die Qualität vieler Klassenarbeiten. Seine Perspektive orientiert sich am diagnostischen Aspekt der Aufgaben. Dieser Aspekt, der mit Leistungserfassung eng verbunden ist, wird in traditionell strukturierten Klassenarbeiten sowohl bei der Erstellung aber auch bei der Beurteilung nicht ausreichend berücksichtigt. Leuders merkt an, dass

„überwiegend geschlossene Aufgaben gestellt [werden], bei denen nur ein einziger ‚richtiger‘ Weg zu einem einzig ‚richtigen‘ Ergebnis erwartet und akzeptiert wird.“ (Leuders 2006, 79)

Überdies

„fragen die meisten Aufgaben lediglich Kenntnisse und Fertigkeiten auf einer mechanisch lernbaren Ebene ab – und fördern so das oberflächliche Lernen. Komplexere Aufgabenteile unterscheiden sich mitunter nur durch eine höhere technische Komplexität und nicht etwa durch höhere Anforderungen an die Selbstständigkeit oder das Reflexionsvermögen.“ (ebd., 80)

Bezogen auf die diagnostischen Möglichkeiten einer Klassenarbeit resümiert Leuders:

„Klassenarbeiten werden ausschließlich mit dem Ziel der Leistungsbewertung und nicht der Leistungsfeststellung geschrieben und propagieren zudem das kurzfristige Lernen.“ (ebd.)

Dass das Schreiben von Klassenarbeiten häufig l’art pour l’art darstellt und die innewohnenden diagnostischen Chancen dieser Art der Erfassung von Leistungen viel zu oft nicht genutzt werden, ist somit ein zentraler Kritikpunkt.

Die Makel traditioneller Klassenarbeiten werden auch von Lederer (2008) zusammengefasst. Sie kommt, basierend auf einer statistischen Aufgaben- und Klassenarbeitenanalyse von Mathematikarbeiten an Realschulen in Bayern, zu dem Schluss, dass nur rund die Hälfte aller betrachteten Aufgaben eine angemessene Trennschärfe aufweisen. Lederer (ebd., 83) beurteilt, aufgrund der zu hohen Schwierigkeit, rund ein Viertel der Aufgaben, als ungeeignet für Klassenarbeiten.

Da die erwähnten Resümees zeitlich teilweise nach der ersten großen Veränderungswelle durch die Verabschiedung der Bildungsstandards im Fach Mathematik für die Sekundarstufe I im Jahr 2004 einzuordnen sind, liegt die Vermutung nahe, dass Veränderungen im Mathematikunterricht nur partiell in der Leistungserfassung angekommen sind.

Vor diesem Hintergrund besitzt die in Drüke-Noe (2014, 39 f.) aufgestellte Liste, der durch Befragungen validierten Praxisbeobachtungen hinsichtlich des Anfertigens von Klassenarbeiten, wahrscheinlich immer noch Gültigkeit:

„Demnach enthält eine Klassenarbeit

 Aufgaben zu jenem Inhalt, der im Unterricht „in letzter Zeit durchgenommen“ und nach Einschätzung der Lehrkraft hinreichend vorbereitet wurde,

 eine als (sehr) einfach eingeschätzte Aufgabe, von der erwartet wird, dass nahezu alle diese lösen können,

 eine als schwierig eingeschätzte Aufgabe, die nur sehr gute Schülerinnen und Schüler in der vorgegebenen Zeit korrekt lösen, und die zum Ziel hat, zwischen jenen mit einer guten und jenen mit einer sehr guten Note zu differenzieren,

 ein nach ansteigendem Schwierigkeitsgrad angeordnetes Spektrum von Aufgaben, deren Schwierigkeit nach subjektivem Ermessen vor dem Hintergrund der behandelten Unterrichtsaufgaben eingeschätzt wird,

 unterschiedlich umfangreiche Aufgaben, deren Umfang an der Anzahl der Bearbeitungsschritte „gemessen“ wird,

 häufig wenigstens eine Textaufgabe, die je nach Thema der Klassenarbeit einen inner- oder einen außermathematischen Anwendungskontext zum Gegenstand haben kann,

 vereinzelt Aufgaben eines anderen Stoffgebietes, das nicht dem Hauptthema der Klassenarbeit entspricht,

 sprachlich verständliche Aufgaben, die u. a. Operatoren enthalten, die bei Bedarf sprachliche Schwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler berücksichtigen.“

Insgesamt stellen zahlreiche Befunde die Klassenarbeitstradition infrage und mahnen ein Mehr an Reflexion diesbezüglich an. So werden Eigenschaften einzelner Aufgaben durch befragte Lehrkräfte häufig als selbstverständlich vorausgesetzt.

Scriptor Praxis: Klassenarbeiten im Fach Mathematik gestalten

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