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3.Kenntnis des Bieters von Angeboten anderer Bieter

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47Eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung liegt auch dann vor, wenn mehrere Bieter ihre Angebote in wechselseitiger Kenntnis der Angebotsinhalte abgegeben haben.52 Denn nur wenn die Bieter ihre Angebote wechselseitig in Unkenntnis von den Angeboten der Konkurrenz abgeben, kann echter Wettbewerb entstehen.53

48Eine unzulässige Durchbrechung des Geheimwettbewerbs ist hierbei nicht erst dann gegeben, wenn der Angebots(gesamt)-preis bekannt ist; ausreichend kann auch das Wissen um Angebotsgrundlagen, Angebotsteile oder die Kalkulation sein.54 Dabei wird es als ausreichend angesehen, wenn ein Bieter „wesentliche Teile“ des Angebots des Mitbewerbers kennt; eine Kenntnis von mehr als 50 % der Angebotsgrundlagen eines Mitbewerbers ist insoweit „mehr als ausreichend“.55 Die Grenze einer unbedenklichen „unwesentlichen Kenntnis“ ist in der Rechtsprechung noch nicht geklärt. Für die Frage, wann eine Kenntnis von Angebotsteilen den Wettbewerb beeinträchtigt, kommt es auf die Struktur des Auftrages an. Abhängig davon, welche Fixkosten oder gesetzliche Vorgaben bestehen, kann u. U. bereits ein kleiner Teil der Kalkulation erhebliche Wettbewerbsrelevanz aufweisen.

49a) Mehrfachbeteiligung von Mitgliedern einer Bietergemeinschaft. Wiederholt sind Verstöße gegen den Geheimwettbewerb aufgrund einer Mehrfachbeteiligung von Mitgliedern einer Bietergemeinschaft (als Mitglied mehrerer Bietergemeinschaften oder als Einzelbieter und zudem als Mitglied einer Bietergemeinschaft) und daraus folgender wechselseitiger Angebotskenntnis festgestellt worden.

50Bewirbt sich ein Unternehmen nicht nur als Mitglied einer Bietergemeinschaft um einen Auftrag, sondern gibt darüber hinaus auch als Einzelbieter ein Angebot ab, so besteht eine (nur mit erheblichem Aufwand widerlegbare) Vermutung dafür, dass der Geheimwettbewerb nicht gewahrt ist, weil wechselseitige Kenntnis der Angebote oder zumindest der Angebotsgrundlagen bestand.56 Ein automatischer Ausschluss ohne Eröffnung bzw. Berücksichtigung der Führung des Gegenbeweises durch die betroffenen Bieter ist indes unzulässig.57

51Das parallel als eigenständiger Bieter auftretende Mitglied der Bietergemeinschaft hat jedenfalls grundsätzlich Kenntnis von dem Angebot der Bietergemeinschaft, der es angehört. Umgekehrt hat auch die Bietergemeinschaft über ihr sich mehrfach beteiligendes Mitglied Kenntnis von dessen Einzelangebot. Selbst wenn keine Information der Bietergemeinschaft bzw. der übrigen Mitglieder erfolgt, muss sich die Bietergemeinschaft die Kenntnis ihres Mitglieds zurechnen lassen.58

52Dementsprechend muss prinzipiell eine Verletzung des Geheimwettbewerbs bei Mehrfachbeteiligungen angenommen und einer Prüfung durch die Vergabestelle unterzogen werden. Dies gilt wegen der Zurechnung der Kenntnisse eines Mitglieds gegenüber der jeweiligen Bietergemeinschaft ebenso bei doppelter Beteiligung als Mitglied von zwei Bietergemeinschaften.

53Nicht alle Formen der Mehrfachbeteiligung sind jedoch dem Verdacht wettbewerbsbeschränkender Abreden ausgesetzt. Kritisch und zumeist unzulässig sind Mehrfachbeteiligungen „für dieselbe Leistung“. Als zulässig wird es hingegen angesehen, wenn sich eine Bietergemeinschaft um einen Gesamtauftrag bewirbt und Mitglieder der Bietergemeinschaft entsprechend ihrem Aufgabenbereich in der Bietergemeinschaft daneben Angebote für ein oder mehrere Lose abgeben.59 Hierin liegt nach der Rechtsprechung keine Bewerbung um „dieselbe Leistung“ und entsteht keine – durch wechselseitiges Angebotswissen durchbrochene – Konkurrenzsituation, da sich die Bewerbung auf unterschiedliche Auftragsinhalte bezieht.

54b) Mehrfachbeteiligung von Nachunternehmern. Große praktische Bedeutung hat die Frage, ob auch bei einer Mehrfachbeteiligung von Nachunternehmern eine wechselseitige Angebotskenntnis vermutet und von den Bietern wider­legt werden muss.60 Diese Frage stellt sich zuvorderst, wenn ein Unternehmen einmal als Bieter und einmal als Nachunternehmer auftritt. Eine solche Parallelbeteiligung bedeutet nicht immer einen Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs. Einem Nachunternehmer ist grundsätzlich keine Kenntnis von dem Angebot des betreffenden Bieters zu unterstellen; anders als ein Bietergemeinschaftsmitglied kennt er regelmäßig nur den von ihm angebotenen Preis, nicht aber die weiteren Inhalte des Angebots und insbesondere die Preise des auf ihn zugreifenden Bieters. Es müssen deshalb weitere Tatsachen hinzukommen, die nach Art und Umfang des Nachunternehmereinsatzes sowie mit Rücksicht auf die Begleitumstände eine Kenntnis von dem zur selben Ausschreibung abgegebenen Konkurrenzangebot annehmen lassen.61 Erstrecken sich die Leistungen des Nachunternehmers auf große Teile oder gar die gesamte operative Leistung des Konkurrenzangebotes, so kennt er wesentliche Kalkulationsgrundlagen, die einer Kenntnis des Angebotes selbst gleichzustellen sind. Stellt der Nachunternehmer in einer solchen Konstellation zusätzlich ein eigenes Angebot, so liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs vor.

55Praxisrelevant ist zudem die Beteiligung eines Unternehmens als Nachunternehmer für mehrere Bieter. Denn insbesondere bei komplexen und hoch spezialisierten Aufträgen wird nicht selten ein und dasselbe Unternehmen von mehreren Bietern als Nachunternehmer angesprochen. Der Nachunternehmer kennt zumindest dann wesentliche Angebotsgrundlagen, wenn er zentrale Leistungsinhalte abdeckt. Entscheidend ist aber nicht die Kenntnis des Nachunternehmers, sondern die Kenntnis des Bieters. Da ein Bieter regelmäßig keine Kenntnis davon hat, dass der von ihm angesprochene Nachunternehmer auch für andere Bieter Nachunternehmerleistungen für einen ausgeschriebenen Auftrag anbietet, kann aus der Beteiligung eines Unternehmens als Nachunternehmer für mehrere Bieter regelmäßig nicht auf eine wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise der betroffenen Bieter geschlossen werden, sodass in dieser Konstellation ein Ausschlussgrund regelmäßig nicht vorliegt.

56c) Bewerbung mehrerer konzernverbundener Unternehmen. Die (widerlegbare) Vermutung wechselseitiger Angebotskenntnis besteht nicht nur bei mehrfacher Beteiligung eines Unternehmens, sondern erstreckt sich auch auf die parallele Beteiligung konzernverbundener Unternehmen. Denn auch hier ist grundsätzlich von einer entsprechenden Informationsweitergabe auszugehen, sodass auch in diesem Fall eine – widerlegbare – Vermutung für eine Verletzung des Geheimwettbewerbs besteht.62 Gleiches gilt, wenn mehrere Angebote rechtlich verschiedener und auch nicht konzernverbundener Anbieter von ein und derselben Person (etwa einem Berater) erstellt worden sind.63

57d) Widerlegung der Vermutung. Sofern die Vermutung einer Verletzung des Geheimwettbewerbs im Raum steht, droht der Ausschluss aller beteiligten Bieter aus dem Vergabeverfahren. Diesem Ausschluss kann nur mit dem Nachweis entgegen gewirkt werden, dass aufgrund entsprechender Vorkehrungen keine relevante Angebotskenntnis besteht.

58Ein solcher Nachweis dürfte für die Beteiligung eines Unternehmens als Mitglied einer Bietergemeinschaft und als Einzelbieter nur selten möglich sein, wenn sich beide Angebote auf die Gesamtleistung beziehen. Hier müsste erstens der Leistungsanteil in der Bietergemeinschaft unwesentlich sein, um die Kenntnis des Bieters noch als unbedenklich einstufen zu können. Zweitens müsste zusätzlich durch rechtliche und/oder technische Maßgaben sichergestellt sein, dass das betroffene Unternehmen keinerlei Kenntnisse von den übrigen Angebotsinhalten der Bietergemeinschaft erhält und wechselseitig keine Informationen ausgetauscht werden.

59Bei paralleler Beteiligung konzernverbundener Unternehmen kann über die Darlegung unterschiedlicher Personalbesetzungen und entsprechende technische und/oder rechtliche Sicherungsmechanismen (Chinese Walls o. Ä.) der erforderliche Nachweis durchaus erbracht werden. Die bloße Versicherung der beteiligten Mitarbeiter, Vertraulichkeit gewahrt zu haben, genügt indes nicht. Vielmehr sind die strukturellen Umstände darzulegen, die einen Wettbewerbsverstoß bereits im Ansatz verhindern. Dies erfordert konkrete Ausführungen zu den strukturellen Bedingungen der Angebotserstellung und insbesondere dazu, ob und in welcher Form die Konzernmutter Einfluss auf die Ausschreibungsbeteiligung nimmt, ob die Unternehmen einer entsprechenden Konzernstrategie unterworfen sind, auf welchen Unternehmensebenen Abstimmungen vorgenommen werden und welche organisatorischen und personellen Verflechtungen bestehen.64

60Ein entsprechender Nachweis ist spätestens bei Angebotsabgabe erforderlich. Denn nach der Rechtsprechung bedarf es nicht aktiver Aufklärungsbemühungen des Auftraggebers, sondern die Bieter sind gehalten, entsprechende Verdachtsmomente (spätestens) bei der Angebotserhebung auszuräumen.65 Es obliegt dem Bieter, in seinem Angebot diejenigen besonderen Umstände und Vorkehrungen nachzuweisen, die ausnahmsweise einem Angebotsausschluss entgegen stehen.66

61Bei Verfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb empfiehlt sich eine entsprechende Darlegung bereits bei Einreichung des Teilnahmeantrages. Vor Angebotsabgabe besteht zwar regelmäßig keine Kenntnis wettbewerblicher Angebotspreise oder Angebotsgrundlagen, sodass noch kein Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz bzw. den Geheimwettbewerb vorliegt.67 Allerdings wäre es widersinnig, wenn der Auftraggeber trotz absehbarem Ausschluss die betroffenen Bewerber sämtlich zur Angebotsabgabe auffordern müsste. Deshalb wirkt der (drohende) Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs bereits auf den Teilnahmewettbewerb vor, sodass der öffentliche Auftraggeber die betroffenen Bewerber – bei evidenten Verstößen – bereits im Teilnahmewettbewerb ausschließen kann.68 In Zweifelsfällen wird zwar hier eine Aufklärung durch den öffentlichen Auftraggeber erforderlich sein; vorsorglich ist ein Nachweis der betroffenen Bewerber jedoch bereits bei Einreichung des Teilnahmeantrages zu empfehlen.

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