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III.Verhandlungsverfahren, § 3 EU Satz 1 Nr. 3 VOB/A 1.Charakteristik

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40Das Verhandlungsverfahren ist ein Verfahren, bei dem sich der öffentliche Auftraggeber mit oder ohne Teilnahmewettbewerb an ausgewählte Unternehmen wendet, um mit einem oder mehreren dieser Unternehmen über die Angebote zu verhandeln, so die Definition des § 3 EU Satz 1 Nr. 3 VOB/A, die wortgleich mit der des § 119 Abs. 5 GWB ist.

41Die Definition des Verhandlungsverfahrens ist auch in der neuen Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen 2016 sprachlich nicht sonderlich präzise (besser insoweit: 3 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A sowie § 101 Abs. 5 GWB a. F.).

Unter anderem ist die Bezeichnung „mit oder ohne Teilnahmewettbewerb“ unpräzise, weil nicht der Teilnahmewettbewerb, sondern die vorherige öffentliche Aufforderung zum Teilnahmewettbewerb den entscheidenden Unterschied ausmacht.54 Des Weiteren steht die Frage der Erforderlichkeit eines Teilnahmewettbewerbes nicht zur Disposition des öffentlichen Auftraggebers,55 was sich aus § 3a EU Abs. 2 und Abs. 3 VOB/A ergibt (siehe Kommentierung hierzu).

42Damit nicht genug der sprachlichen Ungenauigkeiten. Auch wenn der Wortlaut des § 3 EU Satz 1 Nr. 3 VOB/A dies suggeriert, ist es nicht zulässig, dass der öffentliche Auftraggeber von Anfang an nur mit einem Bieter verhandelt, obwohl mehrere Angebote von Teilnehmern am Wettbewerb vorliegen.56 Zum einen sieht dies die RL 2014/24/EU nicht vor (siehe Art. 29, 65 RL 2014/24/EU), zum anderen ergibt sich dies auch nicht aus der Zusammenschau der einschlägigen Vorschriften des 2. Teils der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen. Beim Verhandlungsverfahren mit vorheriger Veröffentlichung eines Teilnahmewettbewerbes hat der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich mit mindestens drei Bietern zu verhandeln (§ 3b EU Abs. 3 Nr. 3 VOB/A, siehe Kommentierung hierzu), sofern die Zahl geeigneter Bewerber nicht unter der genannten Mindestzahl liegt (§ 3b EU Abs. 3 Nr. 3 in Verbindung mit § 3b EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A, siehe Kommentierung hierzu). Liegt die Zahl der geeigneten Bewerber unter der Mindestzahl, darf der öffentliche Auftraggeber das Verfahren ausschließlich mit diesem oder diesen geeigneten Bewerbern (unter der Mindestzahl) fortführen (§ 3 b EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 6 VOB/A, der wegen § 3b EU Abs. 3 Nr. 3 VOB/A hier im Verhandlungsverfahren mit vorheriger Veröffentlichung eines Teilnahmewettbewerbes gilt). Gleiches gilt auch beim Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung eines Teilnahmewettbewerbes, denn § 3 b EU Abs. 3 VOB/A regelt insoweit keine Ausnahmen und im Übrigen ergibt sich dies auch aus Art. 65 Abs. 2 der RL 2014/24/EU. Eine weitere Ausnahme im Rahmen des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung eines Teilnahmewettbewerbes, die es dem öffentlichen Auftraggeber gestattet, gleich von Beginn des Verfahrens an lediglich mit einem Unternehmen zu verhandeln, bilden die Ausnahmetatbestände des § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 5 VOB/A (siehe Kommentierung hierzu). Hiervon zu unterscheiden ist § 3b EU Abs. 3 Nr. 7 VOB/A, wonach der öffentliche Auftraggeber auf der Grundlage des Erstangebotes vergeben kann, ohne in Verhandlungen einzutreten, wenn er in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung darauf hingewiesen hat, sich diese Möglichkeit vorzubehalten. Hier finden keine Verhandlungen statt (siehe Kommentierung zu § 3b EU Abs. 3 Nr. 7 VOB/A).

43Das Verhandlungsverfahren lässt sich in zwei Phasen einteilen. In der ersten Phase entscheidet der öffentliche Auftraggeber entweder mit oder ohne öffentliche Bekanntmachung eines Teilnahmewettbewerbes darüber, welche Unternehmen an den Verhandlungen teilnehmen. Selbstverständlich ist die Erforderlichkeit des Teilnahmewettbewerbes nicht eine freie Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, sondern sie ist an die Vorgaben des § 3a EU Abs. 2 und 3 VOB/A gebunden. Der vorgeschaltete öffentliche Teilnahmewettbewerb, dessen Ablauf und die Auswahl der Teilnehmer unterscheiden sich nicht wesentlich von dem entsprechenden Verfahrensabschnitt im nicht offenen Verfahren, sodass auf die Ausführungen hierzu unter Rn. 17 bis 24 verwiesen wird. Die Verhandlungen mit den Bietern (den vormaligen Bewerbern) bilden dann die zweite Phase. Der Ablauf des Verhandlungsverfahrens ist mit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 klarer strukturiert worden (siehe Kommentierung zu § 3b EU Abs. 3 VOB/A). Auch hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung der Verhandlungsphase sind einige Regelungen in § 3b EU Abs. 3 VOB/A aufgenommen worden. Insgesamt gesehen ist dies aber keine (gravierende) Verschärfung des bisherigen Verfahrens57 im Sinne einer strengeren Formalisierung, auch wenn teilweise nunmehr von einem förmlichen58 oder gar von einem neuen Verfahren59 gesprochen wird. Das Verhandlungsverfahren ist weiterhin an relativ wenige normative Vorgaben geknüpft. Dennoch (bzw. gerade deswegen) hatte bzw. hat der öffentliche Auftraggeber die vergaberechtlichen Prinzipien von Transparenz, Wettbewerb, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit (weiterhin) zu beachten. Ausgehend von diesem Maßstab haben Rechtsprechung und Literatur das „Verhandlungsverfahren“ schon vor der Vergaberechtsmodernisierung 2016 „eingehegt“.

44Das Verhandlungsverfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass es dem öffentlichen Auftraggeber – anders als im offenen und nicht offenen Verfahren (hier gilt § 15 EU Abs. 3 VOB/A) – rechtlich erlaubt ist, mit den Bietern so lange zu verhandeln bis feststeht, wie die Leistung konkret beschaffen sein muss, zu welchen Bedingungen und zu welchem Preis sie diese erbringen müssen, ohne aber die inhaltlichen Grenzen der Ausschreibung derart zu verschieben, dass letztendlich ein aliud („ein anderes“) beschafft wird.60 Die Identität des Leistungsgegenstandes muss weiterhin im Wesentlichen gewahrt bleiben.61 Das folgt aus Art. 29 Abs. 1 UA 2 („Auftragsgegenstand“), Abs. 3 („die Angebote inhaltlich zu verbessern“) dessen UA 1 („Mindestanforderungen“) der RL 2014/24/EU und dem Umstand, dass der öffentliche Auftraggeber den Auftrag auch auf der Grundlage der Erstangebote vergeben kann (Art. 29 Abs. 4 der RL 2014/24/EU, § 3b EU Abs. 3 Nr. 7 VOB/A) in Zusammenschau mit Art. 30 Abs. 2 und 3 der RL 2014/24/EU. Zur Frage, was genau Verhandlungsgegenstand ist und welche rechtlichen Grenzen zu beachten sind, wird auf die Kommentierung zu § 3b EU Abs. 3 Nr. 3 VOB/A verwiesen. Die eingereichten Erstangebote sowie alle Folgeangebote (mit Ausnahme des endgültigen Angebots) dürfen im Verhandlungsverfahren abgeändert werden, nachdem sie abgegeben worden sind62 (siehe Kommentierung § 3 b EU Abs. 3 Nr. 6 VOB/A) es sei denn, der öffentliche Auftraggeber hat sich in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessenbestätigung die Möglichkeit vorbehalten, allein auf der Grundlage der Erstangebote den Auftrag zu vergeben (siehe Kommentierung § 3b EU Abs. 3 Nr. 7 VOB/A).

45Fest steht jedenfalls, dass der Auftragsgegenstand beim Verhandlungsverfahren weder in der Auftragsbekanntmachung (bzw. Vorinformation als Aufruf zum Teilnahmewettbewerb) noch in den Vergabeunterlagen eindeutig und erschöpfend beschrieben sein muss, weil der öffentliche Auftraggeber (auch) auf das Wissen der Bieter angewiesen ist. Er muss aber gegebenenfalls in den Vergabeunterlagen die Mindestanforderungen (was darunter zu verstehen ist, ergibt sich aus Erwägungsgrund (45) UA 2 RL 2014/24/EU; siehe auch Kommentierung zu § 3b EU Abs. 3 Nr. 5 VOB/A) der zu beschaffenden Leistung, die im Laufe des Verhandlungsverfahrens konkretisiert werden soll, angeben. Die Pflicht zur Angabe bestehender Mindestanforderungen ergibt sich eindeutig aus Art. 29 Abs. 1 UA 2 RL 2014/24/EU und dem Erwägungsgrund (45), weniger eindeutig aus Teil 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen. Sie lässt sich indirekt nur § 3b EU Abs. 3 Nr. 5 VOB/A entnehmen (siehe Kommentierung hierzu). Soweit Mindestanforderungen in Bezug auf die zu vergebende Leistung (damit sind nicht die Mindestanforderungen an die Teilnehmer am Wettbewerb gemeint, die hier nicht mehr relevant sind) gestellt werden, sind diese verbindlich und gemäß § 3b EU Abs. 3 Nr. 5 VOB/A von den Verhandlungen ausgeschlossen. Gleiches gilt für die Zuschlagskriterien, § 3b EU Abs. 3 Nr. 5 VOB/A.

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