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II.Sekundärrechtsschutz

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63Grundsätzlich kommen für die Bieter auch Schadensersatzansprüche gegen den öffentlichen Auftraggeber aufgrund eines entstandenen vorvertraglichen Schuldverhältnisses (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) in Betracht, wenn der öffentliche Auftraggeber gegen Vergabevorschriften verstößt.78 Wodurch und wann ein solches gesetzliches Schuldverhältnis entsteht, regelt § 311 Abs. 2 BGB, während sich die für den Haftungsgrund erforderliche Pflichtverletzung (des öffentlichen Auftraggebers), die zum Tatbestand gehört, aus § 280 Abs. 1 BGB als haftungsbegründende Norm ergibt.79 Voraussetzung eines solchen Anspruches ist, dass der öffentliche Auftraggeber (Schuldner) durch die öffentliche Ausschreibung (vorvertraglichen Schuldverhältnisses) eine Pflicht (Schutzpflichtverletzung, insbesondere die Pflicht zur Einhaltung der Vergabevorschriften) zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Bieter verletzt hat. Ein zusätzliches Vertrauenselement (Vertrauen des Bieters in die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens) ist keine Anspruchsvoraussetzung mehr.80 Nicht ganz klar ist, ob der Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB ein Verschulden des Auftraggebers erfordert, was wegen der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes zur Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG zweifelhaft sein könnte.81 Der Bundesgerichtshof hat die Frage allerdings ausdrücklich offengelassen.82 Auch die Frage, welche Bieter letztendlich zum geschützten Personenkreis im Rahmen der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches aufgrund des entstandenen vorvertraglichen Schuldverhältnisses zählen, ist ebenfalls nicht ganz eindeutig. Insoweit wird auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes verwiesen.83 Der Schadensersatzanspruch aus vorvertraglichem Schuldverhältnis ist grundsätzlich auf das negative Interesse gerichtet, d. h. der Geschädigte muss so gestellt werden, wie er stehen würde, wenn er von der öffentlichen Ausschreibung nichts gehört hätte. Nur dann, wenn der Bieter ohne den Verstoß und bei ansonsten ordnungsgemäßer Vergabe den Zuschlag hätte erhalten müssen, besteht ausnahmsweise Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses,84 d. h. der Geschädigte muss so gestellt werden, wie er stehen würde, wenn der Vertrag erfüllt worden wäre. Allerdings ist der Bieter im Prozess darlegungs- und beweispflichtig, d. h. er müsste darlegen und beweisen, dass er den Zuschlag erhalten hätte, wenn der öffentliche Auftraggeber sich entsprechend den vergaberechtlichen Vorschriften verhalten hätte. Das dürfte in der Praxis kaum gelingen.

64In einem obiter dictum hat sich der BGH jüngst zur Präklusion erkennbarer Vergaberechtsverstöße in einem Schadenersatzprozess geäußert. Gegen das in der vergaberechtlichen Literatur vorherrschende Verständnis, ein Bieter sei auch im Rahmen eines Schadenersatzprozesses hinsichtlich der in § 160 Absatz 3 GWB genannten Fristen genauso präkludiert wie mit der Einreichung eines Nachprüfungsantrages, spreche, dass eine § 839 Abs. 3 BGB entsprechende Regelung im 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht vorgesehen sei und eine analoge Anwendung dieser spezifisch deliktischen Regelung nicht angezeigt sei. Die Tätigkeit der Vergabestellen im Zusammenhang mit öffentlicher Beschaffung sei einer Amtsführung nicht vergleichbar. Nichts anderes ergebe sich grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens (§ 254 BGB) im Zusammenhang mit den Rügeobliegenheiten der Bieter im Vergabeverfahren nach dem 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen.85 Der Ersatz des Vertrauensschadens (negatives Interesse) im Wege des Sekundärrechtsschutzes ist für die Bieter auch über § 181 Satz 1GWB möglich. Dieser setzt allerdings unter anderem einen Verstoß gegen bieterschützende Rechte nach Maßgabe des § 97 Absatz 6 GWB voraus, während ein Verschulden des öffentlichen Auftraggebers nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesgerichtshofes86 nicht erforderlich ist. Insgesamt betrachtet, dürfte der Schadensersatzanspruch nach § 181 Satz 1GWB einfacher durchsetzbar sein.

§ 3a EU VOB/AZulässigkeitsvoraussetzungen

(1) 1Dem öffentlichen Auftraggeber stehen nach seiner Wahl das offene und das nicht offene Verfahren zur Verfügung. 2Die anderen Verfahrensarten stehen nur zur Verfügung, soweit dies durch gesetzliche Bestimmungen oder nach den Absätzen 2 bis 5 gestattet ist.

(2) Das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb ist zulässig,

1. wenn mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:

a) die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers können nicht ohne die Anpassung bereits verfügbarer Lösungen erfüllt werden;

b) der Auftrag umfasst konzeptionelle oder innovative Lösungen;

c) der Auftrag kann aufgrund konkreter Umstände, die mit der Art, der Komplexität oder dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen oder den damit einhergehenden Risiken zusammenhängen, nicht ohne vorherige Verhandlungen vergeben werden;

d) die technischen Spezifikationen können von dem öffentlichen Auftraggeber nicht mit ausreichender Genauigkeit unter Verweis auf eine Norm, eine europäische technische Bewertung (ETA), eine gemeinsame technische Spezifikation oder technische Referenzen im Sinne des Anhangs TS Nummern 2 bis 5 der Richtlinie 2014/24/EU erstellt werden;

2. 1wenn ein offenes Verfahren oder nicht offenes Verfahren wegen nicht ordnungsgemäßer oder nicht annehmbarer Angebote aufgehoben wurde. 2Nicht ordnungsgemäß sind insbesondere Angebote, die nicht den Vergabeunterlagen entsprechen, nicht fristgerecht eingegangen sind, nachweislich auf kollusiven Absprachen oder Korruption beruhen oder nach Einschätzung des öffentlichen Auftraggebers ungewöhnlich niedrig sind. 3Unannehmbar sind insbesondere Angebote von Bietern, die nicht über die erforderlichen Qualifikationen verfügen und Angebote, deren Preis das vor Einleitung des Vergabeverfahrens festgelegte und schriftlich dokumentierte Budget des öffentlichen Auftraggebers übersteigt.

(3) Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ist zulässig,

1. wenn bei einem offenen Verfahren oder bei einem nicht offenen Verfahren

a) keine ordnungsgemäßen oder nur unannehmbare Angebote abgegeben worden sind und

b) in das Verhandlungsverfahren alle – und nur die – Bieter aus dem vorausgegangenen Verfahren einbezogen werden, die fachkundig und leistungsfähig (geeignet) sind und die nicht nach § 6e EU ausgeschlossen worden sind.

2. 1wenn bei einem offenen Verfahren oder bei einem nicht offenen Verfahren

a) keine Angebote oder keine Teilnahmeanträge abgegeben worden sind oder

b) nur Angebote oder Teilnahmeanträge solcher Bewerber oder Bieter abgegeben worden sind, die nicht fachkundig oder leistungsfähig (geeignet) sind oder die nach § 6e EU ausgeschlossen worden sind oder

c) nur solche Angebote abgegeben worden sind, die den in den Vergabeunterlagen genannten Bedingungen nicht entsprechen

und die ursprünglichen Vertragsunterlagen nicht grundlegend geändert werden. 2Der Europäischen Kommission wird auf Anforderung ein Bericht vorgelegt.

3. 1wenn die Leistungen aus einem der folgenden Gründe nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden können:

a) Erschaffung oder Erwerb eines einzigartigen Kunstwerks oder einer einzigartigen künstlerischen Leistung als Ziel der Auftragsvergabe;

b) nicht vorhandener Wettbewerb aus technischen Gründen;

c) Schutz von ausschließlichen Rechten, einschließlich der Rechte des geistigen Eigentums.

2Die in Buchstabe b und c festgelegten Ausnahmen gelten nur dann, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist.

4. wenn wegen der äußersten Dringlichkeit der Leistung aus zwingenden Gründen infolge von Ereignissen, die der öffentliche Auftraggeber nicht verursacht hat und nicht voraussehen konnte, die in § 10a EU, § 10b EU und § 10c EU Absatz 1 vorgeschriebenen Fristen nicht eingehalten werden können.

5. 1wenn gleichartige Bauleistungen wiederholt werden, die durch denselben öffentlichen Auftraggeber an den Auftragnehmer vergeben werden, der den ursprünglichen Auftrag erhalten hat, und wenn sie einem Grundentwurf entsprechen und dieser Gegenstand des ursprünglichen Auftrags war, der in Einklang mit § 3a EU vergeben wurde. 2Der Umfang der nachfolgenden Bauleistungen und die Bedingungen, unter denen sie vergeben werden, sind im ursprünglichen Projekt anzugeben. 3Die Möglichkeit, dieses Verfahren anzuwenden, muss bereits bei der Auftragsbekanntmachung der Ausschreibung für das erste Vorhaben angegeben werden; der für die Fortsetzung der Bauarbeiten in Aussicht gestellte Gesamtauftragswert wird vom öffentlichen Auftraggeber bei der Anwendung von § 3 VgV berücksichtigt. 4Dieses Verfahren darf jedoch nur innerhalb von drei Jahren nach Abschluss des ersten Auftrags angewandt werden.

(4) Der wettbewerbliche Dialog ist unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 zulässig.

(5) 1Der öffentliche Auftraggeber kann für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags eine Innovationspartnerschaft mit dem Ziel der Entwicklung einer innovativen Leistung und deren anschließendem Erwerb eingehen. 2Der Beschaffungsbedarf, der der Innovationspartnerschaft zugrunde liegt, darf nicht durch auf dem Markt bereits verfügbare Bauleistungen befriedigt werden können.

Übersicht Rn.
A. Übersicht 1–3
B. Offenes und nicht offenes Verfahren und die anderen Verfahrensarten, § 3a EU Abs. 1 VOB/A 4–12
I. Vorrang und Gleichrangigkeit des offenen und nicht offenen Verfahrens 4, 5
II. Zulässigkeit und Vorrang von offenem und nicht offenem Verfahren 6–9
III. Zulässigkeit der übrigen Verfahrensarten 10, 11
IV. Dokumentationspflicht 12
C. Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb, § 3a EU Abs. 2 VOB/A und des wettbewerblichen Dialoges, § 3a EU Abs. 4 VOB/A 13–39
I. Übersicht 13–17
II. Die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers können nicht ohne die Anpassung bereits verfügbarer Lösungen erfüllt werden, § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. a VOB/A 18–21
III. Der Auftrag umfasst konzeptionelle oder innovative Lösungen, § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. b VOB/A 22–24
IV. Der Auftrag kann aufgrund konkreter Umstände, die mit der Art, der Komplexität oder dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen oder den damit einhergehenden Risiken zusammen­hängen, nicht ohne vorherige Verhandlung vergeben werden, § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/A 25–30
V. Die technischen Spezifikationen können von dem öffent­lichen Auftraggeber nicht mit ausreichender Genauigkeit unter Verweis auf eine Norm, eine europäische technische Bewertung (ETA), eine gemeinsame technische Spezifikation oder technische Referenzen im Sinne des Anhanges TS Nummern 2 bis 5 der Richtlinie 2014/24/EU erstellt werden, § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. d VOB/A 31–33
VI. Aufhebung eines offenen oder nicht offenen Verfahrens, § 3a EU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A 34–39
1. Aufhebung der Ausschreibung nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 1 und 3 VOB/A 34–36
2. Dokumentationspflicht 37
3. Rechtsschutz 38, 39
D. Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung eines Teilnahmewettbewerbs, § 3a EU Abs. 3 VOB/A 40–71
I. Allgemeines 40, 41
II. Fortführung der Beschaffung mit den im vorangegangenen Verfahren ermittelten Teilnehmern am Wettbewerb, § 3a EU Abs. 3 Nr. 1 VOB/A 42–44
III. Keine oder keine geeigneten Teilnahmeanträge/Angebote in einem vorangegangenen offenen oder nicht offenen Verfahren, § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A 45–52
1. Keine Angebote oder Teilnahmeanträge in einem vorangegangenen offenen oder nicht offenen Verfahren, § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 lit. a VOB/A 49
2. Nur ungeeignete Angebote oder nur ungeeignete Teilnahmeanträge in einem vorangegangenen offenen oder nicht offenen Verfahren, § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 lit. b VOB/A 50
3. Nur ungeeignete Angebote in einem vorangegangenen offenen oder nicht offenen Verfahren, § 3a EU Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 lit. c VOB/A 51, 52
IV. Die Leistung kann aus bestimmten Gründen nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden, § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 lit. a bis lit. c VOB/A 53–60
1. Allgemeines 53–56
2. Dokumentationspflicht und Rechtsschutz 57
3. Voraussetzungen des § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 VOB/A 58–60
a) Erschaffung oder Erwerb eines einzigartigen Kunstwerks oder einer einzigartigen künstlerischen Leistung als Ziel des Auftrags, § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 lit. a 58
b) Nicht vorhandener Wettbewerb aus technischen Gründen, § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 lit. b und Satz 2 VOB/A 59
c) Schutz von ausschließlichen Rechten einschließlich des Rechts des geistigen Eigentums, § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 lit. c VOB/A und Satz 2 VOB/A 60
V. Äußerste Dringlichkeit der Leistung aus zwingenden Gründen, § 3a EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A 61–66
1. Fristen der §§ 10a EU bis 10c EU VOB/A können aus zwingenden Gründen nicht eingehalten werden 62, 63
2. Die zwingenden Gründe finden ihre Ursache in Ereignissen, die der öffentliche Auftraggeber nicht verursacht hat und auch nicht voraussehen konnte 64
3. Zwischen den Ereignissen und den sich daraus ergebenden zwingenden Gründen äußerster Dringlichkeit der Leistung besteht ein Kausalzusammenhang 65, 66
VI. Wiederholung gleichartiger Bauleistungen, § 3a EU Abs. 3 Nr. 5 VOB/A 67–69
VII. Zulässigkeit des wettbewerblichen Dialogs, § 3a EU Abs. 4 VOB/A 70
VIII. Zulässigkeit der Innovationspartnerschaft, § 3a EU Abs. 5 VOB/A 71
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