Читать книгу Praxiskommentar VOB - Teile A und B - Susanne Roth - Страница 413
C.Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb, § 3a EU Abs. 2 VOB/A und des wettbewerblichen Dialoges, § 3a EU Abs. 4 VOB/A I.Übersicht
Оглавление13Der Anwendungsbereich des Verhandlungsverfahrens mit vorheriger Veröffentlichung eines Teilnahmewettbewerbs ist mit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 deutlich ausgeweitet und der Verfahrensablauf strukturierter geworden. Dies entspricht insgesamt der Intention des Richtliniengebers, der es für den öffentlichen Auftraggeber als äußerst wichtig ansieht, über zusätzliche Flexibilität hinsichtlich der Anwendung des Verhandlungsverfahrens zu verfügen. Es habe sich gezeigt, dass durch diese Verfahrensart grenzüberschreitender Handel besonders hoch sei und dieser weiterhin gefördert werden solle.19 So setzt § 3a EU Abs. 2 VOB/A die einzelnen in Art. 26 Abs. 4 RL 2014/24/EU normierten Fallgruppen, nach denen das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb zulässig sein soll, um. Der vorgesehene Anwendungsbereich für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach § 3a EU Abs. 2 VOB/A ist abschließend und nur unter den genannten Voraussetzungen möglich. § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. a bis d ist inhaltsgleich mit § 14 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 VgV, während § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. d im Gegensatz zu § 14 Abs. 3 Nr 4 VgV strenger formuliert ist, da das Wort „insbesondere“ fehlt. § 3a EU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A stimmt inhaltlich nur teilweise mit § 14 Abs. 3 Nr. 5 VgV überein.
14Nach § 3a EU Abs. 4 VOB/A ist der wettbewerbliche Dialog ebenfalls abschließend nach den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 3a EU Abs. 2 VOB/A zu beurteilen. Liegen also die Voraussetzungen des § 3a EU Abs. 2 VOB/A vor, so hat der öffentliche Auftraggeber ein Wahlrecht zwischen beiden Verfahrensarten in der Weise, dass er entscheiden kann, ob er den Beschaffungsgegenstand selbst vor Beginn des Vergabeverfahrens definiert (Verhandlungsverfahren) oder ob er die Bestimmung des Auftragsgegenstandes erst im Rahmen des Vergabeverfahrens anhand seiner Bedürfnisse vornimmt (wettbewerblicher Dialog).20 Dies entspricht den europarechtlichen Vorgaben des Art. 26 Abs. 4 RL 2014/24/EU sowie den Erwägungsgründen (42) und (43) der RL 2014/24/EU.
15Zu beachten ist bei § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 VOB/A, dass die „Kriterien“ unter lit. a bis d nicht kumulativ erfüllt sein müssen, sondern es ausreichend ist, wenn eines der vier „Kriterien“ erfüllt ist, damit das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb bzw. der wettbewerbliche Dialog als Verfahrensart zulässig ist und der öffentliche Auftraggeber dann noch zwischen beiden wählen kann.
16Die unter § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. a bis d VOB/A formulierten „Kriterien“ sind nunmehr teilweise so unpräzise und unbestimmt und entspringen kaum der üblichen juristischen Terminologie, dass es selbst geschulten und versierten Vergaberechtlern schwer fallen dürfte, hier durchweg von Tatbestandsvoraussetzungen zu sprechen, geschweige denn, sie als unbestimmte Rechtsbegriffe im eigentlichen Sinne zu qualifizieren. Erst recht dürfte es öffentlichen Auftraggebern schwer fallen zu entscheiden, wann die einzelnen Ausnahmetatbestände erfüllt sind. Auch hier zeigt sich wieder die mangelnde Anwenderfreundlichkeit. Nichtsdestotrotz soll der Anwendungsbereich des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb durch diese Kriterien erheblich ausgeweitet werden, was der Intention des Richtliniengebers entspricht (siehe Erwägungsgrund (42) der RL 2014/24/EU). Die Zukunft wird zeigen, ob dies tatsächlich der Fall ist.
17Unabhängig davon, wie man die „Kriterien“, die unstreitig der (abstrakten) Auslegung bedürfen, rechtlich nun qualifizieren will, wird man wohl dem öffentlichen Auftraggeber bei der Bestimmung dieser unbestimmten „Kriterien“ keinen Beurteilungsspielraum (Entscheidungsspielraum) zubilligen können.21 Unbestimmte Rechtsbegriffe unterliegen prinzipiell der vollständigen gerichtlichen Überprüfung, das heißt, es kann trotz aller Unbestimmtheit nur eine Entscheidung richtig und damit rechtmäßig sein. Nur in Ausnahmefällen soll der Exekutive ein Beurteilungsspielraum zustehen, das heißt, im Hinblick auf die Anwendung und Auslegung des unbestimmten (Gesetzes-) Begriffes können mehrere Entscheidungen der Exekutive richtig und rechtmäßig sein. Nach der Verwaltungsrechtsprechung und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes besteht ein Beurteilungsspielraum unbestimmter (Gesetzes-) Begriffe nur bei Prüfungsentscheidungen, prüfungsähnlichen Entscheidungen, beamtenrechtlichen Beurteilungen, Entscheidungen wertender Art durch weisungsfreie, mit Sachverständigen und/oder Interessenvertretern besetzten Ausschüssen, Prognoseentscheidungen und Risikobewertungen vor allem im Bereich des Umwelt- und Wirtschaftsrechtes sowie bei Entscheidungen bezüglich einzelner, dem unbestimmten Rechtsbegriff vorgegebener Faktoren, insbesondere verwaltungspolitischer Art.22 Keiner der vorgenannten Fälle trifft auf die Prüfung des Vorliegens der Ausnahmetatbestände des § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. a bis d VOB/A durch den öffentlichen Auftraggeber zu, sodass die Nachprüfungsinstanzen den Ausnahmetatbeständen den vom öffentlichen Auftraggeber zugrunde gelegten Sachverhalt zu subsumieren haben und damit der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegen.