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IV.Der Auftrag kann aufgrund konkreter Umstände, die mit der Art, der Komplexität oder dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen oder den damit einhergehenden Risiken zusammen­hängen, nicht ohne vorherige Verhandlung vergeben werden, § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/A

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25§ 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/A ist inhaltsgleich mit § 14 Abs. 3 Nr. 3 VgV sowie mit Art. 26 Abs. 4 lit. a Nr. iii RL 2014/24/EU und setzt letzteren um. Dieser Ausnahmetatbestand greift, wenn der öffentliche Auftraggeber auftragsbezogen bestimmte Umstände, die § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/A näher konkretisiert, geltend machen kann und aufgrund derer das Führen von Verhandlungen mit den Bietern erforderlich ist. Der vorliegende Ausnahmetatbestand zeigt Überschneidungen zu der die Zulässigkeit eines wettbewerblichen Dialogs regelnden Vorgängernorm des § 3 EG Abs. 7 Nr. 1 lit. b VOB/A. Danach konnten Bauaufträge im Rahmen eines wettbewerblichen Dialogs vergeben werden, wenn der Auftraggeber objektiv nicht in der Lage war, die rechtlichen oder finanziellen Bedingungen des Vorhabens anzugeben. Nunmehr genügt es, wenn konkrete Umstände dafür vorliegen, dass Verhandlungen stattfinden müssen. Es kommt nicht darauf an, dass eine den Anforderungen der VOB/A genügende Leistungsbeschreibung objektiv unmöglich ist.30

26Im Ergebnis wird der Ausnahmetatbestand nach § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/A dann zum Tragen kommen, wenn zwar keine konzeptionelle oder innovative Lösung im Sinne des § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. b VOB/A Verhandlungen erforderlich macht, weil der öffentliche Auftraggeber die Planung nicht gleichzeitig mit der Ausführung der Bauleistung ausschreibt, gleichwohl aber die Art, die Komplexität oder der rechtliche oder finanzielle Rahmen des Bauauftrages oder die damit einhergehenden Risiken Verhandlungen erforderlich machen. Der Ausnahmetatbestand des § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/A umfasst also in erster Linie Aufträge, die neben der Bauausführung auch die Finanzierung und den Betrieb der zu errichtenden baulichen Anlage umfassen, mithin in der Regel öffentlich-private Partnerschaften mit Ausnahme von Baukonzessionen. Letztere sind nicht nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, sondern nach der Konzessionsverordnung zu vergeben, § 1 KonzVgV in Verbindung mit § 105 Abs. 1 Nr. 1 GWB.

27Bei genauer Betrachtung liegen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens dann, wenn der öffentliche Auftraggeber die Bauleistung selbst (durch Dritte) plant bzw. planen lässt, nur im Hinblick auf den Teilbereich der unterschiedlichen Finanzierungs- und Betriebsmodelle vor. Da öffentlich-private Partnerschaften jedoch eine wirtschaftliche Einheit bilden, kann der öffentliche Auftraggeber gleichwohl den gesamten Auftrag nach § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/A im Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung eines Teilnahmewettbewerbs vergeben.31

28Es dürfte praktisch kaum möglich sein, trennscharf zwischen der Art, der Komplexität sowie dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen bzw. den sich daraus ergebenden Risiken zu differenzieren.32 § 3a Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/A ist daher als einheitlicher Tatbestand zu verstehen: Das Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung eines Teilnahmewettbewerbs ist dann zulässig, wenn Verhandlungen wegen der komplexen Art des Auftrags, die darin besteht, dass der Auftragsgegenstand den rechtlichen und/oder finanziellen Rahmen umfasst und daher mit Risiken verbunden ist, erforderlich sind. Technische Aspekte des Auftrages oder des Bauablaufs sind allerdings – entgegen der Auffassung von Stickler33 – nicht geeignet, die komplexe Art eines Auftrages zu begründen, da insoweit der Ausnahmetatbestand des § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. b VOB/A vorrangig anzuwenden sein dürfte.

29Auch die Fälle, in denen die zu erbringende Bauleistung durch den öffentlichen Auftraggeber durchaus vorher festgelegt werden kann, aber die Kalkulation eines Gesamtpreises aufgrund dem Auftrag immanenter Umstände nicht ohne Spekulation erfolgen kann, sodass es unbillig erscheint, ihre Folgen ohne weiteres, insbesondere ohne Verhandlungen allein dem Bieter aufzuerlegen, gehören zu diesem Ausnahmetatbestand des § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/A.34 Konkret geht es also um die Fälle, in denen die Bauleistung zwar von Anfang an bestimmbar ist, aber das Ausmaß der Arbeiten nicht vorhersehbar und damit für beide Vertragsparteien ein nicht kalkulierbares Risiko ist. Dies ist beispielhaft der Fall bei dem Bau eines Tunnels. Die Beschaffenheit des Tunnels ist für den öffentlichen Auftraggeber ohne weiteres im Einzelnen bestimmbar, jedoch lassen sich die geologischen Gegebenheiten nicht oder nicht immer vorhersagen, sodass deswegen die Erfüllung des Auftrages für beide Vertragsparteien mit einem nicht beherrschbaren (wirtschaftlichen/finanziellen) Risiko behaftet ist. Hier ist es dem öffentlichen Auftraggeber gestattet, mit den Bietern über die Verteilung des bestehenden Risikos zu verhandeln.

30Nach § 20 EU VOB/A, der auf § 8 VgV und dessen Abs. 2 Nr. 6 wiederum auf § 14 Abs. 3 VgV verweist, muss der öffentliche Auftraggeber die Voraussetzungen, die die Anwendbarkeit des vorliegenden Ausnahmetatbestandes rechtfertigen, dokumentieren. Er muss also die Gründe, die sich aus den in § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB genannten Umstände, die mit der Art, der Komplexität oder dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen oder den damit einhergehenden Risiken zusammenhängen, konkret benennen und dokumentieren. Für deren Vorliegen ist der öffentliche Auftraggeber wiederum darlegungs- und beweispflichtig.

Praxiskommentar VOB - Teile A und B

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