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I.Definition der Eignungsleihe

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7Das Prinzip der Eignungsleihe eröffnet Unternehmen die Möglichkeit, sich zum Nachweis ihrer Eignung auf andere Unternehmen zu berufen – ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen. Das bedeutet, dass ein Bewerber oder Bieter nicht selber über die vom Auftraggeber geforderten finanziellen Mittel (Umsatzzahlen etc.) oder technischen Fähigkeiten (Referenzen, technische Geräte etc.) verfügen muss, sondern diesbezüglich auf andere Unternehmen zurückgreifen kann. Auf diese Weise wird auch die Teilnahme von Generalunternehmern an öffentlichen Ausschreibungen ermöglicht.

Keine Rolle spielt es dabei, ob es sich bei dem Bewerber/Bieter um eine Bewerber- oder Bietergemeinschaft handelt. Auch eine Bietergemeinschaft kann sich zum Nachweis der Fähigkeiten und Fachkunde anderer Unternehmen bedienen.7

8Anders als § 63 der Richtlinie 2014/24/EU und auch § 47 VgV beschränkt § 6d EU VOB/A die Eignungsleihe nicht ausdrücklich auf die Bereiche der wirtschaftlichen und finanziellen sowie der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit. Etwas unklar bleibt damit, was für das dritte Kriterium des § 6 EU Abs. 2 VOB/A, die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, gelten soll, für die der Auftraggeber als Nachweis die Eintragung in das Berufs- oder Handelsregister oder in die Handwerksrolle des Sitzes oder Wohnsitzes verlangen kann (vgl. § 6a EU Nr. 1 VOB/A). Da kein Grund ersichtlich ist, warum die Verfasser der VOB/A für Bauleistungen eine explizit andere Regelung treffen wollten als es die Richtlinie und die VgV tun und gute Gründe für ein berechtigtes Interesse der Auftraggeber sprechen, den Nachweis über die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung von dem Bewerber/Bieter selber zu erhalten, ist § 6d EU VOB/A im Sinne einer richtlinienkonformen Auslegung wohl – einschränkend – dahingehend zu verstehen, dass auch bei Bauleistungen eine Eignungsleihe nur im Rahmen der Leistungsfähigkeit zulässig ist.8

Nicht verwechselt werden mit der Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung dürfen die Begriffe der „beruflichen Befähigung“ und „beruflichen Erfahrung“, wie sie in § 6d EU Abs. 1 Satz 3 VOB/A Verwendung finden. Dabei handelt es sich um Angaben zu vergleichbaren Referenzen, technischen Fachkräften und technischen Stellen sowie Studiennachweisen und Bescheinigungen, die Auftraggeber als Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit verlangen können. In diesen Bereichen ist eine Eignungsleihe zulässig unter der Voraussetzung, dass die „verleihenden“ Unternehmen diejenigen Arbeiten, für die die verlangten Kapazitäten oder Erfahrungen benötigt werden, auch selbst ausführen. Im Umkehrschluss ist dies in allen anderen Bereichen nicht zwingend erforderlich.9

9Zwei wegweisende Entscheidungen zum Umfang einer möglichen Eignungsleihe hat der EuGH im Jahr 2016 getroffen. Zunächst hat er sich in seinem Urteil vom 14.1.201610 mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit Auftraggeber in den Vergabeunterlagen Vorgaben dazu machen dürfen, auf welche Weise die Bieter den Nachweis zu erbringen haben, dass ihnen die erforderlichen Mittel, auf die sie sich für ihre Eignung stützen, auch tatsächlich zur Verfügung stehen. In dem dem Vorabentscheidungsverfahren zugrunde liegenden Fall hatte der Auftraggeber vor Zuschlagserteilung den Abschluss eines Kooperationsvertrages oder eine Gesellschaftsgründung zwischen den betreffenden Unternehmen verlangt. Der EuGH nahm dies zum Anlass, um klarzustellen, dass es vergaberechtlich unzulässig ist, bestimmte Nachweise von vornherein auszuschließen. Vielmehr ist es das alleinige Recht des Bieters, sowohl die Art der rechtlichen Verbindung zwischen ihm und dem „leihenden“ Unternehmen als auch die Art und Weise des Nachweises dieser Verbindung frei zu wählen. Der Auftraggeber hat einen Anspruch darauf, dass dem Bieter die Kapazitäten, auf die er sich stützt, tatsächlich zur Verfügung stehen; auf die Art und Weise darf er keinen Einfluss nehmen.

10Die zweite Entscheidung folgte im April 201611 und beschäftigt sich mit Ausnahmen von dem Grundsatz der Zulässigkeit der Eignungsleihe. Wie schon einmal im Jahr 201312 hebt der EuGH hervor, dass eine Eignungsleihe ausscheidet, wenn der zu vergebende Auftrag zwingend die Kapazität eines einzigen Unternehmens (oder ggf. auch einer begrenzten Anzahl von Unternehmen) erfordert. Weiterhin hält der Gerichtshof es für denkbar, dass Auftraggeber in bestimmten Fällen in Anbetracht des Gegenstandes und der Ziele des jeweiligen Auftrags das Recht zur Eignungsleihe einschränken. Als Beispiel wird der Fall genannt, dass sich die Kapazitäten, über die ein Drittunternehmen verfügt und die für die Ausführung des Auftrags erforderlich sind, nicht auf den Bewerber oder Bieter übertragen lassen, sodass dieser sich nur dann auf die genannten Kapazitäten berufen kann, wenn sich das betreffende Drittunternehmen unmittelbar und persönlich an der Ausführung des Auftrags beteiligt. Unter solchen Umständen darf ein Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen ausdrücklich genaue Regeln für eine Eignungsleihe angeben, so diese mit dem Gegenstand und den Zielen des betreffenden Auftrags zusammenhängen und diesen angemessen sind.

Damit wird Auftraggebern ein gewisser Spielraum zuerkannt, in engen Grenzen zum Gebot der Selbstausführung zurückzukehren. Um das Recht der Bieter auf Eignungsleihe nicht auszuhöhlen, sind sämtliche Ausnahmen jedoch eng auszulegen und die erforderlichen außergewöhnlichen Umstände bedürfen einer sorgfältigen Prüfung und Dokumentation von Seiten des Auftraggebers.

Praxiskommentar VOB - Teile A und B

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