Читать книгу Praxiskommentar VOB - Teile A und B - Susanne Roth - Страница 547
II.Zahlungsunfähigkeit bzw. Insolvenzverfahren (§ 6e EU Abs. 6 Nr. 2 VOB/A)
Оглавление32Nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 2 VOB/A können öffentliche Auftraggeber Unternehmen von einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen zahlungsunfähig ist, über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden ist, die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, sich das Unternehmen im Verfahren der Liquidation befindet oder seine Tätigkeit eingestellt hat.
Der deutsche Gesetzgeber hat sich damit richtlinienkonform (Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie eröffnet den Mitgliedsstaaten insoweit einen Spielraum) dafür entschieden, die Zahlungsunfähigkeit, Insolvenz, Liquidation und Einstellung von Unternehmen in § 124 GWB und identisch in der VOB/A nicht als zwingenden Ausschlussgrund vorzusehen, sondern dem öffentlichen Auftraggeber Ermessen einzuräumen. Das bedeutet, dass alleine das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes einen Ausschluss nicht rechtfertigt; es bedarf jeweils im Einzelfall einer konkreten Überprüfung der Eignung mit dem dem Auftraggeber zustehenden Beurteilungsspielraum und einer nachfolgenden ermessensfehlerfreien Entscheidung über den Ausschluss des Bieters.19
33Dabei ist zwischen den verschiedenen Tatbestandsalternativen des § 6e EU Abs. 6 Nr. 2 VOB/A zu unterscheiden. Wurde ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt, befindet sich ein Unternehmen in Liquidation oder hat es seine Tätigkeit vollständig eingestellt, ist die Eignung in aller Regel zu verneinen. In diesen Fällen ist das Ermessen des Auftraggebers grundsätzlich auf null reduziert.20 Denn im Falle der Ablehnung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens fehlen die finanziellen Mittel, um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken. In diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Bieter über eine hinreichende finanzielle Leistungsfähigkeit für die Auftragsdurchführung verfügt. Befindet sich das Unternehmen in Liquidation oder hat es seine Tätigkeit eingestellt, ist es aus dem Verfahren auszuschließen, da es nicht mehr die Gewähr für eine ordnungsgemäße Durchführung und Vollendung des Auftrags einschließlich einer vertragsgerechten Mängelhaftung bietet.
34Die bloße Beantragung oder Eröffnung eines Insolvenzverfahrens lassen dagegen nicht ohne weiteres die Eignung des Unternehmens entfallen. So kann etwa ein auf Erhalt und Sanierung gerichteter Insolvenzplan eine belastbare Grundlage für eine erfolgreiche Auftragsdurchführung darstellen, während dies umgekehrt bei einem auf Liquidation gerichteten Insolvenzplan nicht der Fall ist. In diesen Fällen ist der Auftraggeber daher verpflichtet, auf Basis des Insolvenzplans oder anderer finanzieller Aufstellungen im Einzelfall eine Prognoseentscheidung zu treffen. Ihn trifft die Obliegenheit, sich um eine möglichst lückenlose Aufklärung zu bemühen und dem Bewerber oder Bieter seine Zweifel an der Leistungsfähigkeit mitzuteilen. Dann wiederum hat dieser dafür Sorge zu tragen, dass dem Auftraggeber für seine Entscheidungsfindung alle aktuellen und aussagekräftigen Informationen zur Verfügung stehen.21
35Nicht eindeutig beantworten lässt sich die Frage, ob auch eine teilweise Einstellung der Unternehmenstätigkeit zu einem Ausschluss mangels Eignung führen kann. Wortlaut und Systematik sprechen dafür, diesen Fall nicht unter § 6e EU Abs. 6 Nr. 2 VOB/A zu subsumieren, da die Regelung die finanzielle Leistungsfähigkeit der Bewerber bzw. Bieter im Blick hat und diese in einer einem Insolvenzverfahren vergleichbaren Weise wohl nur bei einer vollständigen Einstellung betroffen ist.22 Gleichwohl wird in vielen Fällen die Einstellung der für den öffentlichen Auftrag maßgeblichen Unternehmenssparte zu erheblichen begründeten Zweifeln an der Leistungsfähigkeit führen. Eine generelle Herausnahme solcher Fälle aus dem Anwendungsbereich des § 6e EU Abs. 6 Nr. 2 VOB/A erscheint daher nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht angemessen. Vielmehr sollte anhand einer Prüfung im Einzelfall festgestellt werden, ob eine teilweise Einstellung der Unternehmenstätigkeit ausnahmeweise in Bezug auf den konkreten Auftrag einer vollständigen Einstellung gleichkommt, etwa, wenn exakt die Sparte eingestellt wird, die für den ausgeschriebenen Auftrag zuständig gewesen wäre.