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III.Schwere Verfehlung, die die Integrität des Unternehmens in Frage gestellt hat (§ 6e EU Abs. 6 Nr. 3 VOB/A)

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36§ 6e EU Abs. 6 Nr. 3 VOB/A enthält den Ausschlusstatbestand der schweren Verfehlung. Der Wortlaut der Vorschrift hat sich im Zuge der Vergaberechtsreform 2016 etwas verändert. Der Begriff der Zuverlässigkeit wurde durch denjenigen der Integrität ersetzt; gleichzeitig ist als neue Voraussetzung hinzugekommen, dass die Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit begangen wurde. Gleichwohl hat sich der inhaltliche Anwendungsbereich der Regelung nicht verändert.

37Nach wie vor kommt dem Tatbestand der schweren Verfehlung häufig als Auffangtatbestand unter den Ausschlussgründen Bedeutung zu.23 Hintergrund ist, dass ein Ausschluss nach § 6e EU Abs. 6 VOB/A insbesondere auch dann in Betracht kommen kann, wenn hinsichtlich einer der in § 6e EU Abs. 1 VOB/A aufgeführten Straftaten noch keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt oder wenn eine nicht in dem Katalog der zwingenden Ausschlusstatbestände enthaltene Straftat begangen wurde.24

38Um den Ausschluss eines Bewerbers/Bieters aus dem Vergabeverfahren auf eine schwere Verfehlung stützen zu können, müssen drei voneinander zu trennende Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen die tatbestandliche Feststellung, dass nachweislich eine schwere Verfehlung vorliegt, die im Rahmen der beruflichen Tätigkeit begangen wurde und dem Unternehmen zuzurechnen ist (1), dann die Prognose, ob aufgrund dieses Sachverhaltes die Integrität des Unternehmens in Frage gestellt ist (2) und schließlich die fehlerfreie Ermessensausübung (3).

39Dem Auftraggeber steht sowohl bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der schweren Verfehlung als auch der Prognoseentscheidung ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar ist.25 Die Prognose, ob die Integrität des Unternehmens aufgrund der begangenen Verfehlung für eine Auftragserteilung zu stark in Frage gestellt ist, ist auf den konkreten ausgeschriebenen Auftrag zu beziehen und hat alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Ist der Auftraggeber trotz der schweren Verfehlung davon überzeugt, dass der Bieter den Auftrag ordnungsgemäß ausführen wird, darf dessen Angebot nicht ausgeschlossen werden.26

40Unter den Begriff der Verfehlung kann im Grundsatz jedes schuldhafte Verhalten fallen, das im Rahmen der beruflichen Tätigkeit begangen wurde und durch das die Integrität des Unternehmens in Frage gestellt wird.27 Bereits vor der Neufassung der Regelung wurde ein einschränkendes Verständnis dahingehend diskutiert, dass die Verfehlung im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen muss. Durch die sprachliche Ergänzung wurde der Berufsbezug nunmehr ausdrücklich als Voraussetzung aufgenommen. Wie im Rahmen der zwingenden Ausschlusstatbestände des § 6e EU Abs. 1 VOB/A reicht auch hier jede irgendwie geartete Verbindung zu der beruflichen Tätigkeit aus; Fehlverhalten im vollständig privaten Bereich kann jedoch nicht als Ausschlussgrund herangezogen werden. Damit eine Verfehlung als schwer eingestuft werden kann, muss sie schuldhaft begangen worden sein und erhebliche Auswirkungen haben.28

41Als schwere Verfehlung, die einen Ausschluss des Unternehmens rechtfertigen kann, kommt unter anderem ein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften wie eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit von einigem Gewicht in Betracht, insbesondere, wenn der Verstoß sich auf die Auftragsdurchführung bezieht.29 Eine rechtskräftige Verurteilung ist für die Nachweislichkeit in diesem Fall nicht erforderlich.30 Auch ist es nicht erforderlich, die Anklageerhebung oder Eröffnung des Hauptverfahrens abzuwarten.31 Unbestimmte Vorwürfe, Vermutungen oder ein Verdacht genügen allerdings nicht.32 Die Feststellung einer schweren Verfehlung durch den Auftraggeber muss vielmehr auf einer gesicherten Erkenntnisgrundlage beruhen.33 Das bedeutet beispielsweise im Falle von Straftaten, dass es in der Regel nicht ausreicht, sich auf ein laufendes Ermittlungsverfahren zu berufen, auch wenn dieses bereits eine Weile andauert. Erforderlich ist, dass es mindestens vorläufige Ermittlungsergebnisse gibt, die etwa im Rahmen eines Haftbefehls oder der Eröffnung des Hauptverfahrens einer gerichtlichen Prüfung standgehalten haben.34

Ein weiterer, praxisrelevanter Bereich ist die Annahme einer schweren Verfehlung aufgrund der Verletzung vertraglicher Verpflichtungen, etwa im Rahmen früherer Beauftragungen. Grundsätzlich kann die Nichterfüllung vertraglicher Pflichten als eine Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit angesehen werden.35 Allerdings stellt nicht jede mangelhafte Vertragserfüllung auch eine schwere Verfehlung dar. Der EuGH fordert einschränkend vorsätzliches oder zumindest nicht nur leicht fahrlässiges Handeln des Unternehmens.36 Ebenso scheidet eine schwere Verfehlung aus, wenn der Bewerber/Bieter im Zusammenhang mit einem früheren Auftragsverhältnis lediglich eine andere Rechtsauffassung vertritt als der Auftraggeber oder hohe Nachtragsforderungen gestellt hat, sofern letztere nicht offensichtlich unbegründet sind.37 Generell genügt die anwaltliche Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen gegen den Auftraggeber38 ebenso wenig wie kritische, aber noch sachliche Presseäußerungen.39

42Hinsichtlich der Zurechnung gilt § 6e EU Abs. 3 VOB/A entsprechend, sodass auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.

43Voraussetzung für einen Ausschluss ist, dass die schwere Verfehlung nachweislich begangen wurde. Die Darlegungs- und Beweislast liegt mithin beim öffentlichen Auftraggeber.40 Hierfür wird der Auftraggeber allerdings in der Regel auf die Kooperation des Bewerbers/Bieters angewiesen sein, den in Form einer sekundären Darlegungslast die Obliegenheit zur Mitwirkung trifft. Verletzt der Bewerber/Bieter diese Obliegenheit und bleibt der Auftraggeber aufgrund dessen im Unklaren über das Vorliegen eines Ausschlussgrundes, kann dies einen Ausschluss aus dem Vergabeverfahren begründen.41

Praxiskommentar VOB - Teile A und B

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