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493.Doppel-/Mehrfachbeteiligungen

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Ein anderer Bereich, der regelmäßig den Verdacht einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung begründen kann, ist derjenige der Doppel- oder Mehrfachbeteiligung von Unternehmen an einem Vergabeverfahren. Die Problematik besteht in solchen Fällen darin, dass das betreffende Unternehmen inhaltliche Kenntnis von mehreren Angeboten hat und dadurch der vergaberechtliche Geheimwettbewerb beeinträchtigt wird.51

50Im Hinblick auf das Vorliegen eines Ausschlussgrundes ist zwischen mehreren verschiedenen Konstellationen zu unterscheiden:

51a) Beteiligung als Bieter und als Mitglied einer Bietergemeinschaft. Gibt ein Unternehmen als Einzelbieter ein Angebot ab und beteiligt sich gleichzeitig als Mitglied einer Bietergemeinschaft an demselben Verfahren, führt dies nach allgemeiner Auffassung in aller Regel zum Ausschluss beider Angebote.52 Begründet wird dies mit der bei Gründung einer Bietergemeinschaft notwendigen Offenlegung interner Daten sowie der Abstimmung der Leistungsanteile und Preise, die vermuten lässt, dass der Geheimwettbewerb zwischen den Unternehmen nicht gewahrt ist. Eine Ausnahme wird lediglich bei Sonderfällen diskutiert, in denen Einzelbieter und Bietergemeinschaft zwar beide ein Angebot abgeben, jedoch keine echte Konkurrenzsituation vorliegt, da sie sich z. B. für unterschiedliche Leistungsteile bewerben.53

52Während in Deutschland lange Zeit der Grundsatz galt, dass im Falle einer Doppelbeteiligung als Einzelbieter und Mitglied einer Bietergemeinschaft der Auftraggeber automatisch zum Ausschluss sämtlicher betroffener Angebote berechtigt sei, ohne weitere Nachforschungen anstellen zu müssen,54 ist diese Vorgehensweise seit der „Serrantoni“-Entscheidung des EuGH55 nicht mehr haltbar.56 Der Gerichtshof hat in diesem Urteil entschieden, dass ein pauschaler Ausschluss ohne Anhörung des betroffenen Unternehmens und Durchführung einer Einzelfallprüfung einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darstellt. Auftraggeber sind damit nunmehr gehalten, im Falle von Doppelbeteiligungen dem Bieter die Möglichkeit einzuräumen, die Annahme eines Verstoßes gegen den Geheimhaltungswettbewerb zu wiederlegen. Im Anschluss daran hat der Auftraggeber unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, ob ein Ausschluss gemäß § 6e EU Abs. 6 Nr. 4 VOB/A gerechtfertigt ist. Fällt eine Doppelbeteiligung bereits im Rahmen eines vorgeschalteten Teilnahmewettbewerbs auf, der als solcher noch keinen Geheimwettbewerb darstellt, kann es ratsam sein, die betroffenen Unternehmen auf die Gefahr einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung und einen möglichen späteren Ausschluss der Angebote hinzuweisen.

53b) Verdeckte Bietergemeinschaften. Einen in der Praxis ebenfalls häufigen, jedoch schwieriger zu beurteilenden Fall stellen sog. verdeckte Bietergemeinschaften dar. Unter diesem Begriff werden Konstellationen zusammengefasst, in denen Unternehmen sich im Vorfeld der Angebotsabgabe abstimmen, evtl. eine Bietergemeinschaftsgründung in Erwägung ziehen und häufig auch ihre Kalkulationsgrundlagen besprechen, dann jedoch jeweils einzeln Angebote abgeben.

Hier gilt allgemein der Grundsatz, dass eine potentielle Wettbewerbsbeeinträchtigung ebenso wie bloße Vermutungen oder Verdachtsmomente nicht ausreichend sind.57 Der Verstoß gegen den Geheimwettbewerb und die damit einhergehende Wettbewerbsbeschränkung müssen jeweils anhand konkreter Umstände nachgewiesen werden.

54Zu der Frage, welche Anhaltspunkte ausreichen, um einen Verstoß gegen den Geheimwettbewerb anzunehmen, gibt es eine umfangreiche Einzelfallrechtsprechung, die als Maßstab herangezogen werden kann. So können sich aus den Angeboten selbst Hinweise auf ein wettbewerbswidriges Verhalten ergeben, die einen Ausschluss rechtfertigen. Entscheidungen gibt es beispielsweise zu identischen Textpassagen,58 Ähnlichkeiten bei Inhalt und Layout der Angebote59 und der Unterzeichnung durch dieselbe Person sowie Parallelen in der Aufmachung bis hin zu ähnlichen orthografischen Fehlern.60 Ebenso können strukturelle oder personelle Verflechtungen auf eine Verletzung des Geheimwettbewerbs schließen lassen. Bejaht wurde dies etwa bei der Erstellung parallel abgegebener Angebote durch denselben Sachbearbeiter61 oder die parallele Teilnahme zweier Unternehmen, die von den Mitgliedern derselben Familie gehalten werden.62 Schließlich können auch sonstige Umstände wie ein fast zeitgleicher Abruf von Vergabeunterlagen,63 identische Geschäftsräume64 oder die gemeinsame Nutzung von Lagern und Fahrzeugen65 Indizien für einen Verstoß gegen den Geheimwettbewerb darstellen. Im Ergebnis ist stets der Gesamteindruck im Einzelfall entscheidend.

55Einen Sonderfall stellt die Beteiligung konzernverbundener Unternehmen an einem Vergabeverfahren dar. Auch hier gilt, dass die Beteiligung an sich keinen Ausschluss rechtfertigt, sondern ein tatsächlicher Verstoß gegen den Geheimhaltungsgrundsatz vorliegen muss. Nach der Rechtsprechung insbesondere des OLG Düsseldorf besteht jedoch im Falle einer Beteiligung mehrerer konzernverbundener Unternehmen an einem Verfahren grundsätzlich eine widerlegbare Vermutung dafür, dass der Geheimwettbewerb zwischen ihnen nicht gewahrt ist – ohne, dass es besonderer Anhaltspunkte wie personeller, inhaltlicher oder räumlicher Überschneidungen bedarf.66 Die Folge ist eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Demnach obliegt es den Unternehmen, diejenigen Umstände und Vorkehrungen aufzuzeigen und nachzuweisen, die die Unabhängigkeit und Vertraulichkeit der Angebotserstellung gewährleisten. Nicht zulässig ist dagegen ein Ausschluss ohne entsprechende Äußerungsmöglichkeit der betroffenen Unternehmen. Da es gerade in Fällen effektiver Trennungsvorkehrungen wie Chinese-Walls o. Ä. denkbar ist, dass die konzernverbundenen Unternehmen gar nichts von der beiderseitigen Beteiligung wissen, ist es daher Aufgabe des Auftraggebers, einen entsprechenden Hinweis zu erteilen, sobald ihm die Beteiligung der konzernverbundenen Unternehmen auffällt.67

56c) Beteiligung als Nachunternehmer. Das Auftreten eines Unternehmens einerseits als Bieter und andererseits als Nachunternehmer ist, ebenso wie die mehrfache Beteiligung als Nachunternehmer mehrerer Bieter in einem Vergabeverfahren, grundsätzlich zulässig und begründet keinen Ausschlussgrund.68 Denn Nachunternehmer kennen in aller Regel nicht die Angebotsinhalte des Bieters, sodass auch nicht davon ausgegangen werden kann, ein Nachunternehmer würde die verschiedenen Bieter gegenseitig über die Angebote der Konkurrenz in Kenntnis setzen.

Ein Ausschluss aufgrund einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung ist daher regelmäßig nur dann gerechtfertigt, wenn weitere Tatsachen hinzukommen, die nach Art und Umfang des Nachunternehmereinsatzes sowie mit Rücksicht auf die Begleitumstände eine Kenntnis von dem zu der Ausschreibung abgegebenen Konkurrenzangebot annehmen lassen.69

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