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VII.Mangelhafte Leistungserbringung (§ 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A)

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64Der durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2016 neu eingeführte Ausschlussgrund des § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A ermöglicht den Ausschluss in Fällen, in denen ein Bewerber/Bieter eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Zuvor waren Fälle der Schlechtleistung unter den Auffangtatbestand der schweren Verfehlung subsumiert oder im Rahmen der allgemeinen Eignungsprüfung berücksichtigt worden.77

65Durch die neue Regelung, die sich insbesondere durch das Tatbestandsmerkmal der auf der Schlechtleistung beruhenden Vertragsbeendigung oder Schadensersatzforderung von der bisherigen Rechtslage unterscheidet, soll in diesem sehr praxisrelevanten Bereich mehr Rechtssicherheit geschaffen werden. Gleichwohl wird der Auftraggeber nicht von der Pflicht entbunden, in jedem Einzelfall unter Abwägung der Umstände eine Prognoseentscheidung für die Durchführung des ausgeschriebenen Auftrags zu treffen.

66Voraussetzung für einen Ausschluss ist zunächst, dass die Vertragsstörung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags aufgetreten ist. Gemeint sind damit Vertragsverhältnisse mit einem öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber im Sinne der §§ 99, 100 GWB, die einen Auftrag oder eine Konzession zum Gegenstand hatten. Nicht erforderlich ist, dass es sich um ein Vertragsverhältnis mit demselben Auftraggeber gehandelt hat, der sich auf den Ausschlussgrund berufen möchte.78

67Im Rahmen eines solchen Vertrages muss es zu einer erheblichen oder fortdauernden mangelhaften Erfüllung gekommen sein. Erwägungsgrund 101 der Richtlinie 2014/24/EU führt als Beispiele den Lieferungs- oder Leistungsausfall oder erhebliche Defizite der gelieferten Waren oder Dienstleistungen an, die sie für den beabsichtigten Zweck unbrauchbar machen.

68Im Allgemeinen kann von einer erheblichen Schlechtleistung ausgegangen werden, wenn die mangelhafte Leistung den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belastet.79 Eine fortdauernde, mangelhafte Erfüllung liegt dagegen vor, wenn ein Unternehmen über einen längeren Zeitraum hinweg regelmäßig mangelhaft leistet, ohne dass es sich jeweils um erhebliche Schlechtleistungen handeln muss. Vielmehr können auch wiederholte Fälle kleinerer Unregelmäßigkeiten eine negative Prognose begründen.80

69Die mangelhafte Erfüllung muss sich auf eine wesentliche Anforderung beziehen. Die Frage, was eine wesentliche Anforderung ist, lässt sich – ebenso wie die Einordnung einer mangelhaften Erfüllung als erheblich, nicht abstrakt, sondern nur konkret auf den jeweiligen Auftrag bezogen beantworten.81 Grundsätzlich wesentlich sind alle Hauptpflichten eines Vertrages, es können aber auch andere Pflichten erfasst sein, wenn ihnen im Einzelfall erkennbar eine erhebliche Bedeutung zukommt. So nennt die Gesetzesbegründung zu § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB beispielhaft wesentliche Sicherheitsauflagen oder eine Vertraulichkeitsverpflichtung.82 Auch die Bauförderungspflicht des Bauunternehmers zählt zu den Vertragspflichten, deren Verletzung einen Ausschluss nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A rechtfertigen kann.83

70Schließlich muss die Schlechtleistung zu einer vorzeitigen Beendigung des Auftragsverhältnisses, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt haben. Die Rechtsfolge muss von dem Auftraggeber initiiert worden sein und kausal auf der Schlechtleistung beruhen; eine ordentliche Kündigung beispielsweise erfüllt nicht den Tatbestand des § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A. Die vorzeitige Beendigung des Auftragsverhältnisses muss zudem rechtmäßig erfolgt sein. Insoweit stellt sich die Frage, inwieweit im Vergabeverfahren eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Vertragsbeendigung zu prüfen ist und geprüft werden kann. Eine vollständige Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung, eines Schadensersatzanspruches oder einer vergleichbaren Rechtsfolge ist im Vergabeverfahren weder durchführbar noch erforderlich; das bleibt Aufgabe der Zivilgerichte. Allerdings werden unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, welche Anforderungen an den Nachweis der Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes zu stellen sind, wenn der Bieter die Beendigung des Auftrags nicht akzeptiert. Klar ist, dass die Tatsachen, auf die die Ausschlussentscheidung nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A gestützt wird, nicht unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sein müssen; insbesondere steht ein anhängiger Zivilprozess einem Ausschluss nicht entgegen,84 auch ein Vollbeweis ist nicht erforderlich.85 Sowohl der öffentliche Auftraggeber als auch die Nachprüfungsinstanzen dürfen sich daher auf die Feststellung beschränken, dass eine Kündigung nicht völlig ohne konkret greifbaren Anlass oder erkennbar missbräuchlich erfolgte.86 Der Nachweis einer berechtigten Kündigung kann z. B. durch Indiztatsachen von einigem Gewicht und gesicherten Erkenntnissen aus seriösen Quellen erfolgen, die den Ausschluss des Bieters als nachvollziehbar erscheinen lassen87 bzw. vernünftigen Zweifeln Schweigen gebieten.88 Soweit es in der Literatur anders lautende Auffassungen gibt, die teilweise aufgrund des Beschleunigungsgebots eine Glaubhaftmachung der Ausschlussgründe für ausreichend erachten,89 haben sich diese bislang nicht durchgesetzt.

Als vergleichbare Rechtsfolgen kommen solche in Betracht, die hinsichtlich ihres Schweregrades mit der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses oder einem Schadensersatzverlangen vergleichbar sind. Denkbar wären etwa das Verlangen umfangreicher Nachbesserungen oder eine Ersatzvornahme.90

Wichtig ist, dass der Auftraggeber, der sich auf den Ausschlussgrund des § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A berufen möchte, sich nicht auf die Feststellung der Tatsachen (Vorliegen einer Schlechtleistung, kausale Beendigung des Auftragsverhältnisses) beschränken darf, sondern eine eigene Bewertungs- und Prognoseentscheidung treffen muss. Denn ihm obliegt es, das Verhalten des Wirtschaftsteilnehmers auf Basis aller relevanten Umstände zu prüfen und im Ergebnis zu bewerten, ob der Bieter aus seiner Sicht im Rahmen des früheren Auftrags für erhebliche und dauerhafte Mängel verantwortlich war, die unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dazu führen, dass das Vertrauensverhältnis zu ihm zerstört ist.91

Praxiskommentar VOB - Teile A und B

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