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VIII.Schwerwiegende Täuschung in Bezug auf Ausschluss­gründe oder Eignungskriterien (§ 6e EU Abs. 6 Nr. 8 VOB/A)

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71§ 6e EU Abs. 6 Nr. 8 VOB/A basiert auf Art 57 Abs. 4 lit. h der Richtlinie 2014/24/EU und ermöglicht den Ausschluss eines Unternehmens aus dem Vergabeverfahren, wenn das Unternehmen in Bezug auf Ausschlussgründe oder Eignungskriterien eine schwerwiegende Täuschung begangen oder Auskünfte zurückgehalten hat oder nicht in der Lage ist, die erforderlichen Nachweise zu übermitteln.

72Der Ausschlussgrund bezieht sich nur auf Erklärungen zu Ausschlussgründen oder Eignungskriterien. Begeht ein Unternehmen eine Täuschung in Bezug auf Erklärungen, die lediglich für den Angebotsinhalt Bedeutung haben oder hält es diesbezüglich Auskünfte zurück, liegt darin kein Ausschlussgrund im Sinne des § 6e EU Abs. 6 Nr. 8 VOB/A.

73Eine Täuschung liegt vor, wenn ein Unternehmen es durch aktives oder konkludentes Tun bezweckt, bei dem Auftraggeber einen Irrtum über Tatsachen hervorzurufen. Konkret muss sich die Täuschungshandlung auf das Vorliegen der ­Eignung des betreffenden Unternehmens bzw. das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen beziehen. Dabei ist es für die Verwirklichung des Tatbestandes nicht erforderlich, dass der Auftraggeber in Folge der Täuschung tatsächlich dem bezweckten Irrtum unterliegt. Denn bereits durch das Einwirken auf das Vorstellungsbild des Auftraggebers mit dem Ziel des Hervorrufens eines Irrtums ist die Täuschung als solche beendet. Möglich ist auch eine Täuschung durch Unterlassen, wenn eine entsprechende Aufklärungspflicht besteht. Im Vergabeverfahren ist dies etwa denkbar, wenn sich eignungsrelevante Umstände nachträglich ändern und das Unternehmen dies dem Auftraggeber nicht mitteilt.92

74Um einen Ausschlussgrund darzustellen, muss die Täuschung schwerwiegend sein. Für diese Beurteilung sind jeweils die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Es ist jedoch grundsätzlich von einer schwerwiegenden Täuschung auszugehen, wenn das Unternehmen auf Grundlage der korrekten Tatsachen zwingend aus dem Verfahren auszuschließen wäre und dies durch die Täuschung zu verhindern sucht bzw. verhindert hat.

Nicht erforderlich ist, dass die Täuschung in demselben Vergabeverfahren begangen wurde, in dem der Ausschlussgrund des § 6e EU Abs. 6 Nr. 8 VOB/A angewendet werden soll. Denkbar ist auch ein Ausschluss aufgrund einer in einem früheren Vergabeverfahren begangenen Täuschung, wobei als zeitliche Obergrenze die Vorgaben des § 6f EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A gelten. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der entsprechenden Regelung in der früheren VOL/A, die von „im Vergabeverfahren […] vorsätzlich abgegebenen, unzutreffenden Erklärungen“ sprach. Ein derartiger Anknüpfungspunkt fehlt in den neuen Formulierungen, sodass der Wortlaut keinen Grund mehr dafür enthält, den Ausschlussgrund auf das konkrete Vergabeverfahren zu beschränken. Darüber hinaus sprechen auch der Sinn und Zweck für ein weites Verständnis der Norm. Denn eine schwerwiegende Täuschungshandlung kann auch für zukünftige, folgende Vergabeverfahren eine negative Eignungsprognose begründen.93

75Die zweite Tatbestandsvariante, das „Zurückhalten von Auskünften“ ähnelt dem Fall einer Täuschung durch Unterlassen. Erfasst sind hierbei Fälle, in denen ein Unternehmen dem Auftraggeber durch das Nichtzurverfügungstellen von Informationen ein falsches Bild über seine Eignung vermittelt. Abzugrenzen ist dies von der formellen Unvollständigkeit. Fehlen geforderte Eignungsnachweise, richtet sich ein möglicher Ausschluss nach §§ 16, 16a EU VOB/A.

76Als dritte Variante nennt § 6e EU Abs. 6 Nr. 8 VOB/A die Nichtübermittlung von Nachweisen. Als fakultativer Ausschlussgrund ist diese Formulierung überraschend und erscheint systemwidrig, da für den Fall der Nichtvorlage von geforderten Nachweisen bereits abschließende Regelungen in den §§ 16, 16a EU VOB/A bestehen, ohne dass es auf das Ermessen oder eine Prognoseentscheidung des Auftraggebers ankäme.

77Wichtig für das Verständnis ist der Rückgriff auf den Wortlaut von Art. 57 Abs. 4 lit. h der Richtlinie 2014/24/EU, der durch die Aufnahme in das nationale Recht umgesetzt werden soll.94 Dort wird der Begriff der erforderlichen Nachweise durch einen Verweis auf Art. 59 der Richtlinie spezifiziert. Gemeint ist demnach der Fall, dass ein Unternehmen eine Einheitliche Europäische Eigenerklärung vorgelegt und darin die förmliche Erklärung abgegeben hat, dass Ausschlussgründe nicht vorliegen, die jeweiligen Auswahlkriterien erfüllt sind und das Unternehmen darüber hinaus in der Lage ist, auf Anfrage unverzüglich die zusätzlichen, zum Nachweis der abgegebenen Erklärung erforderlichen Unterlagen zu beschaffen. Ist das Unternehmen in der Folge trotz dieser Zusage nicht in der Lage, auf Anfrage die benötigten zusätzlichen Unterlagen vorzulegen, handelt es sich letztendlich nur um einen Unterfall der Täuschung. Denn die in der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung abgegebene Erklärung entsprach dann nicht der Wahrheit.

78Vor diesem Hintergrund ist die unklare, deutsche Regelung europarechtskonform einschränkend auszulegen. Anders als die ersten beiden Alternativen kommt dieser Ausschlussgrund immer nur in Bezug auf das konkrete Vergabeverfahren in Betracht. Die Tatsache, dass ein Unternehmen in einem früheren Verfahren entgegen seiner Aussage in der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung (EEE) nicht in der Lage war, die zusätzlichen Unterlagen vorzulegen, entbindet den Auftraggeber nicht von der Pflicht, im Falle der Erforderlichkeit die zusätzlichen Unterlagen selber anzufragen.

Praxiskommentar VOB - Teile A und B

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