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LEUCHTEND GELB – CAROTINOIDE
ОглавлениеProvitamin A, β-Carotin, gehört zu den Carotinoiden, einer Molekülklasse, die vorwiegend aus Kohlen- und Wasserstoffen aufgebaut sind, aber aufgrund ihrer chemischen Struktur und ihrer durch die konjugierten Doppelbindungen ausgeprägt vorhandenen π-Elektronenstruktur extrem oxidativ sind und somit als gesundheitlich wertvolle „Radikalfänger“ wirken. Seine Elektronenstruktur ist verantwortlich für die leuchtend gelbe Farbe der Karotten, der Orangen oder sogar des Eigelbs. Aber auch in vielen Blattgemüsesorten kommt β-Carotin reichlich vor. Der chemische Aufbau des Carotins sorgt für seine Fettlöslichkeit und damit für seine Farbstabilität beim Kochen: Carotinoide ändern die Farbe nicht, solange sie intakt bleiben.
Eine Kochregel lautet: „Farbstoffreiches Gemüse sollte a) erwärmt werden, damit die Inhaltsstoffe besser verfügbar sind, und b) immer mit etwas Fett gegart werden.“ Dass diese Regel tatsächlich sinnvoll ist, zeigt ein Blick auf die molekularen Vorgänge beim Kochen. Die Inhaltsstoffe, um die es hier geht, sind vorwiegend Farbstoffmoleküle. Sie sind in dem LHC-Komplex zwar nicht chemisch (also nicht kovalent), aber fest (über van-der-Waals-Wechselwirkungen) verankert. Physiologisch wirksam sind sie jedoch nur, wenn sie freigesetzt werden. Dafür müssen die LHC-Komplexe erstens aus der Zellmembran gelöst und zweitens denaturiert werden, damit sie die Farbstoffmoleküle freigeben. Das kann nach den gängigen Gesetzen der Physik nur über die Temperatur gesteuert werden. Die Membranen werden thermisch aufgeweicht und die Lichtsammelproteine aus der Form gebracht.
Die beim Erwärmen freigegebenen Farbstoffe stehen dem Organismus im Prinzip zur Verfügung. Ihre physiologisch positive Wirkung können sie jedoch nur entfalten, wenn sie als einzelne Moleküle vorliegen und sich frei bewegen können. Einzeln können sie mit ihrer hohen Zahl an Elektronen als Radikalfänger wirken, denn diese Doppelbindungen können durch Oxidation „freie Radikale“ unschädlich machen und deren freie Elektronen bzw. Ladungen absättigen, sodass eine Zellschädigung nicht mehr möglich ist. Einzeln, d. h. schön sauber getrennt, liegen die fettlöslichen Moleküle aber nur vor, wenn sie in einem guten Lösungsmittel schwimmen können: in Fett. In Wasser hingegen schützen sie sich gegenseitig, indem sie sich zusammenlagern und feste Kristalle bilden, sodass nur noch die äußersten Moleküle an der Oberfläche mit dem ungeliebten Wasser Kontakt haben (siehe Abbildung). In dieser kristallinen Form sind die Farbstoffmoleküle physiologisch bedeutungslos.
CAROTINE IN WURZELGEMÜSE Beim Wurzelgemüse liegt ein großer Teil der Carotinoide nicht im Lichtsammlerkomplex LHC vor, sondern kristallin in einer anderen Form von Chloroplasten. Dabei befindet sich das Carotin in hochkristalliner Form in einem Kern, der von Phospholipiden umspannt ist, an dessen polaren Enden Proteine mit einer hydrophilen Hülle ankoppeln.
Im Fett (links) lösen sich die Carotinoide gut, die Moleküle sind separiert und somit physiologisch leicht verfügbar. In einer wässerigen Umgebung (rechts) hingegen versuchen sich die Carotinoidmoleküle vom „ungeliebten“ Wasser abzuschirmen
Chromoplasten in Wurzelgemüse: Die Carotinkristalle sind in einem Kern eingeschlossen, der von den hydrophoben Teilen Phospholipiden gegenüber Fibrillen (äußere Schale) stabilisiert ist. Die Fibrillen sind aus hochorientierten Proteinkomplexen aufgebaut, an denen der hydrophile Teil der Phospholipide gebunden ist.
Die Bindungsenergie dieser Strukturen ist sehr viel höher als jene der LHC (Chloroplasten). Dies liegt vor allem an der sehr stabilen fibrillären Struktur der Hüllenproteine. Daher ist es ungleich schwieriger, das Carotin freizusetzen. Darüber hinaus weisen die Kristalle des β-Carotins eine Schmelztemperatur von ca. 178 °C auf, sie schmelzen also bei den üblichen Kochtemperaturen nicht und können nur aufgelöst werden, wenn ihnen Fett als Lösungsmittel angeboten wird. Somit erweist sich die Regel „Erhitzen und Fettzugabe“ als goldrichtig. Dieser Lösungsmitteleffekt lässt sich in der Küche leicht beobachten: Möhren, die in farblosem Öl (etwa Traubenkernöl, Palmfett oder Kokosöl) gedünstet werden, färben das Öl leuchtend gelb.
Allerdings gibt es auch hier physikalisch-chemische Einschränkungen. Am wirksamsten ist β-Carotin nämlich in seiner alltrans-Form, d. h., geometrisch ist das Molekül eine gestreckte Kohlenstoffzickzackkette mit einer ganzen Reihe konjugierter Doppelbindungen. Die konjugierten Doppelbindungen verhindern eine Drehbarkeit der Kohlenstoffbindungen, die Geometrie des Moleküls ist daher sehr stabil. Bei höheren Temperaturen steigt jedoch thermodynamisch die Wahrscheinlichkeit, dass die Rotationsbarriere überwunden wird. Dann bilden sich eine ganze Reihe cis-Formen des Moleküls. Die Struktur ist dann nicht mehr linear, sondern „abgeknickt“ (bei einer cis-Doppelbindung oder „geknickt“ bei zwei cis-Doppelbindungen). Diese cis-Formen sind in ihrer biologischen Wirkung weit weniger aktiv als die alltrans-Form. Aus einem trans-β-Carotin entstehen zwei Vitamin-A-Moleküle, aus einem geknickten maximal noch eines. Daher sind zu hohe Temperaturen und zu lange Kochzeiten für das β-Carotin wiederum eher kontraproduktiv.
LYCOPIN Diese Überlegungen sind nicht auf Möhren und deren β-Carotin beschränkt, sondern für viele Gemüsearten relevant. Ein weiteres Beispiel dafür sind Tomaten. Meldungen wie „Ketchup ist gesund“ oder „gekochte Tomaten sind besser als rohe“ lassen sich mit dem beschriebenen Ansatz verstehen. Der rote Farbstoff in Tomaten wird vorwiegend durch das Lycopin bestimmt, das ebenfalls zu den Carotinoiden gehört und in seiner Struktur dem β-Carotin ähnelt. Es ist reich an Elektronen, wird von den Lichtsammlerkomplexen in die Membranwand eingebaut und muss durch Kochprozesse daraus gelöst werden. Damit ist auch klar, warum der Anteil des Lycopins mit der Kochzeit steigt. Es werden immer mehr Proteine denaturiert und Farbstoffmoleküle freigegeben. Auch Lycopin verwandelt sich während des Kochens in verschiedene cis-Formen (5-cis-Lycopin, 9-cis-Lycopin, 13-cis-Lycopin, 15-cis-Lycopin, wobei die Zahl die Nummer des Kohlenstoffs angibt, bei der die trans-cis-Umwandlung geschieht). Wie beim Carotin sind dann die Moleküle nicht mehr linear, sondern abgewinkelt. Im Gegensatz zum β-Carotin ist das allerdings in diesem Fall von Vorteil, denn mit der Anzahl der „Knicke“ steigt hier die biologische Aktivität. Der Grund dafür ist wieder in der Physik zu suchen: Die cis-Form der Moleküle verhindert eine perfekte Kristallisation der lipophilen Moleküle in der wässrigen Umgebung. Die Moleküle lagern sich daher nicht zu festen, großen Kristallen zusammen, sondern lediglich zu lockeren Strukturen. So bleiben die Moleküle weitgehend separiert und sind biologisch besser verfügbar.
Unter dem Aspekt der Löslichkeit und des Temperaturverhaltens von Farbstoffen ist Rohkost also nicht per se „gesund“, sondern sogar „ungesund“ und kann nur ein Bestandteil einer genussvollen Ernährung sein. Und in italienischen Küchen stundenlang mit Olivenöl gekochte Tomatensauce ist kein „totgekochtes Essen“, sondern eine reichhaltige Quelle für bioverfügbares Lycopin. Apropos Genuss: Ganz nebenbei ist damit die Bedeutung der „klaren Tomatensuppe“ gelöst, die immer wieder für Überraschung sorgt, weil sie trotz des intensiven Tomatengeschmacks keine rote Farbe zeigt. Da sich der Farbstoff nur in Fett löst, kann durch einfaches Filtern von pürierten Tomaten in einem Küchentuch ein nahezu transparentes Tomatenwasser gewonnen werden.