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Blähungen bei Gemüse sind in den wenigsten Fällen auf Allergien oder schwere Unverträglichkeiten zurückzuführen. Eher sind die Ursachen in den Pflanzen und Gemüsen selbst zu suchen – und in der Beschaffenheit der Darmflora von Individuen.
NEUE TECHNIKEN IN DER GEMÜSEKÜCHE
Zurück zur Kultur und zu den Basiszuständen des Kochens. Die konsequente Erweiterung des Begriffs „roh“ zu „pseudoroh“ – also mit „kulturellen Handlungen“ und moderner Küchentechnologie wie sanfte Temperaturerhöhungen, Marinieren, Beizen und Fermentieren unter Kenntnis der molekularen Veränderungen veränderte Lebensmittel –, führt zu einer neuen Kochlandschaft und zu vielen Zwischenstationen auf dem Weg von „roh“ nach „gar“ und „roh“ nach „fermentiert“. Das erweiterte „roh“ wird damit Teil einer ganz neuen Kochtechnik und Küchenkultur. Vor allem aber bieten „roh“ und „pseudoroh“ eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten einer Geschmacks- und Aromavielfalt, neue Texturen mit bestechendem Mundgefühl und nicht zuletzt neue Ansätze zur Tellergestaltung. Kulinarik bleibt spannender denn je. Einige Beispiele aus dem Bereich moderner Zubereitungstechniken in der Gemüseküche werden auf den folgenden Seiten anschaulich vorgestellt. Zwei weitere sollen hier exemplarisch die Bandbreite des Möglichen aufzeigen.
SPIEL MIT AROMEN: GEFLÄMMTES GEMÜSE UND GEMÜSEASCHE Hohe Temperaturen widersprechen zwar dem Ansatz „Rohkost“, schaden aber nicht, wenn sie nur kurzzeitig angewandt werden. Befeuert man Rohkost kurz und punktuell mit einem Gasbrenner, dringt die Hitze nicht ein, sondern röstet die Oberfläche nur am heißesten Punkt der Flamme. Das Gemüse bleibt bis auf wenige „Punkte“ roh. Gleichzeitig bilden sich feine Röstaromen, die nicht durch ein Gewürz oder ein Kraut zu erzeugen sind. Derzeit häufig bei Tellern mit rohem Fisch eingesetzt wird geflämmter Rettich, der, in feinen Scheiben platziert, sowohl seinen rohen Duftcharakter mitbringt als auch dezente Röstaromen beifügt. Bei süßem Wurzelgemüse wie Pastinaken, Petersilienwurzel oder Rüben kann diese Methode zur gezielten Karamellisierung eingesetzt werden. Die freien Zucker reagieren beim Abflämmen, es bilden sich feine karamellige Röstaromen.
Das Gegenteil von so dezent geröstetem rohem Gemüse ist das „Verbrennen“ oder „Veraschen“, das zurzeit modern ist: Wurzelgemüse wie Rote Bete, Rüben, Topinambur, Pastinaken oder auch Zwiebeln und Lauch werden starker Hitze ausgesetzt, dabei verkohlt die Oberfläche völlig, das Innere wird sehr stark mit Röstnoten gewürzt. Je nach Verbrennungsgrad lassen sich diese Aromen sehr gut einstellen. Werden die Gemüse anschließend getrocknet und vermahlen, lässt sich Gemüseasche herstellen, die als Gewürz und „Konservierungsstoff“ (Aktivkohle) dient.
SPIEL MIT DER TEXTUR: GEMÜSEGETRÄNKE UND PÜREES Seit dem Siegeszug der „Smoothies“, puren oder gemixten Getränken aus frisch pürierten und entsafteten Gemüsen, Nüssen und Früchten, dezent abgeschmeckt mit frischen Kräutern, ist „Rohkost“ beliebter denn je. In diesen Getränken sind die Möglichkeiten der Zusammenstellung von Aromen, Cremigkeit und Geschmacksrichtungen praktisch unbegrenzt.
Weniger verbreitet sind an Mayonnaisen erinnernde Rohgemüsepürees. Grundvoraussetzung für Mayonnaisen sind Emulgatoren, sprich: grenzflächenaktive Substanzen, die zwischen wässrigen und öligen Phasen vermitteln und diese von einer Trennung („Gerinnung“) abhalten, sodass man eine cremige Textur erhält. Jedes Öltröpfchen ist in einem „Käfig“ eingesperrt, der durch die umgebenden Tröpfchen gebildet wird: Die Mayo ist „standfest“ und fühlt sich im Mund „fest“ an. Erst wenn die anderen Tröpfchen mit „Gewalt“ und Bewegung zwischen Zunge und Gaumen verschoben werden, wird der Käfig geöffnet und das eingesperrte Tröpfchen kann sich herausbewegen. Daher wird die Emulsion im Mund unter „Scherbewegungen“ ( Seite 33) flüssiger. Emulgatoren liefern in klassischen Rezepten für Mayonnaise, Remoulade, Aioli oder Rouille meist Eigelb (durch Proteine und Lecithin) oder Eiklar (Proteine). Emulsionen lassen sich jedoch auch durch kleine Partikel stabilisieren, die sich genau an die Grenzfläche zwischen den Öltröpfchen und der wässrigen Phase setzen, dann spricht man von „Pickering Emulsionen“, (nach deren Entdecker S.U. Pickering). In vielen Emulsionen können diese „Stabilisatoren“ zusammenwirken. Für eine Gemüse-„Mayonnaise“ schneidet man z. B. Tomaten, Gemüsepaprika und Blattgemüse in Stücke, gibt diese mit etwas Wasser (bei Tomaten ohne) in einen Mixbehälter, salzt, versetzt sie je nach Ziel mit Gewürzen und Kräutern und püriert alles mit einem leistungsstarken Stabmixer. Während des Pürierens gibt man Öl dazu, bis die gewünschte „Mayonnaise“-Konsistenz erreicht ist. Dabei entstehen viele stabilisierende und emulgierende Moleküle und Partikel: Zellwandstücke, Hemicellulosen, Zellulosepartikel, Proteine, die Phospholipide der Zellmembran usw. Sie verhelfen ganz ohne zusätzliche Emulgatoren zu stabilen und höchst anspruchsvollen Cremes mit Mayonnaisecharakter. Der kulinarische Vorteil dieser Methode ist evident: In der wässrigen Phase werden alle Geschmacksstoffe gelöst, in den sich bildenden und immer kleiner werdenden Öltröpfchen die meisten Aromen. Beim oralen Prozessieren ( Seite 33) werden diese äußerst fein verteilten Geschmacksstoffe und Aromen langsam freigegeben und fügen sich zu einem bestechend cremigen, ungewohnten, rohkostartigen Gemüseflavour zusammen.
Die Erweiterung des Begriffs „roh“ zu „pseudoroh“ im kulinarischen Dreieck.
PROZESSAROMEN AUS DER KÜCHE
Wie gezeigt wurde, bilden sich viele Aromen bereits während des Gemüsewachstums auf dem Feld, sei es nun zur Abwehr von Fressfeinden, zum Anlocken von Insekten, die Blüten bestäuben, oder aus dem Abbau von Fettsäuren während des Pflanzenmetabolismus. Andere Aromen jedoch sind von Natur aus nicht in den Wurzeln, Blättern, Stielen oder Früchten enthalten, sondern entstehen erst durch deren Zubereitung in der Küche. Drei der wichtigsten Prozesse und die daraus entstehenden Aromen bzw. Geschmacksstoffe sollen hier kurz erläutert werden: die Maillardreaktion und die damit verwandte Karamellisierung – bei beiden bilden sich aus Zuckern röstige Aromen – sowie die Milchsäuregärung, die Säure entstehen lässt.