Читать книгу Faith und Leathan - Ursula Tintelnot - Страница 12
Ameisen
ОглавлениеRichard hatte genug gehört. Er verließ seinen Posten und schlich zurück zu den Elfen, die am Waldrand auf ihn warteten.
Atena landete neben ihm und nahm ihre Elfengestalt an. »Ihr müsst hier weg«, sagte sie.
Richard nickte. »Leathan wird sich morgen auf den Weg machen. Wenn wir vor ihm in der Felsenburg sein wollen, müssen wir sofort aufbrechen.«
Adam, der junge Elf, den Richard gerettet hatte, striegelte Corone. Die anderen lagerten auf einer kleinen bemoosten Fläche.
»Aber die Pferde brauchen Ruhe«, murrte einer.
»Ruhe können sie haben, wenn wir zurück sind.« Seine Stimme klang scharf. Köpfe ruckten herum.
Oho, das ist ein anderer Richard, dachte Atena. Ein athletischer, schöner Elf mit einer Peitsche im Stiefel. Seine Sanftheit war wie weggewischt. In diesem Moment erinnerte er fatal an seinen Vater.
Die Elfen erhoben sich, sattelten ihre Pferde und waren Minuten später im Wald verschwunden. In einer Reihe, einer hinter dem anderen, konzentriert auf den Weg achtend, folgten sie Richard. Die Eule schwebte über ihnen.
Der Weg durch die Wälder und das Moor war trostlos, voller Laute, die Adam ängstigten. Er war zum ersten Mal hier und froh, diesen grausigen Ort verlassen zu dürfen. Er hielt sich dicht hinter Richard.
Für Richard waren diese Wälder und Moore Heimat und Albtraum zugleich. Er kannte jeden Weg, witterte die Gefahren. Als er das beunruhigende Zischen hörte, mit der die schwarze Wolke über den Himmel raste, erkannte er, dass Leathan ihn in der Felsenburg erwarten würde. Er hörte Adams erschrockenes Keuchen.
»Was ist das?« Der Junge hatte Leathan nie gesehen. Sein Bild der Schattenwelt, war ein anderes als das der Älteren.
Hoffentlich kann er etwas davon in seinem Herzen bewahren, dachte Richard. Leathan würde das Rad zurückdrehen. Die Zeit ohne den dunklen Fürsten bliebe nur noch eine ferne Erinnerung.
»Das war mein Vater.« Die Wolke zerfaserte, der Himmel nahm seine übliche blasse Färbung an.
Er trieb Corone vorwärts. Was hatte Leathan vor?
Richard könnte die Schattenwelt verlassen und für immer in der Lichten Welt bei Faith und seinen Kindern leben. Wenn er fortginge, würde er aber all jene verlassen, denen er ein besseres Leben versprochen hatte. Das konnte er nicht. Er musste eine andere Lösung finden.
Die vage Hoffnung, siebeneinhalb Jahre auf den Lebenden Steinen könnten Leathan verändert haben, schwand, als er an die drei Elfen dachte, die sein Vater ohne Skrupel erstochen hatte.
Als er Tage später die Felsenburg erreichte, musste er auch seine letzte Hoffnung begraben. In den Ställen herrschte Aufregung. Ein Ameisenvolk vor dem Angriff eines hungrigen Ameisenbären. Kein Zweifel, Leathan war hier gewesen, und er hatte jemanden in seiner dunklen Wolke mitgebracht, den Richard lieber nicht gesehen hätte.
»Grüß dich, Richard.« Mit einem überheblichen Grinsen trat Kastor vor. »Dein Vater möchte dich sprechen, umgehend. Ich soll dich zu ihm bringen.«
»Danke, Kastor, ich kann alleine gehen. Kümmere du dich um die Pferde.«
Kastor sah Richard wütend nach. Der hatte sich verändert, war erwachsener und besaß eine ganz neue Autorität. Der Sohn seines Fürsten war ein Mann geworden, mit dem man rechnen musste.
Um nicht ganz das Gesicht zu verlieren, gab er Richards Befehl weiter: »Los, steht nicht herum und gafft.«
In einigem Abstand folgte er Richard.
Die Unruhe, die schon im Stall spürbar gewesen war, erfüllte auch Stufen und Gänge der Felsenburg. Die Trolle hetzten mit ihren Fackeln hektisch in den düsteren steinernen Fluren hin und her. Zwerge schleppten Krüge voll des bitteren Bieres für die Zurückgekehrten. Aus der großen Halle hörte er den Lärm der Männer.
Er fühlte sich wie in einem sich ständig widerholenden Albtraum, aus dessen Fängen er sich nicht befreien konnte. Das animierte helle Kreischen der Feen mischte sich mit dem Grölen der Elfen. Obwohl der Abend noch nicht sehr fortgeschritten war, schien es der Grad der Trunkenheit umso mehr. Richard überlief es kalt. Es war, als seien sie nie weg gewesen.
Auch seine eigenen Leute waren hartgesottene Kerle. Auch sie tranken und hurten. Wenn man, wie diese, in der Unterstadt aufgewachsen war, konnte man nur mit einer gewissen Härte überleben. Aber sie waren nicht, wie die Elfen seines Vaters, zur Erbarmungslosigkeit erzogen worden. Keiner von ihnen war grausam um der Grausamkeit willen. Er warf einen kurzen Blick auf die Zecher. Sie gerierten sich, als seien sie die Herren, und er fragte sich, wie seine eigenen Leute darauf reagieren würden. Im Moment konnte er nichts tun, als abzuwarten. Leathan war ungeduldig, er wartete nicht gerne. Richard eilte weiter.
Zwei schwarzgekleidete Elfen, die Leathans Räume bewachten, rissen die Flügeltüren auf. Richard schritt hindurch und verbeugte sich vor Leathan. »Vater.«
Leathans diabolisches Grinsen. »Du hast geglaubt, hier alles übernehmen zu können? Mit deinen Hinterwäldlern ein lasches bequemes Regiment zu führen?« Ein tiefer Laut drang aus Murats Kehle. Der Stiefel des Fürsten traf den Grauen.
»Vater, nicht!«
Leathan erhob sich. »Du bist immer noch der Waschlappen, den ich vor Jahren hier zurückgelassen habe.«
Richard musste sich, trotz seines Ärgers, ein Lächeln verkneifen. Leathan tat so, als sei er von einer längeren Ferienreise zurückgekehrt.
Er reckte sich, um aus dem Lichtschacht nach draußen zu blicken. Die Fackeln im Labyrinth brannten nicht mehr. Richard wusste, was das bedeutete: Klapperer und die tödlichen Schlingpflanzen würden wieder ihre abscheuliche Arbeit tun.
»Wage nicht, dich meinen Befehlen zu widersetzen. Das Labyrinth bleibt, wie es ist!« Leathan maß ihn von oben bis unten. »Immerhin trägst du jetzt vernünftige Kleidung.
Mit »vernünftiger Kleidung« meinte sein Vater das schwarze Leder, das alle Dunkelelfen trugen. Richard hatte es beibehalten, weil es praktischer war als die leichten Leinensachen, die er bevorzugte und immer dann trug, wenn er die Schattenwelt verließ, um Faith und seine Töchter in der Lichten Welt zu sehen.
Leathan war ein Meister darin, sich der Gedanken anderer zu bemächtigen. Wer nicht stark genug war, sich ihm zu verschließen, wurde manipuliert und ausspioniert. Richard verhüllte seinen Geist, so gut es ging. Ließe sich ein Weg finden, dem Irrgarten seine Macht zu nehmen? Konnten die Hexen ihm dabei helfen? Es sollte nicht schwer sein für eine Hexe, die Feuer immer wieder aufflammen zu lassen. Und wenn sie dabei schwarze Magie einsetzten? Er musste es hinnehmen, immerhin würden sie damit Leben retten.
Leathan sah seinen Sohn misstrauisch an. »Was verbirgst du?«
»Nichts, Vater, ich habe mich gefragt, wo Siberia ist.«
»Da, wo Weiber hingehören, in ihrer Hexenküche.«
Aber da war sie nicht. Wie zwei Furien schossen Siberia und Eternita in diesem Augenblick in den Raum.
Siberia baute sich vor Leathan auf und schnaubte. »Da sind Wesen aus der Unterstadt in meinen Küchen. Schmutzig und hungrig. »Wer, glaubt sie«, giftiger Blick auf Eternita, »wer sie ist? Die Göttliche vom Bocksberg?«
»Das sind meine Küchen.« Eternitas Stimme kippte. »Ich handele auf Richards Befehl«, schrie sie.
Wäre Richard alleine gewesen, hätte er gelacht und den Weibern empfohlen, ihre Streitigkeiten selbst zu regeln. Aber er war nicht alleine. Die versteinerte Miene seines Vaters wischte ihm das Amüsement aus dem Gesicht.
»Du hast was?«
»Du hast es gehört.« Jetzt war auch Richard wütend. »Warum sollten die Hexen nicht das tun, was sie am besten können?«
»Und das wäre?«
»Heilen.«
Jetzt konnte Richard die Gedanken seines Vaters lesen, ganz ohne in seinen Kopf einzudringen.
»Ich frage mich, wie ich zu solch einem Schwachkopf wie dich habe kommen können. Es muss das Erbe deiner Mutter sein.«
»Lass meine Mutter aus dem Spiel.«
Leathan brüllte. »Hinaus!« Siberia und Eternita flohen. »Und werft das Geschmeiß aus der Unterstadt raus!«
Richard rührte sich nicht. Unbeherrscht fuhr der Dunkelalb zu ihm herum. »Du solltest wissen, dass die Magie der Hexen wichtig ist. Wir brauchen sie, um uns, nicht um andere zu schützen.«
»Wovor musst du dich schützen, Vater? Fürchtest du, die Elfen der Lichten Welt stehen vor den Toren, um uns zu überfallen?«
Er selbst war ein anderer geworden, er würde sich wehren. Aber dazu brauchte er Maia und Nathan. Sein Vater, das stand fest, hatte den Tanz auf dem Vulkan der Macht bereits wieder begonnen.