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Ka­pi­tel 4 Die Jagd

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Schwär­me schmut­zig­grau­er, ag­gres­si­ver Teu­fels­na­deln in der feuch­ten Luft mach­ten Pfer­de und Rei­ter ver­rückt.

An­ge­zo­gen von Schweiß, sta­chen sie mit ih­ren gif­ti­gen Sta­cheln jede Krea­tur. Ihr Sta­chel fuhr mü­he­los durch die schwa­r­zen Le­de­r­uni­for­men. Klamm war die Luft und schwül. Adam ver­nahm nur das tau­send­fa­che Fal­len di­cker Trop­fen aus Bü­schen und Bäu­men und das Sir­ren der ge­reiz­ten gro­ßen In­sek­ten. Kein Vo­gel war zu hö­ren, kein Tier zu se­hen.

Noch be­klem­men­der als sonst, dach­te Adam. Er blick­te zu sei­nem Nach­barn. Ein jun­ger Elf wie er. Auch er ein Ge­folgs­mann von Ri­chard.

Die an­de­ren, die, die mit Lea­than zu­rück­ge­kom­men wa­ren, kann­te er nicht. Sie sa­ßen mit ih­nen in der Hal­le, tran­ken und re­de­ten. Aber sie blie­ben un­ter sich wie Ge­heim­bünd­ler, die ihre Ge­heim­nis­se be­wah­ren woll­ten.

Adam zog die Ka­pu­ze tie­fer in die Stirn. Der Wald wirk­te wie aus­ge­stor­ben. Die Na­tur hielt den Atem an. Un­heim­lich. Er dach­te an Ri­chard, der ihm das Le­ben ge­ret­tet hat­te. Da­mit war sein Le­ben mit dem des Fürs­ten­soh­nes für im­mer ver­bun­den. Aber Ri­chard war ohne ihn in die Lich­te Welt ge­gan­gen.

Am Mor­gen wa­ren sie früh auf­ge­bro­chen. Lea­than war un­ru­hig. Gie­rig nach dem Blut des ed­len Wil­des hat­te er in al­ler Frü­he zur Jagd ge­ru­fen. Lea­than sah es vor sich, das schö­ne Tier, das ihm im­mer wie­der ent­kom­men war. Er sah das rote Blut des Tie­res im Schlamm. Das Ge­weih des Acht­zehn­en­ders wür­de sich leuch­tend von sei­nen dunk­len Wän­den ab­he­ben.

Er trieb Ob­si­di­an an. Ob­si­di­an, sein bril­lant­schwa­r­zer rie­si­ger Hengst, war das ein­zi­ge Le­be­we­sen, dem er so et­was wie Zu­nei­gung ent­ge­gen­brach­te.

Noch hat­te die Schwär­ze der Nacht Macht über den Tag. Das wür­de das wei­ße Tier noch auf­fäl­li­ger ma­chen, dach­te er zu­frie­den. Je tie­fer sie in den Wald hin­ein­rit­ten, des­to schwie­ri­ger wur­de es, einen Weg zu fin­den. Lea­than hör­te die Trei­ber, die sich zu Fuß durch das Di­ckicht schla­gen muss­ten. Er hielt an und hob die Hand. Sein In­stinkt sag­te ihm, dass das Wild nahe war.

Ein blau­es und ein grü­nes Au­gen­paar be­ob­ach­te­ten die Jä­ger. El­sa­be und Ma­ga­lie war­te­ten hin­ter ei­nem dich­ten Vor­hang aus Schling­pflan­zen und un­durch­dring­li­chen Weiß­dorn­he­cken.

Sie hat­ten, wie Ri­chard nach ih­nen, den­sel­ben Weg aus der Lich­ten Welt ge­wählt. Der Tun­nel war der un­auf­fäl­ligs­te und si­chers­te. Erst im Wald wa­ren sie ge­flo­gen. Ein Wald, über­wäl­ti­gend dra­ma­tisch, ohne einen Hauch von Lieb­lich­keit. In den lich­ten Laub­wäl­dern ih­res Lan­des, die Ma­ga­lie so lieb­te, gab es son­nen­be­fleck­te, be­moos­te Wege, da­ne­ben Tep­pi­che aus vi­o­let­ten, blau­en, pur­pur­fa­r­be­nen und gel­ben Wald­blu­men.

Hier wa­ren die Wege nur schlam­mi­ge Pfa­de. Dun­kel­grü­ne fet­te Blatt­pflan­zen wuch­sen ih­nen ent­ge­gen wie ge­frä­ßi­ge Tie­re. Und sie fra­ßen tat­säch­lich al­les, was sich ih­nen nä­her­te. Ma­ga­lie zog ihre Hand zu­rück. Sie spür­te die na­men­lo­se Trau­rig­keit die­ses Or­tes. Flech­ten­zer­fres­se­ne, be­moos­te Stäm­me stie­gen bis in den Him­mel auf der ver­geb­li­chen Su­che nach Hel­lig­keit. Ein er­grei­fend fins­te­rer Dom un­ter ei­nem vi­o­let­ten Him­mel. Lea­than war nicht mehr zu se­hen. Ma­ga­lie sah El­sa­be an.

»Jetzt?«

Die Hexe schüt­tel­te den Kopf, hob eine Hand und lausch­te.

»Noch nicht.«

Nun hör­te auch Ma­ga­lie die Rei­ter. Einen Au­gen­blick spä­ter ga­lop­pier­ten Ri­chard, Ju­li­an und Jes­se dicht an ih­rem Ver­steck vor­bei. Of­fen­bar war Ri­chard zu dem glei­chen Schluss ge­kom­men wie sie: Nur Lea­than konn­te mit Lot­tes Ent­füh­rung zu tun ha­ben. Sie frag­te sich, was Ri­chard vor­hat­te. We­der er noch sei­ne Freun­de be­sa­ßen auch nur an­nä­hernd so viel Ma­gie wie Lea­than. Er wür­de Ri­chard um­brin­gen. Jäh­lings fiel ihr Ru­fus ein.

»Oh, Him­mel, nein!«

Einen sei­ner Söh­ne hat­te Lea­than be­reits er­mor­det, war das der Plan? Woll­te man Va­ter und Sohn auf­ein­an­der­het­zen? Si­be­ria hät­te al­len Grund, sich zu rä­chen, und wür­de es tun, wenn die Zeit kam. War nicht Lea­than der In­iti­a­tor der Ent­füh­rung, son­dern die Hexe? Ma­ga­lie starr­te ihre Freun­din an. El­sa­be hat­te je­den ih­rer Ge­dan­ken ver­folgt.

»Jetzt soll­ten wir ein­grei­fen«, sag­te sie.

Eine Se­kun­de spä­ter brach eine schnee­wei­ße schlan­ke Hirsch­kuh aus dem Ge­hölz, ge­folgt von ei­nem Acht­zehn­en­der mit schim­mern­dem Fell. Die bei­den Tie­re folg­ten schein­bar schwe­re­los und pfeil­schnell den Jä­gern. Be­vor sie die El­fen er­reich­ten, trenn­ten sie sich. Wäh­rend die Hirsch­kuh di­rekt vor Lea­than in ei­nem ho­hen ele­gan­ten Sprung zwi­schen die Stäm­me tauch­te, er­schien auf der ent­ge­gen­ge­setz­ten Sei­te der Hirsch aus dem Dun­kel des Wal­des …und ver­hielt. Er hob den mäch­ti­gen Schä­del und blick­te dem Fürs­ten der Schat­ten­welt her­aus­for­dernd ins Ge­sicht.

Lea­than war ver­wirrt. Er sah der Hirsch­kuh einen Mo­ment zu lan­ge nach. Als er sich wie­der dem männ­li­chen Tier zu­wand­te, ver­schwand es ge­mäch­lich zwi­schen den Bäu­men.

Er brüll­te wü­tend, fühl­te sich von ei­nem Ge­schöpf ver­höhnt, das sei­ner Mei­nung nach weit un­ter ihm stand. Ob­si­di­an be­kam sel­ten die Peit­sche, aber nun ver­lor Lea­than jede Be­herr­schung. Er schlug auf Ob­si­di­an ein.

Ein Déjà-vu. Er hat­te schon ein­mal die­se Hilf­lo­sig­keit, ge­mischt mit sinn­lo­ser Wut, er­lebt. Schon ein­mal war ihm der wei­ße Hirsch auf die­se über­heb­li­che Wei­se ent­kom­men. Er und die Jä­ger setz­ten ihm nach. Stür­zen­de Pfer­de.

Lea­than nahm we­der auf Ob­si­di­an noch auf die El­fen hin­ter ihm Rück­sicht. Er war au­ßer sich. Wie im Rausch ver­gaß er die Zeit. Er sah nur noch die­ses wun­der­schö­ne leicht­fü­ßi­ge Ge­schöpf vor sich. Im­mer wie­der blitz­te das hel­le Fell zwi­schen dem Ge­hölz auf.

Es scheint, dach­te Adam, als ob das Tier ab­sicht­lich im­mer wie­der die Rich­tung wech­selt. In lan­gen Sprün­gen setz­te es über Hin­der­nis­se, die für die Pfer­de zu hoch wa­ren. Es ver­schwand und war gleich dar­auf an an­de­rer Stel­le zu se­hen. Es spielt mit uns, dach­te er.

Er er­war­te­te fast, das Tier lä­cheln zu se­hen. Adam war ver­blüfft, bei­na­he hät­te er ge­lacht. Er frag­te sich, war­um Lea­than es nicht be­merk­te.

In die­sen Wald hat­te Lea­than ihn auf die Bä­ren­jagd mit­ge­nom­men, um aus ihm, wie er sag­te, einen Mann zu ma­chen. Ri­chard spür­te die tau­send Au­gen, die ihn und sei­ne bei­den Ge­fähr­ten be­ob­ach­te­ten. Zer­tram­pel­te Wege und eine brei­te Schnei­se der Ver­wüs­tung ver­ri­e­ten ihm, wo die wil­de Hor­de sei­nes Va­ters ent­lang­ge­stürmt war.

Heu­te lie­ßen sich die wil­den Trol­le, Ko­bol­de und Zwer­ge nicht bli­cken. Trotz­dem hing ein Netz aus Angst, Wut und Ver­zweif­lung zwi­schen den Baum­kro­nen. Wind kam auf, feg­te Blät­ter hoch, und Strö­me von Was­ser ver­wan­del­ten den Bo­den in Schlamm­bä­che. Ein müh­sa­mes Fort­kom­men. Co­ro­nes Hufe blie­ben im tie­fen Schlamm ste­cken. Ri­chard fluch­te.

»Oh, schaut mal.«

Jes­se wies zur Sei­te. Am Ran­de ei­ner Lich­tung er­schien eine wei­ße Hirsch­kuh.

»Wie schön.« Jes­se war hin­ge­ris­sen.

Das ele­gan­te Tier ver­wan­del­te sich vor ih­ren Au­gen in die Fürs­tin der Lich­ten Welt.

»Ihr müsst um­keh­ren«, sag­te Ma­ga­lie. »Dein Va­ter ist nicht Lot­tes Ent­füh­rer, Ri­chard.«

»Wo­her weißt du das?«

»Nen­ne es Ein­ge­bung. Si­be­ria hat eine Rech­nung mit dei­nem Va­ter of­fen seit dem Mord an dei­nem Halb­bru­der. Ich bin si­cher, du läufst in eine sorg­fäl­tig ge­plan­te Fal­le.«

Adam konn­te sich nur noch müh­sam auf sei­nem Pferd hal­ten. Er ließ sich wei­ter zu­rück­fal­len. Von den Jä­gern, die am Mor­gen zu die­ser Jagd auf­ge­bro­chen wa­ren, gab es nicht mehr vie­le. Ei­ni­ge Pfer­de hat­ten sich das Ge­nick ge­bro­chen, wa­ren im Mo­rast ste­cken­ge­blie­ben oder hat­ten sich trotz der Peit­sche ge­wei­gert wei­ter­zu­ge­hen. Man­che wa­ren un­ter ih­ren Rei­tern zu­sam­men­ge­bro­chen. Flu­chend muss­ten sich die Rei­ter zu Fuß auf den Heim­weg ma­chen.

Lea­than hat­te sich mit den we­ni­gen Män­nern, die ihm ge­blie­ben wa­ren, tief in die Wäl­der lo­cken las­sen. Der Hirsch schien nicht zu er­mü­den. Lea­than war die Er­schöp­fung an­zu­se­hen. Aber er trotz­te wü­tend dem ster­ben­den Licht. Der Tag war vor­bei, als der Wei­ße sich noch ein­mal zu den Ver­fol­gern um­wand­te und ih­nen stolz sei­ne brei­te Brust und das rie­si­ge Ge­weih prä­sen­tier­te.

Adam sah zu Bo­den, er woll­te nicht se­hen, wie die­ses edle Tier fiel.

Lea­than hob den Bo­gen, ziel­te und brüll­te in un­bän­di­gem Zorn auf, als der Pfeil sein Ziel ver­fehl­te. Er griff nach dem sil­ber­nen Sti­lett in sei­nem Gür­tel, das im­mer traf und so ef­fi­zi­ent tö­te­te. Aber sein Griff ging ins Lee­re. Die töd­li­che Waf­fe war nicht mehr da. Als er auf­blick­te, lös­te sich der Ge­gen­stand sei­ner wil­den Gier auf. Der Hirsch ver­schwand.

Lea­than riss Ob­si­di­an her­um und presch­te an den er­schreck­ten El­fen vor­bei. »Zu­rück!«, be­fahl er.

Wo vor­her schwü­le Hit­ze ge­herrscht hat­te, gab es jetzt ei­si­ge Käl­te. Eis­kris­tal­le um­schlos­sen Blät­ter und Zwei­ge, Eis knirsch­te un­ter den Hu­fen, die kal­te Wut des Fürs­ten leg­te sich über den er­star­ren­den Wald. Lea­than peitsch­te wild auf die Trei­ber ein, die er für sei­nen Miss­er­folg ver­ant­wort­lich mach­te. Wer flie­hen konn­te, mach­te sich aus dem Staub.

Adam stieg ab und leg­te müde sei­nen Kopf an den Hals sei­nes Rap­pen. Es wür­de die hal­be Nacht dau­ern, zur Fel­sen­burg zu­rück­zu­keh­ren. Be­vor er wie­der auf­saß, um den Ge­fähr­ten zu fol­gen, sah er zu sei­nen Fü­ßen et­was auf­blit­zen. Lea­than muss­te es bei sei­nem ra­sen­den Ritt ver­lo­ren ha­ben. Der jun­ge Elf hob das sil­ber­ne Sti­lett auf. Er blick­te sich nach sei­nen Ka­me­ra­den um.

»Sie sind wei­ter­ge­zo­gen«, hör­te er eine Stim­me.

Der wei­ße Hirsch stand di­rekt vor ihm. Ein wun­der­schö­nes Tier. Er fühl­te sich er­ho­ben durch die­sen An­blick.

»Gib es mir.« Die Ver­wand­lung voll­zog sich blitz­schnell. El­sa­be streck­te die Hand aus. Au­to­ma­tisch ge­horch­te er. Zwei­fel­los war sie eine Hexe aus der Lich­ten Welt.

Sie strich über die sil­ber­ne Klin­ge, führ­te sie über ihr Hand­ge­lenk. Blut floss an ih­rem Arm ent­lang. »Nut­ze es nur, wenn du in töd­li­cher Ge­fahr bist.«

»Aber …«

Adam stock­te, da war nie­mand mehr. Ver­wirrt starr­te er das Sti­lett in sei­ner Hand an. Hat­te er ge­träumt? Nein, da war ein win­zi­ger ro­ter Trop­fen zu se­hen. Er steck­te die Waf­fe ein und be­stieg sein Pferd. Tief in Ge­dan­ken folg­te er den an­de­ren. Konn­ten He­xen blu­ten?

Falls der Jun­ge das Sti­lett zu­rück­gab, dach­te El­sa­be zu­frie­den, be­kä­me Lea­than eine Waf­fe, die nicht mehr ihm ge­horch­te. Das sil­ber­ne, un­fehl­ba­re Wurf­mes­ser wür­de in Zu­kunft nur Adam ge­hor­chen.

Ma­ga­lie muss­te längst in der Burg sein. Hat­te sie Lot­te schon ge­fun­den? El­sa­be kreis­te über den Baum­kro­nen und sah un­ter sich die er­schöpf­ten El­fen Lea­thans. Sie wür­den noch ei­ni­ge Zeit brau­chen, um die Fel­sen­burg zu er­rei­chen. Mit Schre­cken stell­te sie fest, dass Lea­than nicht mehr bei sei­nen Leu­ten war. Ob­si­di­an trab­te ohne sei­nen Herrn zwi­schen den Jä­gern. War er in sei­ner dunk­len Wol­ke ge­flo­gen? Wenn Ma­ga­lie sich noch in Lea­thans Burg auf­hielt, war sie jetzt in Ge­fahr.

Faith und Leathan

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