Читать книгу Faith und Leathan - Ursula Tintelnot - Страница 24
Dämonen
ОглавлениеWährend der Verbannung Leathans waren die Grenzen zur Dunkelwelt wieder geöffnet worden.
Jeder, der seine Welt besuchen wollte, war Richard willkommen. Es waren nicht viele. Richard war beliebt, anders als sein Vater drangsalierte er niemanden. Aber seine Welt war einfach zu düster, und daran konnte er nichts ändern.
Faith sah hinauf zu dem blassen Himmelskörper, der wie ein vergessener Ballon am finsteren Himmel hing. Der Weg war kaum auszumachen. Sie vertraute Ombra. Die Stute trabte scheinbar schwerelos über den Boden, trabte sicher dahin.
War es richtig gewesen, in die Spiegelwelt zurückzukehren? Robert würde gut auf ihre Tochter aufpassen, aber die Wahl, Lisa und ihren Vater alleine zu lassen, um Lotte zu suchen, war ihr nicht leicht gefallen. Eine Mutter konnte sich nicht ohne schlechtes Gewissen für ein Kind entscheiden und das andere verlassen.
In den letzten Jahren waren ihre Fähigkeiten gewachsen. Ihr Instinkt warnte sie vor Gefahren, lange vor der Ankunft von unerwünschten Besuchern, und wie jetzt vor der Anwesenheit von Wesen, denen sie lieber nicht begegnen wollte.
Solange sie auf Ombra saß, war sie nicht zu sehen, aber in die Felsenburg konnte sie ihre Stute nicht mitnehmen.
Faith berührte den Mondsteinring an ihrem Finger. Ein Geschenk Magalies zu ihrem siebzehnten Geburtstag. Er hatte die Fähigkeit, bewegungsunfähig zu machen, sobald sie ihn auf ihr Gegenüber richtete. Sogar Annabelle und Leathan hatte sie damit gebannt.
Das Lächeln verging ihr, als sie an Lotte dachte. Ihr Baby liebte den grünen Spielkameraden. Ob Oskar noch bei ihr war? Sie hoffte es. In seiner Gegenwart würde ihre kleine Tochter sich nicht fürchten.
Sie spürte körperlose Dämonen, hörte Geräusche und verstohlene Schritte. Gelegentlich ein Schrei aus der Dunkelheit, der Todesschrei eines Tieres.
Faith ritt am Fluss entlang. Schwarzes Wasser. Sie wandte den Blick nach rechts, wo über den Häusern und Hütten der Unterstadt wie ein riesiges Nest die Felsenburg am Berg thronte. Richards Zuhause.
Wo bist du, mein Liebster? Auch er musste auf der Suche nach Lotte hier irgendwo sein.
Sie ritt den steilen Berg zur Burg empor. Jeder, der hier ankam, konnte meilenweit gesehen werden. Die dunklen Fürsten mussten furchtsam gewesen sein. Dieser Platz war klug gewählt, wenn man Angst vor ungeladenen Besuchern hatte.
Ombra und sie waren nur ein Hauch in der Düsternis. Unsichtbar. Die Stille war absolut.
Und dann brach es wie ein Unwetter los. Überall Pferde. Sie hörte Rufe, Befehle, Hufe, die auf dem felsigen Weg klapperten. Peitschen knallten.
Die Elfen kamen offenbar von der Jagd zurück. Den Worten, die durch die Nacht zu ihr herüberflogen, entnahm sie, dass sie nicht erfolgreich gewesen war. Der weiße Hirsch, sie lächelte, war Leathan wieder entkommen. Wie oft hatte Elsabe den Dunkelalben in dieser Gestalt herausgefordert?
Also war auch die Hexe hier, die Freundin ihrer Mutter.
Faith lenkte ihre Stute seitwärts ins Gehölz und ließ die Jagdgesellschaft an sich vorüberziehen.
Leathans riesiges Ross trabte reiterlos an ihr vorbei. Das konnte nur bedeuten, dass er längst in der Felsenstadt war.
Glück gehabt, dachte Faith, ich hätte ihm direkt in die Arme laufen können.
Jäger und Tiere machten einen gleichermaßen erschöpften Eindruck. Ganz am Ende erkannte sie Adam. Ein Junge noch, einer der Jüngsten aus Richards Gefolge.
Ein leichter Druck der Schenkel, und Ombra setzte sich wieder in Bewegung. Faith ritt zu der kleinen verrotteten Holztür, durch die sie einmal mit Richards Hilfe dem Fürsten entkommen war. Von dort würde sie ungesehen in die Burg gelangen und nach ihrer Tochter suchen.
Faith sprang vom Pferd. Die Tür war leicht zu finden, wenn man wusste wo, hinter einem dichten Vorhang aus Schlingpflanzen und Gestrüpp, sie sich befand. Mit Ombra am Zügel ging sie darauf zu, als das Grün zur Seite geschoben wurde und Magalie mit Maia ihr daraus entgegentraten.
»Ihr habt sie also auch nicht gefunden?« Faith ging zum Angriff über, bevor ihre Mutter ihr Vorwürfe machen konnte. Maia schmunzelte. Schlaues Kind, dachte sie.
»Nein«, sagte Magalie, »aber wir wissen, dass nicht Leathan sie entführt hat.«
»Aber wer …?«
Magalie sprach von ihrer Vermutung, Siberia habe das Kind entführt, um Richard und Leathan aufeinander zu hetzen. »Sie will sich rächen und Leathan dazu bringen, auch seinen zweiten Sohn zu töten.«
Faith wurde blass. »Wo ist Richard jetzt?«
Magalie schüttelte den Kopf.
»Er weiß, dass nicht Leathan Lotte geraubt hat.«
Sie hatte ihn zuletzt mit Siberia gesehen, aber wohin er danach gegangen war, wusste sie nicht.
Maia sagte: »Ich glaube, er ist bei seinem Vater.«
Jetzt hörten alle die erregten Stimmen aus einem Fensterschacht.
Aus der Öffnung weit über ihnen drangen Stimmen zu den Frauen. Die Auseinandersetzung eskalierte. Weder Richard noch Leathan ließen einander ausreden. Sie schrien sich gegenseitig an.
Maia hielt Faith fest. »Das müssen die zwei alleine ausfechten.«
Worte flogen zu ihnen. »Despot.«
»… kein Mann, ein Jammerlappen …«
»Straffe Hand …«
»Entferne diese Hexe von deinem Hof.«
»Du hast hier gar nicht zu sagen, solange ich …«
»Ich will mein Kind, dann bin ich weg …«
»Du bist mein Nachfolger und kannst dich deiner Verantwortung nicht einfach entziehen. Dein Weib sollte mit dir hier wohnen, oder hast du sie nicht im Griff?« Sie hörten den lauernden Unterton, als Leathan fragte: »Hat Siberia dir gesagt, wo das Kind ist?«
Wenn er es vor uns findet, dachte Magalie, wird er es für seine Pläne benutzen, wie auch immer diese aussahen. Maia schienen dieselben Gedanken zu bewegen.
»Sie weiß es nicht.« Richard wurde wieder laut. »Diese widerliche Schlampe weiß es nicht.«
Leathan brüllte dagegen: »Wenn ich nicht alles selbst … such dir eins von den Weibern hier und mach einen Sohn, oder kannst du das auch nicht? Was willst du mit Töchtern? Wir brauchen männliche Nachfolger.«
»Hör auf Vater …!«
Plötzlich war es still.
»Ich will zu Richard.« Aber wieder hielt Maia Faith zurück.
»Lass mich gehen. Leathan ist aufgebracht.« Eine milde Umschreibung, dachte Magalie.
»Ich ahne, wo deine Tochter ist …« Damit ging Maia.
Richard stand vor Leathan und betrachtete seinen Vater, als sähe er ihn zum ersten Mal. Er bedauerte seinen Ausbruch nicht, wusste jedoch, dass er völlig überflüssig gewesen war und vor allem ohne jeden Erfolg sein würde. Er fragte sich, warum dieser Mann nur in Kategorien denken konnte, die ihm vollkommen fremd waren: Gewalt, Unterdrückung, Drohung, Erpressung … und Mord.
Jetzt erst bemerkte er, dass er sich nicht alleine mit Leathan im Raum befand. Kastor und ein Elf, ein Lavatide, Orkus, hatten sich in den Schatten zurückgezogen. Sie wollten beide nicht in den Fokus des unberechenbaren Zorns ihres Fürsten geraten.
Lavatiden waren hervorragende Ingenieure, Bergarbeiter und Waffenschmiede. Murat lag weit genug von seinem Herrn entfernt. Seine Rute bewegte sich ganz vorsichtig.
Richard fragte sich, was Leathan von Orkus wollte.
Er wandte sich wortlos ab. Es war hoffnungslos, und sein Vater hatte recht, er konnte sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Er bediente sich einer schmutzigen Taktik, um Richard zu halten, ausgerechnet dieser Mann, der seine Verantwortung darin sah, so verantwortungslos zu handeln wie keiner der Fürsten vor ihm, fand das schlagende Argument: Verantwortung!
In seinem Räumen erwarteten ihn Julian und Adam. Richard ließ sich auf einen Stuhl fallen und schlug die Hände vors Gesicht. »Wie kann man nur so blind sein, sieht er denn nicht, dass er alles zerstört? So eine verdammter …«
»Hast du deine Tochter gefunden?«, fragte Julian.
Richard schüttelte den Kopf.
»Wir werden sie finden, ich weiß wo sie ist.« Maia stand in der Tür.
»Es gibt jemanden, der dich erwartet«, sagte sie zu Richard. »Komm.«
Zusammen eilten sie die Stufen der Felsenburg hinab, durch von Fackeln erhellte Flure, vorbei an Räumen, die Richard nie betreten hatte, vorbei an der Kammer, in der Siberia in Fesseln hing, bis Maia gewillt war, sie zu lösen. Sie eilten, begleitet von Julian und Adam, zu der versteckten Tür, die Richard so gut kannte. Als er Faith sah, riss er sie in seine Arme. »Da bist du.«
»Da bin ich.«
Einige Stunden später näherten sie sich dem Gebirge. Maia ritt auf ihrer schwarz- weißen Stute voran. Richard, Faith, Adam und Julian folgten ihr.
Magalie war auf dem Weg zu Robert.
Die Fürstin wusste, dass die schönen Tage sich dem Ende zuneigten. Was jetzt kam, würde wieder geprägt von Kampf und Intrigen sein. Sie dachte an die kommenden Wahlen.
Annabelle und Leathan waren gleichermaßen erpicht auf die Macht und auf das Medaillon, das noch zwischen ihren Brüsten hing.
Und wieder überlegte sie, ob jetzt nicht der geeignete Moment wäre, die Anderswelt für Faith und ihre Kinder für immer zu schließen. Noch besaß sie die Macht dazu. Sie lächelte, auch wenn ihre Tochter ihr gerade ein Schnippchen geschlagen hatte. Es war ihre eigene Nachlässigkeit gewesen, diesen Fehler würde sie nicht noch einmal begehen.