Читать книгу Faith und Leathan - Ursula Tintelnot - Страница 22
Annabelle
ОглавлениеReich, wie die Königin von Saba, war Annabelle doch arm wie eine Kirchenmaus, weil noch so herrliche Kostbarkeiten ihre Gier nach Schönheit und Reichtum, nach immer und immer noch mehr, nicht stillen konnten.
Ihr Palast war einer der schönsten in der gesamten Anderswelt. Eine verspielte Welt, in der Schönheit das Wichtigste war.
Nur die Trolle und Kobolde, die es auch hier gab, bildeten eine Ausnahme. Aber die gab es nun mal nur in hässlich, und irgendjemand musste die Drecksarbeit machen.
Die Lulabellen, entzückende kleine Wesen mit regenbogenfarbenen Flügeln, waren dazu ungeeignet. Vor dem Schloss spielten reizende blonde Kinder mit gepflegten Silberfüchsen, den Lieblingstieren Annabelles. Der Anblick war wirklich herzerwärmend, aber die Fürstin hatte heute kein Auge für das bezaubernde Bild, das sich ihr bot.
Sie hatte anderes im Kopf. Annabelle überlegte, wie sie die Fürsten der Anderswelt auf ihre und Leathans Seite bringen könnte. Die neuen Wahlen standen bevor. Es mussten zwei Fürsten gewählt werden, die Anderswelt zu regieren und das Medaillon, das Zeichen der Macht, zu tragen.
Bis jetzt gehörte Magalie und Leander das Vertrauen der meisten Fürsten. Annabelle wollte das ändern. Ihr würde es nicht gelingen, Vertrauen zu wecken, sie und Leathan mussten andere Wege gehen.
Neugierige Lulabellen flatterten über dem Bassin in der gewaltigen, von einer hohen Kuppel überwölbten Eingangshalle, als Annabelle in einer silbernen Wolke landete. Ohne sie zu beachten, durchschritt sie die endlosen Flure zu ihren Räumen. Die Fenstertüren dort waren weit geöffnet, Lulabellen schwirrten um sie herum, um ihr zu Diensten zu sein.
Sie betrachtete sich im Spiegel. Sie war reich, schön, gepflegt und attraktiv und sehr unzufrieden.
»Schafft Rafael her, sofort. Er soll mein Pferd satteln, ich möchte ausreiten.«
Annabelle war keine geduldige Dienstherrin. Aber als Fürstin hatte sie in den Augen ihrer Untergebenen jedes Recht auf schlechtes Benehmen. Sie war die Fürstin.
Die Annehmlichkeiten an diesem Hof machten alles andere erträglich.
Wenn sich langsam die Dämmerung senkte, blinkten in den Bäumen kleine Lichter, Fackeln wurden entzündet. Büffets wurden aufgebaut. Es gab die köstlichsten Schlemmereien, dem süßen Wein entstiegen tausend glitzernde Perlen.
Spieltische lockten, Würfel und Karten verführten. Nächte hindurch wurde getanzt, geschlemmt. Feen und Elfen amüsierten sich Nacht für Nacht bei Musik, Ballett, Theater, Spiel und Tanz.
Die Säle glänzten im Licht funkelnder Kristallleuchter. Wie in einem unruhigen farbigen Kaleidoskop wirbelten glühende Lichtpunkte, übergossen die Szenerie mit schillernden Farbblitzen. Niemand achtete auf die Zeit. Man schlief bis in den Mittag.
Rafael sah Annabelle entgegen. Eine schlanke Gestalt, umweht von silbernem Haar. Sie stieg die breiten Stufen vor ihrem Palast herunter wie eine Göttin vom Olymp. Sie ist, dachte er, exquisit. Eine elegante Viper mit einem gut gefüllten Giftzahn.
Er half ihr auf die Schimmelstute, deren helles Fell leuchtete. Annabelle duldete nur weiße Pferde und Apfelschimmel in ihren Ställen. Die schönen Tiere wurden gepflegt und umhegt wie Babys.
»Du kannst mich begleiten«, sagte sie. »Aber halt den Mund, ich muss nachdenken.«
Annabelle war grob wie ein Kesselflicker und sprach ohne Rücksicht aus, was ihr in den Sinn kam.
Rafael nickte und dachte an die Nächte mit ihr. Er lächelte. Auch im Bett hielt sie nicht viel von Gesprächen. Aber sie war eine fantasievolle, leidenschaftliche Geliebte, und für den Liebesakt brauchte die Fürstin keine Worte.
Kleine Wellen brachen sich schäumend am Strand. Ein heller beweglicher Spitzensaum, soweit das Auge reichte. Beinahe schwerelos trabten ihre Pferde dahin, ohne Spuren im Sand zu hinterlassen. Annabelles Gewänder flatterten, Kaskaden von silbernen Tropfen hüllten Pferd und Reiterin ein.
Rafael hätte zu gerne gewusst, worüber Annabelle nachdachte. Ihr Gesichtsausdruck verriet nichts, glich einer marmornen Maske. Er schaffte es selten, in ihre Gedanken einzudringen.
Es war außerordentlich reizvoll, Annabelle zu beobachten. Ihre eleganten Bewegungen, ihr schönes Gesicht mit den leicht schräggestellten violetten Augen wirkten bezaubernd.
Ihre Gedanken waren weniger bezaubernd. Sie konsultierte eine imaginäre Liste, auf der alle Fürsten der Lichten und der Schattenwelt verzeichnet waren.
Jeder, dachte sie, hat ein Geheimnis, das er nicht öffentlich machen will.
Erpressbar oder korrupt oder beides waren fast alle. Auch Gewalt schloss sie nicht aus, aber dafür wäre eher Leathan zuständig. Spione … ja, auch Spione …
Sie lauschte. Aus dem Wald kamen Geräusche, die jedem, der sie hörte das Blut in den Adern gefrieren ließ. Die wilden Bären trieben seit Jahrhunderten hier ihr Unwesen.
Keiner, der so dumm war hier hineinzugehen, kam lebend wieder heraus. Ihre schönen Lippen verzogen sich zu einem süffisanten Lächeln. Sie hätte gerne gesehen, was die Schwarzbären gerade mit einem ungebetenen Besucher anstellten. Oder war es einer der Trolle, die hier hausten? Sie waren genauso blutrünstig wie die Bären.
Ihre Gedanken wandten sich wieder ihrer Aufgabe zu. Sie würde ein wenig reisen, ein paar Besuche machen müssen, ein Fest ausrichten für die, die sie manipulieren, oder die ärmeren Fürsten, die sie schmieren wollte. Ihr fielen zwei Brüder ein, Fürsten eines unbedeutenden Landes, die sich um eine ebenso unbedeutende Burg stritten. Einer von ihnen hatte für Magalie gestimmt. Ihr schöner Mund verzog sich zu einem herablassenden Lächeln. Es war alles so einfach. Dank ihres Reichtums konnte sie alles regeln.
Unwillkürlich griff sie sich an den Busen. Für einen Augenblick war ihr, als baumelte das Medaillon bereits zwischen ihren Brüsten.