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An­na­bel­le

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Reich, wie die Kö­ni­gin von Saba, war An­na­bel­le doch arm wie eine Kir­chen­maus, weil noch so herr­li­che Kost­bar­kei­ten ihre Gier nach Schön­heit und Reich­tum, nach im­mer und im­mer noch mehr, nicht stil­len konn­ten.

Ihr Pa­last war ei­ner der schöns­ten in der ge­sam­ten An­ders­welt. Eine ver­spiel­te Welt, in der Schön­heit das Wich­tigs­te war.

Nur die Trol­le und Ko­bol­de, die es auch hier gab, bil­de­ten eine Aus­nah­me. Aber die gab es nun mal nur in häss­lich, und ir­gend­je­mand muss­te die Drecks­a­r­beit ma­chen.

Die Lu­la­bel­len, ent­zü­cken­de klei­ne We­sen mit re­gen­bo­gen­fa­r­be­nen Flü­geln, wa­ren dazu un­ge­eig­net. Vor dem Schloss spiel­ten rei­zen­de blon­de Kin­der mit ge­pfleg­ten Sil­ber­füch­sen, den Lieb­lings­tie­ren An­na­bel­les. Der An­blick war wirk­lich herz­er­wär­me­nd, aber die Fürs­tin hat­te heu­te kein Auge für das be­zau­bern­de Bild, das sich ihr bot.

Sie hat­te an­de­res im Kopf. An­na­bel­le über­leg­te, wie sie die Fürs­ten der An­ders­welt auf ihre und Lea­thans Sei­te brin­gen könn­te. Die neu­en Wah­len stan­den be­vor. Es muss­ten zwei Fürs­ten ge­wählt wer­den, die An­ders­welt zu re­gie­ren und das Me­dail­lon, das Zei­chen der Macht, zu tra­gen.

Bis jetzt ge­hör­te Ma­ga­lie und Le­an­der das Ver­trau­en der meis­ten Fürs­ten. An­na­bel­le woll­te das än­dern. Ihr wür­de es nicht ge­lin­gen, Ver­trau­en zu we­cken, sie und Lea­than muss­ten an­de­re Wege ge­hen.

Neu­gie­ri­ge Lu­la­bel­len flat­ter­ten über dem Bas­sin in der ge­wal­ti­gen, von ei­ner ho­hen Kup­pel über­wölb­ten Ein­gangs­hal­le, als An­na­bel­le in ei­ner sil­ber­nen Wol­ke lan­de­te. Ohne sie zu be­ach­ten, durch­schritt sie die end­lo­sen Flu­re zu ih­ren Räu­men. Die Fens­ter­tü­ren dort wa­ren weit ge­öff­net, Lu­la­bel­len schwirr­ten um sie her­um, um ihr zu Diens­ten zu sein.

Sie be­trach­te­te sich im Spie­gel. Sie war reich, schön, ge­pflegt und at­trak­tiv und sehr un­zu­frie­den.

»Schafft Rafa­el her, so­fort. Er soll mein Pferd sat­teln, ich möch­te aus­rei­ten.«

An­na­bel­le war kei­ne ge­dul­di­ge Dienst­her­rin. Aber als Fürs­tin hat­te sie in den Au­gen ih­rer Un­ter­ge­be­nen je­des Recht auf schlech­tes Be­neh­men. Sie war die Fürs­tin.

Die An­nehm­lich­kei­ten an die­sem Hof mach­ten al­les an­de­re er­träg­lich.

Wenn sich lang­sam die Däm­me­rung senk­te, blink­ten in den Bäu­men klei­ne Lich­ter, Fa­ckeln wur­den ent­zün­det. Büf­fets wur­den auf­ge­baut. Es gab die köst­lichs­ten Schlem­me­rei­en, dem sü­ßen Wein ent­stie­gen tau­send glit­zern­de Per­len.

Spiel­ti­sche lock­ten, Wür­fel und Kar­ten ver­führ­ten. Näch­te hin­durch wur­de ge­tanzt, ge­schlemmt. Feen und El­fen amü­sier­ten sich Nacht für Nacht bei Mu­sik, Bal­lett, The­a­ter, Spiel und Tanz.

Die Säle glänz­ten im Licht fun­keln­der Kris­tall­leuch­ter. Wie in ei­nem un­ru­hi­gen fa­r­bi­gen Ka­lei­do­skop wir­bel­ten glü­hen­de Licht­punk­te, über­gos­sen die Sze­ne­rie mit schil­lern­den Fa­rb­blit­zen. Nie­mand ach­te­te auf die Zeit. Man schlief bis in den Mit­tag.

Rafa­el sah An­na­bel­le ent­ge­gen. Eine schlan­ke Ge­stalt, um­weht von sil­ber­nem Haar. Sie stieg die brei­ten Stu­fen vor ih­rem Pa­last her­un­ter wie eine Göt­tin vom Olymp. Sie ist, dach­te er, ex­qui­sit. Eine ele­gan­te Vi­per mit ei­nem gut ge­füll­ten Gift­zahn.

Er half ihr auf die Schim­mel­s­tu­te, de­ren hel­les Fell leuch­te­te. An­na­bel­le dul­de­te nur wei­ße Pfer­de und Ap­fel­schim­mel in ih­ren Stäl­len. Die schö­nen Tie­re wur­den ge­pflegt und um­hegt wie Ba­bys.

»Du kannst mich be­glei­ten«, sag­te sie. »Aber halt den Mund, ich muss nach­den­ken.«

An­na­bel­le war grob wie ein Kes­sel­fli­cker und sprach ohne Rück­sicht aus, was ihr in den Sinn kam.

Rafa­el nick­te und dach­te an die Näch­te mit ihr. Er lä­chel­te. Auch im Bett hielt sie nicht viel von Ge­sprä­chen. Aber sie war eine fan­ta­sie­vol­le, lei­den­schaft­li­che Ge­lieb­te, und für den Lie­bes­akt brauch­te die Fürs­tin kei­ne Wor­te.

Klei­ne Wel­len bra­chen sich schäu­mend am Strand. Ein hel­ler be­weg­li­cher Spit­zen­saum, so­weit das Auge reich­te. Bei­na­he schwe­re­los trab­ten ihre Pfer­de da­hin, ohne Spu­ren im Sand zu hin­ter­las­sen. An­na­bel­les Ge­wän­der flat­ter­ten, Kas­ka­den von sil­ber­nen Trop­fen hüll­ten Pferd und Rei­te­rin ein.

Rafa­el hät­te zu ger­ne ge­wusst, wor­über An­na­bel­le nach­dach­te. Ihr Ge­sichts­aus­druck ver­ri­et nichts, glich ei­ner mar­mor­nen Mas­ke. Er schaff­te es sel­ten, in ihre Ge­dan­ken ein­zu­drin­gen.

Es war au­ßer­or­dent­lich reiz­voll, An­na­bel­le zu be­ob­ach­ten. Ihre ele­gan­ten Be­we­gun­gen, ihr schö­nes Ge­sicht mit den leicht schräg­ge­stell­ten vi­o­let­ten Au­gen wirk­ten be­zau­bernd.

Ihre Ge­dan­ken wa­ren we­ni­ger be­zau­bernd. Sie kon­sul­tier­te eine ima­gi­näre Lis­te, auf der alle Fürs­ten der Lich­ten und der Schat­ten­welt ver­zeich­net wa­ren.

Je­der, dach­te sie, hat ein Ge­heim­nis, das er nicht öf­fent­lich ma­chen will.

Er­press­bar oder kor­rupt oder bei­des wa­ren fast alle. Auch Ge­walt schloss sie nicht aus, aber da­für wäre eher Lea­than zu­stän­dig. Spi­o­ne … ja, auch Spi­o­ne …

Sie lausch­te. Aus dem Wald ka­men Ge­räu­sche, die je­dem, der sie hör­te das Blut in den Adern ge­frie­ren ließ. Die wil­den Bä­ren trie­ben seit Jahr­hun­der­ten hier ihr Un­we­sen.

Kei­ner, der so dumm war hier hin­ein­zu­ge­hen, kam le­bend wie­der her­aus. Ihre schö­nen Lip­pen ver­zo­gen sich zu ei­nem süf­fi­san­ten Lä­cheln. Sie hät­te ger­ne ge­se­hen, was die Schwa­rz­bä­ren ge­ra­de mit ei­nem un­ge­be­te­nen Be­su­cher an­stell­ten. Oder war es ei­ner der Trol­le, die hier haus­ten? Sie wa­ren ge­nau­so blut­rüns­tig wie die Bä­ren.

Ihre Ge­dan­ken wand­ten sich wie­der ih­rer Auf­ga­be zu. Sie wür­de ein we­nig rei­sen, ein paar Be­su­che ma­chen müs­sen, ein Fest aus­rich­ten für die, die sie ma­ni­pu­lie­ren, oder die är­me­ren Fürs­ten, die sie schmie­ren woll­te. Ihr fie­len zwei Brü­der ein, Fürs­ten ei­nes un­be­deu­ten­den Lan­des, die sich um eine eben­so un­be­deu­ten­de Burg strit­ten. Ei­ner von ih­nen hat­te für Ma­ga­lie ge­stimmt. Ihr schö­ner Mund ver­zog sich zu ei­nem her­ab­las­sen­den Lä­cheln. Es war al­les so ein­fach. Dank ih­res Reich­tums konn­te sie al­les re­geln.

Un­will­kür­lich griff sie sich an den Bu­sen. Für einen Au­gen­blick war ihr, als bau­mel­te das Me­dail­lon be­reits zwi­schen ih­ren Brüs­ten.

Faith und Leathan

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