Читать книгу Faith und Leathan - Ursula Tintelnot - Страница 15
Kapitel 3 Wald der wilden Wölfe
ОглавлениеNathan und Maia ließen den Wald hinter sich. Einen Wald, bevölkert von Wesen, denen niemand gerne begegnete.
Hier war Murats Heimat gewesen, dachte Maia, bevor Leathan den Wolf zu seinem Sklaven gemacht hatte.
Er hatte die Mutter des Wolfsjungen erschlagen und ihn in seinen Dienst gestellt. Kastors Bemerkung, die Gegend sei gefährlich, war durchaus zutreffend. Schwärme von Klapperern warteten auf die Reisenden. Myriaden durchscheinender Insekten, schwarze, riesige Libellen, giftig wie eine Mamba, lauerten zwischen den Blättern. Weiße Nattern mit blinden Augen wanden sich durch aufgeweichten Schlamm, in den sich die Wurzeln kleinwüchsiger Föhren krallten. Unscheinbare Raupen, deren Pelz aus tausenden giftigen Härchen bestand, überzogen die Bäume mit einer widerlich wabernden, lebendig wirkenden Haut.
Totes Geäst und undurchdringliches Unterholz säumten die Wege. Und dann gab es noch die Skorpione. Eine Begegnung mit ihren metallartigen Zangen wollte niemand riskieren. Lähmungen und ungeahnte Schmerzen waren die Folgen, manchmal auch der Tod. Auf die, die nur in der Stadt gelebt hatten, musste diese Umgebung wie ein Albtraum wirken.
Weit vor der Stadt rollten Maia und Nathan klapprige Fuhrwerke entgegen, beladen mit dem Wenigen, das die Armen besaßen. Die Mähren, die sie zogen, bestanden aus von Haut überzogenen Knochen.
Maia und Nathan sahen den Gestalten entgegen. Ganz sicher handelte es sich um Bewohner der Unterstadt. Trolle, Zwerge, auch Elfen. Familien mit Kindern. Warum waren sie hier? Was war geschehen?
Maia fürchtete, die Antwort zu kennen, und hielt einen der Wagen an. Diese Familie kannte sie. Der Vater war ein Händler, der auf ärmlichen Märkten ebenso armselige Waren verkaufte. Sein Weib stellte ein Getränk her, das sie als Apfelmost bezeichnete, den sie in den Straßen feilbot. Maia mochte sich gar nicht vorstellen, woraus dieser Saft wirklich bestand.
»Was tut ihr hier?«
»Leathan ist zurück.« Das Weib schaute ängstlich und verzweifelt auf ihre Kinder.
Das beantwortete zwar ihre Frage nicht, aber es bestätigte Maias Befürchtungen.
Leathan war schnell gewesen.
Sehr tapfer, dachte Nathan zynisch, mit dem Aufräumen bei den Ärmsten zu beginnen.
»Wohin geht ihr?«
»Man hat uns von den Katakomben erzählt, die hier irgendwo sein sollen.«
Die Katakomben waren ein Labyrinth unter der Stadt. Alte Fluchtwege für die Fürsten früherer Zeiten. Sie lagen verlassen, fast vergessen da, seit Rufus tot und Siberia auf die Lebenden Steine verbannt worden war. In den unterirdischen Gängen hatten die beiden ein Heer gegen Leathan aufgebaut, einer der Gründe, warum Leathan Rufus, seinen eigenen Sohn, getötet hatte.
Ihr werdet es nicht überleben, ohne Schutz durch die Wälder zu ziehen, dachte Maia. Auf der Suche nach einer neuen Bleibe würden sie alle umkommen.
»Ich begleite euch«, sagte sie. Und an Nathan gewandt: »Du musst allein vor meinen Sohn treten.«
Maia streckte eine Hand nach Nathan aus. Er spürte die Hitze, die von ihren Fingern ausging. Eine Sekunde lang züngelte helles Licht.
»Dieser Zauber«, sagte sie, »wirkt nicht lange. Geh jetzt.«
Nathan trieb seinen Hengst an. Er konnte vielen Gefahren trotzen. Maia wusste das, aber es beruhigte sie, ihn mit einem zusätzlichen Zauber abzuschirmen. Er lächelte und dachte an das Tuch, das sie aus den Federn des Kwynks und der Asche des gelben giftigen Wulstlings wob. Ein Tuch, das seinen Träger unsichtbar machte. Sie bestand darauf, dass alle, die sie beschützen wollte, dieses hauchdünne Geflecht bei sich trugen. Dann wurde er ernst und konzentrierte sich auf den Weg, der vor ihm lag.
Als er die Stadt erreichte und an den grauen Fassaden der Paläste entlang ritt, erkannte er, dass sie wieder unbewohnt waren.
Es hatte begonnen! Leathan war im Begriff, seine Macht zurückzuerobern, indem er alles zunichte machte, was er und Richard erreicht hatten. Sein Wille, zu zerstören, war offenbar ungebrochen. Der Dunkelalb glaubte, Autorität nur durch Gewalt erreichen zu können. In Nathans Augen ein Zeichen für innere Unsicherheit und Schwäche.
Verstörte Gesichter wandten sich ihm zu, in denen so etwas wie leise Hoffnung aufschien. Die Hoffnung auf ein besseres Leben war eng verknüpft mit Maia und ihm. Er fragte sich, was er für diese Elendsgestalten tun konnte, und wappnete sich gleichzeitig für die kommende erste Begegnung mit seinem Fürsten, nach siebeneinhalb Jahren.
Die dunklen Wände glänzten in einem beinahe schwarzen Rot. Getrocknetes Blut. Hier hatte sich nichts verändert. Richard hatte die Räume seines Vaters in dessen Abwesenheit nie betreten. Jetzt war der Bewohner dieser dunklen Räume zurück. Auf dem Tisch standen halbleere Krüge. Leathan war betrunken. Murat lag in einer Ecke, weit genug entfernt von seinem Herrn und leckte eine frische Wunde. Er hob kurz den Kopf, sein Halsband blitzte auf. Natürlich aus Gold, dachte Nathan, aber dennoch ein Sklavenhalsband. Sinnbild der Unfreiheit.
Leathans Wutausbruch war furchterregend. Der Raum verlor den letzten Schimmer von Licht. Die Bierkrüge schepperten.
»Habt ihr alle den Verstand verloren?«
Er beschimpfte Nathan, verfluchte seinen Sohn Richard mit allen bekannten und einigen unbekannten Flüchen und stieß wütende Drohungen gegen Maia aus. Nathan stand aufrecht, zuckte mit keiner Wimper und ließ Leathans Verwünschungen ins Leere laufen.
Er war Lehrer und Trainer vieler Fürstensöhne gewesen. Leathan war der mit Abstand Schwierigste. Murats Rute klopfte, als er Richard Namen hörte.
»Und nun hat dieser Idiot auch noch Magalies diebische Tochter geschwängert.« Nathan beherrschte sich. Faith hatte Leathan das Zeichen der Macht gestohlen und ihrer Mutter Magalie gebracht. Damit hatte sie eine Prophezeiung erfüllt, nach der sie die Anderswelt retten sollte. Nie würde Leathan ihr diese Demütigung verzeihen.
»Und ausgerechnet mit dieser, dieser …«, jetzt fehlten ihm die Worte, »hat er sich eingelassen.Geh jetzt, wir sprechen uns später. Ich muss nachdenken.«
Nathan verbeugte sich und wandte sich ab.
»Schick mir einen der Zwerge mit einem Krug Bier«, rief Leathan ihm nach.
»Du hast genug getrunken«, murmelte Nathan und machte sich auf die vergebliche Suche nach Richard.
»Er ist in die Lichte Welt aufgebrochen«, erklärte ihm einer der Elfen.