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Blut­ro­te Wän­de

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Ri­chard hat­te es ab­ge­lehnt, in den dunk­len Räu­men sei­nes Va­ters zu re­si­die­ren. Er hielt sich lie­ber in den Räu­men auf, die er seit Kin­der­ta­gen be­wohn­te. Nach dem Stu­di­um war er in die Schat­ten­welt zu­rück­ge­kehrt, um sein Erbe an­zu­tre­ten. Er hat­te die Ver­ant­wor­tung für die dunk­le Welt nur mit sehr zwie­späl­ti­gen Ge­füh­len über­nom­men. Die blut­ro­ten Wän­de in den Räu­men sei­nes Va­ters, die fast schwa­rz wirk­ten und das we­ni­ge Licht schluck­ten, das der matt­vi­o­let­te Him­mels­kör­per über die Schat­ten­welt goss, moch­te er nicht. Nur sein Pflicht­ge­fühl zwang ihn, über die dunk­le Welt zu wa­chen.

Maia, sei­ne Groß­mut­ter, hat­te wäh­rend sei­nes Stu­di­ums in der Wirk­lich­keit die dunk­le Welt ge­lenkt. So­lan­ge Lea­than ein Ge­fan­ge­ner sei­ner ei­ge­nen Schöp­fung, den Le­ben­den Stei­nen, war, gab es nur Ri­chard, der sei­ne Nach­fol­ge an­tre­ten konn­te.

Seit er die Lich­te Welt Ma­ga­lies ken­nen­ge­lernt und in der Welt der Sterb­li­chen ge­lebt hat­te, fehl­ten ihm Son­ne, Fa­r­ben und Licht. Sei­ne Wur­zeln la­gen in bei­den Wel­ten, der An­ders­welt und der Welt sei­ner Mut­ter, Agnes, ei­ner Sterb­li­chen. Er war zu klein ge­we­sen, um sich an sie zu er­in­nern.

Nach ih­rer Flucht mit ihm aus der Schat­ten­welt war sie ge­stor­ben. Lea­than hat­te ihn aus der Ob­hut sei­ner Groß­mut­ter ent­führt und mit­ge­nom­men in sei­ne dunk­le Welt.

Der graue Wolf, der ne­ben sei­nem Ar­beit­s­tisch lag, sah ihn aus un­er­gründ­lich bern­stein­fa­r­be­nen Au­gen an und war im Bruch­teil ei­ner Se­kun­de ver­schwun­den. Be­un­ru­higt sprang Ri­chard auf. Mu­rat war oft an sei­ner Sei­te. Seit Ri­chard sei­ner Pflicht nach­ge­kom­men war, über die Schat­ten­welt zu wa­chen, war Mu­rat sein Schat­ten. Nie­mals wür­de er sich frei­wil­lig auf die­se Wei­se ent­fer­nen.

Das konn­te nur ei­nes be­deu­ten: Der Graue muss­te dem Ruf sei­nes Herrn ge­folgt sein, und sein ei­gent­li­cher, wenn auch un­ge­lieb­ter Herr war Lea­than, Ri­chards Va­ter. An ihn war das Tier ge­bun­den, ihm muss­te es fol­gen, wann im­mer er den grau­en Wolf rief. Ein schma­les gol­de­nes Band, in sei­nem dich­ten Fell kaum wahr­nehm­bar, war das äu­ße­re Zei­chen sei­ner Un­frei­heit. So­lan­ge Lea­than ihn nicht selbst aus sei­nen Diens­ten entließ, war er ihm aus­ge­lie­fert. Kein Zwei­fel, Lea­than war zu­rück. Die Le­gen­de, schoss es Ri­chard durch den Kopf.

In ihm strit­ten sich die wi­der­sprüch­lichs­ten Ge­füh­le. Sein Va­ter wür­de die Macht über die Schat­ten­welt wie­der be­an­spru­chen, zu Recht.

In den Jah­ren ohne ihn war al­ler­dings ei­ni­ges an­ders ge­wor­den, bes­ser, wie Ri­chard fand. Ob Lea­than das auch so sähe? Ziem­lich un­wahr­schein­lich. Ri­chard mach­te sich Sor­gen um die Be­woh­ner sei­ner Welt, die jetzt ein we­nig sorg­lo­ser leb­ten als un­ter Lea­thans Schre­ckens­herr­schaft. Vie­le von ih­nen wa­ren nach dem gro­ßen Brand, den Ru­fus zu ver­ant­wor­ten hat­te, in die Stadt zu­rück­ge­kehrt.

Maia und Na­than war es zu ver­dan­ken, dass die ur­al­ten Pa­läs­te der Un­ter­stadt wie­der be­wohn­bar wa­ren. Einst wa­ren sie pracht­voll ge­we­sen, jetzt wa­ren sie pas­sa­bel und im­mer­hin kom­for­t­a­bler als die elen­den Be­hau­sun­gen, die dem Brand zum Op­fer ge­fal­len wa­ren. Aber es gab auch wie­der die ärm­li­chen Hüt­ten rund um die Pa­läs­te der Un­ter­stadt.

Vie­le wa­ren zu­rück­ge­kehrt aus den Ka­ta­kom­ben, in die Ru­fus sie ge­trie­ben hat­te, um sie an Waf­fen aus­zu­bil­den und ge­gen Lea­than zu füh­ren. Die­je­ni­gen, die sich nicht von Ru­fus hat­ten pres­sen las­sen, ka­men aus den Wäl­dern und Moo­ren, in die sie vor ihm ge­flüch­tet wa­ren.

Da wa­ren sie wie­der, die Ar­men, die sich im Schutz der al­ten Pa­läs­te am Fuß der Fel­sen­stadt nie­der­lie­ßen. Nie­mand ver­wehr­te es ih­nen. Für Ri­chard ge­hör­ten sie zu dem Stadt­bild, das er kann­te und ak­zep­tier­te. Nie wäre er auf die Idee ge­kom­men, wie Ru­fus, die Hüt­ten nie­der­zu­bren­nen.

Ru­fus, sein Halb­bru­der, von Lea­than, dem ei­ge­nen Va­ter um­ge­bracht. Ri­chard setz­te sich, ließ sich in sei­nem Stuhl zu­rück­sin­ken und leg­te den Kopf in bei­de Hän­de. Ihn gru­sel­te es, wenn er dar­an dach­te. Und jetzt war Lea­than zu­rück? Es konn­te kei­nen an­de­ren Grund ge­ben, war­um Mu­rat so plötz­lich ver­schwun­den war. Lea­than muss­te ihn ge­ru­fen ha­ben.

Die Le­gen­de be­sag­te: Ei­nes Ta­ges soll­ten die Le­ben­den Stei­ne die Stein­to­ten wie­der ent­las­sen. Die­se wür­den von den Mau­ern her­un­ter­stei­gen und das alte Ge­mäu­er ver­las­sen. Um was zu tun? Ri­chard rief nach Ju­li­an. Ju­li­an war, wie auch sein Bru­der Jes­se, in der Un­ter­stadt groß ge­wor­den.

Jah­re wa­ren ver­gan­gen, seit Maia und Na­than die Brü­der un­ter ihre Fit­ti­che ge­nom­men hat­ten. Na­than hat­te Ju­li­an zu ei­nem groß­ar­ti­gen Kämp­fer aus­ge­bil­det. Er ritt, als habe er nie et­was an­de­res ge­tan, und war ein eben­so gu­ter Schüt­ze wie Ri­chard. Ju­li­an war zu ei­nem ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ten, in­tel­li­gen­ten jun­gen Mann ge­wor­den. Dass er aus der Un­ter­stadt kam und sein Le­ben in größ­ter Ar­mut in ei­ner der Hüt­ten dort ver­bracht hat­te, war ein Vor­teil. Er be­saß Ein­füh­lungs­ver­mö­gen und kann­te die bun­te Kli­en­tel, die sich aus Ge­setz­lo­sen, Bit­ter­ar­men, Trin­kern, Gauk­lern, Zu­häl­tern und Hu­ren zu­sam­men­setz­te. Er war, nach Na­than, der Stell­ver­tre­ter Ri­chards, wenn Ri­chard eine sei­ner zahl­lo­sen Rei­sen in die Lich­te Welt un­ter­nahm, um Faith und sei­ne Töch­ter zu se­hen.

»Ri­chard, du hast mich ru­fen las­sen?«

Ju­li­an war lei­se ein­ge­tre­ten. Die­se Art, ohne Ge­räusch ir­gend­wo auf­zu­t­au­chen, hat­te er Na­than ab­ge­schaut. Auch sein al­ter Lehr­meis­ter, war, trotz sei­ner Grö­ße, in der Lage, un­hör­bar zu er­schei­nen. Ju­li­an war zu ei­nem rie­si­gen Elf her­an­ge­wach­sen. Fast so groß wie Na­than, dach­te Ri­chard. Schön war nicht der rich­ti­ge Aus­druck, be­ein­dru­ckend traf es eher. Aber trotz sei­ner im­po­san­ten Sta­tur wirk­te Ju­li­an nie ge­walt­tä­tig.

»Setz dich, Ju­li­an, wir müs­sen re­den.«

Ju­li­an setz­te sich. »Wo ist der Graue?«

Ri­chard teil­te sei­nem Freund sei­ne Be­fürch­tung mit, dass Lea­than den Wolf ge­ru­fen ha­ben könn­te. »Du weißt, dass Mu­rat ihm ge­hor­chen muss.«

»Er ist ver­schwun­den, wie in den al­ten Zei­ten, in de­nen Lea­than noch nicht auf den Mau­ern sei­ner Ka­the­dra­le fest­saß. Das kann nur ei­nes be­deu­ten, mein Freund: Die Le­ben­den Stei­ne ha­ben mei­nen Va­ter ent­las­sen.«

Ju­li­an sah be­sorgt aus. »Kei­ne gu­ten Neu­ig­kei­ten. Dem Fürs­ten wird es nicht ge­fal­len, Jes­se und mich hier vor­zu­fin­den.«

Ri­chards La­chen klang nicht fröh­lich. »Auch ich wer­de ihm nicht ge­fal­len und noch we­ni­ger die Ver­än­de­run­gen in sei­nem Reich.«

»Wir soll­ten erst her­aus­fin­den, ob stimmt, was du ver­mu­test, und dazu müs­sen wir …«

»… ins Moor auf­bre­chen.« Ri­chard er­gänz­te den Satz sei­nes Freun­des.

Faith und Leathan

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