Читать книгу Faith und Leathan - Ursula Tintelnot - Страница 20

Angst

Оглавление

In den Tie­fen der Fel­sen­burg hock­te Os­kar. Er hielt ein Baby im Arm.

»Du musst dich nicht fürch­ten, Lot­te.«

Der Glit­ter schlot­ter­te nicht nur, weil er sich in der Dun­kel­heit fürch­te­te, son­dern auch vor Käl­te. Dun­kel­heit moch­te Os­kar gar nicht. Der Glit­ter war die Hel­lig­keit der Lich­ten Welt ge­wöhnt.

Tap­fer press­te er das klei­ne Mäd­chen an sich. Nicht einen Mo­ment hat­te er sie los­ge­las­sen, nach­dem die He­xen über sie her­ge­fal­len wa­ren. Zwei Feen wa­ren bei dem Über­fall ge­tö­tet wor­den und zu sil­ber­nem Staub zer­fal­len.

Er be­trach­te­te die rot­haa­ri­ge Klei­ne in sei­nen Ar­men. Wenn er nur schnel­ler ge­we­sen wäre. Schließ­lich konn­te er sich und das, was er mit sich führ­te, fast un­sicht­bar ma­chen. Aber die He­xen wa­ren ge­wand­ter als er ge­we­sen, und nur Lot­tes Schrei hat­te sie da­von ab­ge­hal­ten, ihn und das klei­ne Mäd­chen zu tren­nen.

»Das hast du gut ge­macht«, flüs­ter­te er.

Lot­te be­saß ein Or­gan, das Glas bers­ten ließ. Stei­ne zer­spran­gen, Frösche ver­lie­ßen die See­ro­sen­blät­ter und flo­hen er­schreckt in ih­ren Teich. Selbst die schwa­rz­ma­gi­schen He­xen wa­ren ent­geis­tert. Die­se an­schwel­len­den, un­er­träg­lich schmerz­haf­ten Schreie kann­ten sie nur von El­sa­be und ih­ren Schwes­tern, den He­xen der Lich­ten Welt. Es war ein Ton, der das Blut in den Adern ge­frie­ren ließ. Den Glit­ter von Lot­te zu tren­nen hat­ten sie nicht ge­wagt. Sie hat­ten es zu ei­lig, also nah­men sie den Glit­ter mit. Und nun saß Os­kar in die­ser un­wirt­li­chen Um­ge­bung und über­leg­te, was zu tun war. Er muss­te hier raus.

Er war schon ein­mal an die­sem schreck­lich fa­rb­lo­sen Ort ge­we­sen. Da­mals war er mit Lil­ly vor El­sa­be ge­flo­hen, die Lil­ly zu­rück zu den Al­rau­nen brin­gen woll­te. Er hat­te sich in die hüb­sche jun­ge Hexe ver­liebt und ver­sucht zu ver­hin­dern, dass sie ihm gleich wie­der ge­nom­men wur­de.

Os­kar sah Lot­tes Au­gen auf sich ge­rich­tet. Sie ver­zog ih­ren Mund zu ei­nem sü­ßen Lä­cheln, ihre Li­der wur­den schwer. Das Baby in sei­nen Ar­men schlief ein.

Er muss­te ent­kom­men, hat­te aber kei­ne Ah­nung, wie er das an­stel­len soll­te, und vor al­lem frag­te er sich, wo­hin. Dann fiel ihm Mai­as Eu­len­land ein. Ate­na, die wei­ße Eule, und Nu­bes, der Ne­bel­pan­ther, stie­gen vor sei­nem in­ne­ren Auge auf. Bei­de Ge­stalt­wand­ler. Ja, dach­te Os­kar, das wäre eine Mög­lich­keit. Er muss­te zu den Eu­len flie­hen.

Dort war er schon ein­mal ge­we­sen, und von dort war er von Kas­tor ent­führt wor­den.

Ent­füh­run­gen schie­nen in die­sem Land ein ganz all­täg­li­cher Vor­gang zu sein. So­weit er sich er­in­ner­te, hat­te Lea­than auch ver­sucht, Faith zu ent­füh­ren.

Hat aber nicht ge­klappt, dach­te er.

Bei die­sem Ver­such war Faith mit dem kost­ba­ren Me­dail­lon ent­kom­men. Of­fen­bar war die Toch­ter sei­ner Fürs­tin min­des­tens eben­so ge­schickt im Steh­len wie das Volk der Glit­ter. Os­kar ki­cher­te, hör­te aber so­fort da­mit auf, als sich ein Schlüs­sel knir­schend im Schloss dreh­te. Je­mand be­trat den düs­te­ren Raum.

Os­kars Blick blieb an dem Schlüs­sel hän­gen. Wenn er nur eine Hand frei ge­habt hät­te. Aber er muss­te das schla­fen­de Kind fest­hal­ten, muss­te ver­hin­dern, dass man Lot­te von ihm trenn­te. Sein Blick wan­der­te hö­her und blieb an ei­nem Ge­sicht hän­gen, das er nie mehr ver­ges­sen soll­te.

Tief­vi­o­let­te Au­gen. Lack­schwa­r­ze Haa­re. Ein brei­ter Mund. Ein Mäd­chen, noch ein Kind, nicht viel grö­ßer als er sel­ber, staun­te ihn an. »Was machst du denn hier?«

Os­kar lieb­te Kin­der. In ih­nen er­kann­te er sich selbst. Glit­ter wa­ren ver­spielt wie Kin­der. Sie wur­den nie­mals wirk­lich er­wach­sen.

»Ich … ich habe mich ver­lau­fen«, log er. »Und dann hat mich je­mand ver­se­hent­lich ein­ge­sperrt.«

Das Mäd­chen hock­te sich vor ihn hin. Sie be­trach­te­te Lot­te und sag­te ganz bei­läu­fig: »Du lügst nicht gut.«

»Nein, ich weiß. Ich kann aber her­vor­ra­gend steh­len. Ich hei­ße Os­kar.«

»Ar­mi­da.«

Sie ließ den Schlüs­sel um ih­ren Zei­ge­fin­ger krei­sen. Os­kar ver­folg­te ihn mit den Au­gen. Ar­mi­da sah ihn an.

»Möch­test du ihn ha­ben?«

»Nein, aber du könn­test die Tür of­fen las­sen.«

»Si­be­ria hab ich re­den hö­ren. Von ei­nem Baby und ei­nem Grün­ling.«

Os­kar em­pör­te sich. »Ich bin kein Grün­ling, ich bin ein Glit­ter.«

»Na gut. Und wo willst du hin, wenn ich die Tür nicht ab­schlie­ße?«

»Weg.«

»Wie, weg?«

»Lot­te muss zu ih­rer Mama und ich …«

»Ich habe ein Pony. Auch eine Sat­tel­ta­sche.« Ar­mi­da be­trach­te­te prü­fend das Baby in Os­kars Ar­men.

»Das da wür­de hin­ein­pas­sen.«

»Ich könn­te ver­su­chen, in die Lich­te Welt zu ge­lan­gen.«

»Kannst du ver­ges­sen. Lea­than hat die Dun­kel­welt mit ei­nem Bann be­legt.«

Lea­than ist nicht mäch­ti­ger als Ma­ga­lie, dach­te Os­kar. Ma­ga­lie und Ri­chard ha­ben einen Weg ge­fun­den, die­sen Bann zu um­ge­hen. Nur er, Os­kar, lei­der nicht.

Aber das sag­te er nicht, weil er nicht wuss­te, ob er Ar­mi­da trau­en konn­te.

Sie hat ein Pony. Sei­ne Ge­dan­ken wan­der­ten in die Ver­gan­gen­heit. Auf ei­nem wei­ßen Pony war er mit Maia ins Land der Eu­le­nel­fen ge­rit­ten. Ein Land, so wun­der­schön und rät­sel­haft wie man es in der Schat­ten­welt nie­mals er­war­ten wür­de. Mai­as Land war ihr Ge­heim­nis, von dem nur we­ni­ge wuss­ten. Auch vor Lea­than hielt sie es ver­bor­gen. Der Weg dort­hin war ge­fähr­lich und je­des Mal ein an­de­rer. Os­kar frag­te sich, wie er ihn wie­der­fin­den soll­te.

Er sah die dunk­len Tä­ler zwi­schen den Ge­birgs­zü­gen vor sich. Zer­k­lüf­te­te Fel­sen, in de­ren Höh­len We­sen leb­ten, halb Elf, halb Ein­horn mit Hu­fen, wie ge­schaf­fen, auch auf dem schmals­ten Fels­grat noch Halt zu fin­den. Wenn man sie nicht reiz­te, hat­te Maia ihm er­klärt, wä­ren sie freund­li­che We­sen. Aber im Zorn konn­ten sie mit ih­ren ge­dreh­ten Hör­nern furcht­ba­re Wun­den schla­gen.

»Wo­her weißt du das mit dem Bann?«

»Weil mein Va­ter und mei­ne Mut­ter mich gar nicht wahr­neh­men und den­ken, ich sei schwer­hö­rig.«

Os­kars run­de Au­gen wur­den noch run­der. »Dein Va­ter?«

»Ja, Lea­than re­det in mei­ner Ge­gen­wart, als sei ich nicht da. Ich bin ja nur ein Mäd­chen.«

Os­kar er­schrak. Ar­mi­da war die Toch­ter des schreck­li­chen Fürs­ten. Der Wi­der­sa­cher Ma­ga­lies und der Zer­stö­rer al­les Schö­nen. Bei­na­he hät­te er ihr von Mai­as Eu­len er­zählt. Er ent­schloss sich, ihr die hal­be Wahr­heit zu sa­gen, und sprach von den Ken­tau­ren, Misch­we­sen aus Ein­horn und Elf, die pro­phe­ti­sche Ga­ben be­sa­ßen.

»Dort­hin muss ich ge­hen. Sie sind ur­alt und sehr wei­se.«

Dass sie an­griffs­lus­tig, un­be­herrscht und lüs­tern sein konn­ten, ver­schwieg er.

»Wir soll­ten uns be­ei­len«, sag­te Ar­mi­da.

»Wir?«

»Ich kom­me mit.«

Faith und Leathan

Подняться наверх