Читать книгу Faith und Leathan - Ursula Tintelnot - Страница 16
Ein Mausoleum
ОглавлениеAnnabelle erschien in ihrer silbernen Wolke in der dunklen Welt Leathans.
Sie eilte durch die dämmrigen Flure. Die Wände schimmerten im Licht der Fackeln. Ein Mausoleum, dachte sie. Welch ein Unterschied zu ihrem Reich. Zwei Wachen standen vor der Tür ihres Bruders. Große kräftige Kerle, die ihre Speere kreuzten. »Leathan will nicht gestört werden …«
»Geht mir aus dem Weg!« Annabelles Amethyst-Blick. Hart wie der Edelstein. Erschrocken rissen die zwei die Flügeltüren auf.
»Himmel, wie sieht es hier aus?« Leathan musste getobt haben.
Sie schüttelte angewidert den Kopf. Ihre Nasenflügel bebten, als sie den scharfen Geruch von bitterem Bier einsog, der sich mit dem süßlicheren Duft der Feensterne verwob. Ekelhaft. Das Weib auf dem Diwan beachtete sie nicht.
»Was willst du hier?« Leathan richtete sich mühsam auf. Seine Stimme klang unsicher.
Annabelle hatte ihren Bruder nie verstanden. Er war ein Zerstörer, liebte das Chaos, erkannte Schönheit nicht. Sie liebte Schönheit geradezu obsessiv. Nur der Hunger nach Macht und Besitz verband sie mit ihrem Zwillingsbruder.
Auch sie ging über Leichen, um zu bekommen, was sie wollte.
Annabelle besaß, wie er, irritierend violette Augen. Silbern glänzendes Haar umfloss lang und glatt ihr betörend schönes Gesicht, mit einem Mund, der hinreißend lächeln konnte, wenn er wollte.
Jetzt lächelte dieser Mund nicht.
Sie besaß die Geduld einer Spinne im Netz. Annabelle konnte warten und war so intrigant wie schlau. Schlauer als er, der nicht über seinen Machthunger hinausschauen konnte. Ihre Gier nach dem zauberhaft schönen Schmuckstück, das Magalie gehörte, war krankhaft. Sie wünschte sich nichts mehr als dieses geheimnisvolle Kleinod, das Magalie gleichzeitig mehr Macht schenkte als jedem anderen Bewohner der hellen und der dunklen Welt.
Jetzt, dachte sie, habe ich lange genug gewartet. Du bist reif, Bruder, für meine Pläne.
Er musste seine Macht zurückgewinnen, sie würde ihm ihre Hilfe anbieten und ihm erklären, was sie sich überlegt hatte.
»Bist du ausreichend nüchtern, um mir zuzuhören?«
»Sprich.«
Annabelle verzog den Mund und unterbreitete ihrem Bruder ihren Plan.
Leathan betrachtet die Möhre, die sie ihm vor die Nase hielt und beschloss, dass er Appetit darauf hatte. Aber er blieb misstrauisch, seine Schwester tat nichts, ohne ihren eigenen Vorteil im Auge zu behalten. Sie war keine Samariterin. Und er wusste aus bitterer Erfahrung, dass sie versuchen würde, ihn übers Ohr zu hauen.
Sie sagte: »Ich will deine Antwort bald. Komm zu mir, wenn du wieder nüchtern bist.«
Sie warf noch einen Blick auf den Diwan, auf dem Aglaia, die Hure ihres Bruders lag. Hübsch war sie, nein, sie war schön. Annabelle fragte sich, ob Aglaia sie überhaupt wahrnahm. Sie schien versunken in den Anblick von etwas, das sich den Augen aller anderen entzog. Wenigstens für die Schönheit von Frauen hatte ihr Bruder ein Auge. Das Kind an Aglaias Seite beachtete sie nicht.
Ein silberner Wirbel und Annabelle war verschwunden. Träge erhob sich Aglaia. »Trau ihr nicht.«
Damit verließ auch sie den Raum. Sein violetter Blick fiel auf das Mädchen neben ihr. Aglaia hatte ihm nur eine Tochter geboren. Verdammt sollte sie sein.